mir, Menschenkenntniß auszukramen, da ich so oft ein Opfer der unvorsichtigsten, einem Neulinge kaum zu verzeyhenden Hingebung gewesen bin? Wird man die Kunst des Umgangs von einem Manne lernen wollen, der beynahe von allem menschlichen Umgange abgesondert lebt? -- Lasset doch sehen, meine Freunde! was sich darauf antworten lässt!
Habe ich wiedrige Erfahrungen gemacht, die mich von meiner eigenen Ungeschicklichkeit überzeugt haben -- desto besser! Wer kann so gut vor der Gefahr warnen, als der, welcher darinn gesteckt hat? Haben Temperament und Weichlichkeit, (oder darf ich es nicht Fühlbar¬ keit eines so gern sich anschliessenden Herzens nennen?) haben Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft, nach Gelegenheit Andern zu die¬ nen und sympathetische Empfindungen zu erre¬ gen, mich oft unvorsichtig handeln machen, oft die calculierende Vernunft weit zurückgelassen; so war es wahrlich nicht Blödsinnigkeit, Kurz¬ sichtigkeit, Unbekanntschaft mit Menschen, was mich irre leitete, sondern Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden, Verlangen thätig zu
seyn,
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mir, Menſchenkenntniß auszukramen, da ich ſo oft ein Opfer der unvorſichtigſten, einem Neulinge kaum zu verzeyhenden Hingebung geweſen bin? Wird man die Kunſt des Umgangs von einem Manne lernen wollen, der beynahe von allem menſchlichen Umgange abgeſondert lebt? — Laſſet doch ſehen, meine Freunde! was ſich darauf antworten laͤſſt!
Habe ich wiedrige Erfahrungen gemacht, die mich von meiner eigenen Ungeſchicklichkeit uͤberzeugt haben — deſto beſſer! Wer kann ſo gut vor der Gefahr warnen, als der, welcher darinn geſteckt hat? Haben Temperament und Weichlichkeit, (oder darf ich es nicht Fuͤhlbar¬ keit eines ſo gern ſich anſchlieſſenden Herzens nennen?) haben Sehnſucht nach Liebe und Freundſchaft, nach Gelegenheit Andern zu die¬ nen und ſympathetiſche Empfindungen zu erre¬ gen, mich oft unvorſichtig handeln machen, oft die calculierende Vernunft weit zuruͤckgelaſſen; ſo war es wahrlich nicht Bloͤdſinnigkeit, Kurz¬ ſichtigkeit, Unbekanntſchaft mit Menſchen, was mich irre leitete, ſondern Beduͤrfniß zu lieben und geliebt zu werden, Verlangen thaͤtig zu
ſeyn,
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mir, Menſchenkenntniß auszukramen, da ich
ſo oft ein Opfer der unvorſichtigſten, einem
Neulinge kaum zu verzeyhenden Hingebung
geweſen bin? Wird man die Kunſt des Umgangs
von einem Manne lernen wollen, der beynahe
von allem menſchlichen Umgange abgeſondert
lebt? — Laſſet doch ſehen, meine Freunde! was
ſich darauf antworten laͤſſt!
Habe ich wiedrige Erfahrungen gemacht,
die mich von meiner eigenen Ungeſchicklichkeit
uͤberzeugt haben — deſto beſſer! Wer kann ſo
gut vor der Gefahr warnen, als der, welcher
darinn geſteckt hat? Haben Temperament und
Weichlichkeit, (oder darf ich es nicht Fuͤhlbar¬
keit eines ſo gern ſich anſchlieſſenden Herzens
nennen?) haben Sehnſucht nach Liebe und
Freundſchaft, nach Gelegenheit Andern zu die¬
nen und ſympathetiſche Empfindungen zu erre¬
gen, mich oft unvorſichtig handeln machen, oft
die calculierende Vernunft weit zuruͤckgelaſſen;
ſo war es wahrlich nicht Bloͤdſinnigkeit, Kurz¬
ſichtigkeit, Unbekanntſchaft mit Menſchen, was
mich irre leitete, ſondern Beduͤrfniß zu lieben
und geliebt zu werden, Verlangen thaͤtig zu
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/55>, abgerufen am 28.11.2024.
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