Der treuherzige, naive, zuweilen ein wenig bäurische, materielle Bayer ist äußerst verlegen, wenn er auf alle verbindlichen, arti¬ gen Dinge antworten soll, die ihm der feine Sachse in einem Othem entgegen schickt; dem schwerfälligen Westphälinger ist alles hebräisch, was ihm der Oesterreicher in seiner ihm gänzlich fremden Mundart vorpoltert; die zuvorkom¬ mende Höflichkeit und Geschmeidigkeit des durch französische Nachbarschaft polirten Rheinlän¬ ders würde man in manchen Städten von Niedersachsen für Zudringlichkeit, für Nieder¬ trächtigkeit halten! Man glaubt dort, ein Mann, der so äusserst unterthänig und nachgie¬ big ist, müsse gefährliche oder niedrige Absich¬ ten haben, oder müsse falsch, oder sehr arm und hülfsbedürftig seyn, und oft ist dort ein wenig zu weit getriebene äussere Höflichkeit hin¬ länglich, den Mann, der sich am Rhein da¬ durch allgemeine Liebe erwerben würde, an der Leine verächtlich zu machen. Dagegen wird aber auch der nicht kältere, aber weniger leichtsinnige, weniger zuversichtliche, nicht so im Gedränge von Fremden, noch auf Reisen an Leib und Seele abgeschliffene, geglättete,
son¬
Der treuherzige, naive, zuweilen ein wenig baͤuriſche, materielle Bayer iſt aͤußerſt verlegen, wenn er auf alle verbindlichen, arti¬ gen Dinge antworten ſoll, die ihm der feine Sachſe in einem Othem entgegen ſchickt; dem ſchwerfaͤlligen Weſtphaͤlinger iſt alles hebraͤiſch, was ihm der Oeſterreicher in ſeiner ihm gaͤnzlich fremden Mundart vorpoltert; die zuvorkom¬ mende Hoͤflichkeit und Geſchmeidigkeit des durch franzoͤſiſche Nachbarſchaft polirten Rheinlaͤn¬ ders wuͤrde man in manchen Staͤdten von Niederſachſen fuͤr Zudringlichkeit, fuͤr Nieder¬ traͤchtigkeit halten! Man glaubt dort, ein Mann, der ſo aͤuſſerſt unterthaͤnig und nachgie¬ big iſt, muͤſſe gefaͤhrliche oder niedrige Abſich¬ ten haben, oder muͤſſe falſch, oder ſehr arm und huͤlfsbeduͤrftig ſeyn, und oft iſt dort ein wenig zu weit getriebene aͤuſſere Hoͤflichkeit hin¬ laͤnglich, den Mann, der ſich am Rhein da¬ durch allgemeine Liebe erwerben wuͤrde, an der Leine veraͤchtlich zu machen. Dagegen wird aber auch der nicht kaͤltere, aber weniger leichtſinnige, weniger zuverſichtliche, nicht ſo im Gedraͤnge von Fremden, noch auf Reiſen an Leib und Seele abgeſchliffene, geglaͤttete,
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Der treuherzige, naive, zuweilen ein
wenig baͤuriſche, materielle Bayer iſt aͤußerſt
verlegen, wenn er auf alle verbindlichen, arti¬
gen Dinge antworten ſoll, die ihm der feine
Sachſe in einem Othem entgegen ſchickt; dem
ſchwerfaͤlligen Weſtphaͤlinger iſt alles hebraͤiſch,
was ihm der Oeſterreicher in ſeiner ihm gaͤnzlich
fremden Mundart vorpoltert; die zuvorkom¬
mende Hoͤflichkeit und Geſchmeidigkeit des durch
franzoͤſiſche Nachbarſchaft polirten Rheinlaͤn¬
ders wuͤrde man in manchen Staͤdten von
Niederſachſen fuͤr Zudringlichkeit, fuͤr Nieder¬
traͤchtigkeit halten! Man glaubt dort, ein
Mann, der ſo aͤuſſerſt unterthaͤnig und nachgie¬
big iſt, muͤſſe gefaͤhrliche oder niedrige Abſich¬
ten haben, oder muͤſſe falſch, oder ſehr arm
und huͤlfsbeduͤrftig ſeyn, und oft iſt dort ein
wenig zu weit getriebene aͤuſſere Hoͤflichkeit hin¬
laͤnglich, den Mann, der ſich am Rhein da¬
durch allgemeine Liebe erwerben wuͤrde, an
der Leine veraͤchtlich zu machen. Dagegen
wird aber auch der nicht kaͤltere, aber weniger
leichtſinnige, weniger zuverſichtliche, nicht ſo
im Gedraͤnge von Fremden, noch auf Reiſen
an Leib und Seele abgeſchliffene, geglaͤttete,
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/43>, abgerufen am 23.11.2024.
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