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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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mancher heftigen Leidenschaft lagen in mir
verborgen; Ich war in der ersten Erziehung
ein wenig verzärtelt und durch große Aufmerk¬
samkeit, deren man meine kleine Person früh
gewürdigt hatte, gewöhnt worden, sehr viel
Rücksichten von andern Leuten zu fordern.
In einem freyen Vaterlande aufgewachsen,
wo Schmeicheley, Verstellung und ein gewisses
kriechendes Wesen nicht sehr zu Hause sind,
hatte man mich freylich auch nicht zu jener
Geschmeidigkeit vorbereitet, deren ich bedurfte,
um, unter mir ganz fremden Leuten, in des¬
potischen Staaten große Fortschritte zu ma¬
chen; Auch ist der theoretische Unterricht in
wahrer Weltklugheit bey der Jugend theils
selten mit Erfolge, theils nicht immer ohne
Gefahr zu ertheilen; Eigene Erfahrung muß
da in der Folge das beste thun. Diese Lectio¬
nen, wenn man das Glück hat wohlfeil daran
zu kommen, sind von der heilsamsten Wür¬
kung, und prägen sich tief ein. Noch erinnere
ich mich einer kleinen Scene von der Art, die
mich auf eine Zeitlang vorsichtig machte: Ich
saß in C*** in der italiänischen Oper, in der
herrschaftlichen Loge; Ich war früher als der

Hof

mancher heftigen Leidenſchaft lagen in mir
verborgen; Ich war in der erſten Erziehung
ein wenig verzaͤrtelt und durch große Aufmerk¬
ſamkeit, deren man meine kleine Perſon fruͤh
gewuͤrdigt hatte, gewoͤhnt worden, ſehr viel
Ruͤckſichten von andern Leuten zu fordern.
In einem freyen Vaterlande aufgewachſen,
wo Schmeicheley, Verſtellung und ein gewiſſes
kriechendes Weſen nicht ſehr zu Hauſe ſind,
hatte man mich freylich auch nicht zu jener
Geſchmeidigkeit vorbereitet, deren ich bedurfte,
um, unter mir ganz fremden Leuten, in des¬
potiſchen Staaten große Fortſchritte zu ma¬
chen; Auch iſt der theoretiſche Unterricht in
wahrer Weltklugheit bey der Jugend theils
ſelten mit Erfolge, theils nicht immer ohne
Gefahr zu ertheilen; Eigene Erfahrung muß
da in der Folge das beſte thun. Dieſe Lectio¬
nen, wenn man das Gluͤck hat wohlfeil daran
zu kommen, ſind von der heilſamſten Wuͤr¬
kung, und praͤgen ſich tief ein. Noch erinnere
ich mich einer kleinen Scene von der Art, die
mich auf eine Zeitlang vorſichtig machte: Ich
ſaß in C*** in der italiaͤniſchen Oper, in der
herrſchaftlichen Loge; Ich war fruͤher als der

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[27/0057] mancher heftigen Leidenſchaft lagen in mir verborgen; Ich war in der erſten Erziehung ein wenig verzaͤrtelt und durch große Aufmerk¬ ſamkeit, deren man meine kleine Perſon fruͤh gewuͤrdigt hatte, gewoͤhnt worden, ſehr viel Ruͤckſichten von andern Leuten zu fordern. In einem freyen Vaterlande aufgewachſen, wo Schmeicheley, Verſtellung und ein gewiſſes kriechendes Weſen nicht ſehr zu Hauſe ſind, hatte man mich freylich auch nicht zu jener Geſchmeidigkeit vorbereitet, deren ich bedurfte, um, unter mir ganz fremden Leuten, in des¬ potiſchen Staaten große Fortſchritte zu ma¬ chen; Auch iſt der theoretiſche Unterricht in wahrer Weltklugheit bey der Jugend theils ſelten mit Erfolge, theils nicht immer ohne Gefahr zu ertheilen; Eigene Erfahrung muß da in der Folge das beſte thun. Dieſe Lectio¬ nen, wenn man das Gluͤck hat wohlfeil daran zu kommen, ſind von der heilſamſten Wuͤr¬ kung, und praͤgen ſich tief ein. Noch erinnere ich mich einer kleinen Scene von der Art, die mich auf eine Zeitlang vorſichtig machte: Ich ſaß in C*** in der italiaͤniſchen Oper, in der herrſchaftlichen Loge; Ich war fruͤher als der Hof

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/57>, abgerufen am 25.11.2024.