nun aber in den wenigsten Städten von Teutsch¬ land diese glückliche Stimmung angetroffen wird; so muß man lernen, sich nach den herr¬ schenden Sitten zu richten, und nichts kann unvernünftiger und für den Eiferer selbst von nachtheiligern Folgen seyn, als wenn ein Einzel¬ ner, der nicht besonders in Ansehn steht, auf¬ treten und seine Vaterstadt reformiren will. Nirgends kömmt indessen ein solcher Declama¬ tor übler an, als in den Reichsstädten, wo alte Sitte und Schlendrian innig verwebt sind in die Regierungsform und in alle übrigen Ver¬ hältnisse. Dort kann zuweilen der bloße Schnitt eines Rocks, oder ein bisgen mehr oder weni¬ ger Gold darauf, wodurch ein Kauffman sich von seinen Mitbrüdern unterscheidet, ihn um seinen Credit bringen, und eine Perücke im richtigen Costum, die über einen leeren Hirn¬ kasten gehenkt wird, bey der Rathsherrn-Wahl den Sieg über ein eigenes Haar, das einen feinen Kopf deckt, davontragen.
In Dörfern und auf seinem Landgute lebt man in der That am ungezwungensten, und für jemand, der Lust hat sich zu beschäftigen und zum Besten Andrer etwas beyzutragen, findet
sich
nun aber in den wenigſten Staͤdten von Teutſch¬ land dieſe gluͤckliche Stimmung angetroffen wird; ſo muß man lernen, ſich nach den herr¬ ſchenden Sitten zu richten, und nichts kann unvernuͤnftiger und fuͤr den Eiferer ſelbſt von nachtheiligern Folgen ſeyn, als wenn ein Einzel¬ ner, der nicht beſonders in Anſehn ſteht, auf¬ treten und ſeine Vaterſtadt reformiren will. Nirgends koͤmmt indeſſen ein ſolcher Declama¬ tor uͤbler an, als in den Reichsſtaͤdten, wo alte Sitte und Schlendrian innig verwebt ſind in die Regierungsform und in alle uͤbrigen Ver¬ haͤltniſſe. Dort kann zuweilen der bloße Schnitt eines Rocks, oder ein bisgen mehr oder weni¬ ger Gold darauf, wodurch ein Kauffman ſich von ſeinen Mitbruͤdern unterſcheidet, ihn um ſeinen Credit bringen, und eine Peruͤcke im richtigen Coſtum, die uͤber einen leeren Hirn¬ kaſten gehenkt wird, bey der Rathsherrn-Wahl den Sieg uͤber ein eigenes Haar, das einen feinen Kopf deckt, davontragen.
In Doͤrfern und auf ſeinem Landgute lebt man in der That am ungezwungenſten, und fuͤr jemand, der Luſt hat ſich zu beſchaͤftigen und zum Beſten Andrer etwas beyzutragen, findet
ſich
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nun aber in den wenigſten Staͤdten von Teutſch¬
land dieſe gluͤckliche Stimmung angetroffen
wird; ſo muß man lernen, ſich nach den herr¬
ſchenden Sitten zu richten, und nichts kann
unvernuͤnftiger und fuͤr den Eiferer ſelbſt von
nachtheiligern Folgen ſeyn, als wenn ein Einzel¬
ner, der nicht beſonders in Anſehn ſteht, auf¬
treten und ſeine Vaterſtadt reformiren will.
Nirgends koͤmmt indeſſen ein ſolcher Declama¬
tor uͤbler an, als in den Reichsſtaͤdten, wo
alte Sitte und Schlendrian innig verwebt ſind
in die Regierungsform und in alle uͤbrigen Ver¬
haͤltniſſe. Dort kann zuweilen der bloße Schnitt
eines Rocks, oder ein bisgen mehr oder weni¬
ger Gold darauf, wodurch ein Kauffman ſich
von ſeinen Mitbruͤdern unterſcheidet, ihn um
ſeinen Credit bringen, und eine Peruͤcke im
richtigen Coſtum, die uͤber einen leeren Hirn¬
kaſten gehenkt wird, bey der Rathsherrn-Wahl
den Sieg uͤber ein eigenes Haar, das einen
feinen Kopf deckt, davontragen.
In Doͤrfern und auf ſeinem Landgute lebt
man in der That am ungezwungenſten, und fuͤr
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/84>, abgerufen am 16.02.2025.
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