Freunde unsre Ohren erfüllen, Glauben bey¬ zumessen. Leute, die heute mit einem Manne, den sie bis in den Himmel erheben, ihren letzten Bissen theilen würden, und morgen, wenn ir¬ gend ein altes Weib ihnen ein ärgerliches Mär¬ chen aufgehenkt hat, den Nemlichen zu dem verächtlichsten Betrüger herabwürdigen; Leute, die einen vieljährigen, geprüften Freund, auf Angabe des niederträchtigen, unwürdigen Pö¬ bels, einer ihm schuld gegebenen Schandthat fähig halten können -- wäre auch alle Wahr¬ scheinlichkeit auf Seiten der Verläumder! -- solche wankelmüthige, elende Lumpenseelen verdienen nur Verachtung, und der Verlust ihrer Freundschaft ist baarer Gewinnst. Der Anschein ist oft sehr trüglich; Man kann Ver¬ anlassungen haben, es können Nothwendig¬ keiten eintreten, die es uns ohnmöglich ma¬ chen, gewisse zweydeutig scheinende Schritte zu erläutern; aber, daß ein bewährter, edler Mann keine schlechte Handlung begangen habe, davon bedarf es gar weiter keines Be¬ weises, als dessen, daß ein edler Mann nie keine schlechte Handlung begeht.
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Freunde unſre Ohren erfuͤllen, Glauben bey¬ zumeſſen. Leute, die heute mit einem Manne, den ſie bis in den Himmel erheben, ihren letzten Biſſen theilen wuͤrden, und morgen, wenn ir¬ gend ein altes Weib ihnen ein aͤrgerliches Maͤr¬ chen aufgehenkt hat, den Nemlichen zu dem veraͤchtlichſten Betruͤger herabwuͤrdigen; Leute, die einen vieljaͤhrigen, gepruͤften Freund, auf Angabe des niedertraͤchtigen, unwuͤrdigen Poͤ¬ bels, einer ihm ſchuld gegebenen Schandthat faͤhig halten koͤnnen — waͤre auch alle Wahr¬ ſcheinlichkeit auf Seiten der Verlaͤumder! — ſolche wankelmuͤthige, elende Lumpenſeelen verdienen nur Verachtung, und der Verluſt ihrer Freundſchaft iſt baarer Gewinnſt. Der Anſchein iſt oft ſehr truͤglich; Man kann Ver¬ anlaſſungen haben, es koͤnnen Nothwendig¬ keiten eintreten, die es uns ohnmoͤglich ma¬ chen, gewiſſe zweydeutig ſcheinende Schritte zu erlaͤutern; aber, daß ein bewaͤhrter, edler Mann keine ſchlechte Handlung begangen habe, davon bedarf es gar weiter keines Be¬ weiſes, als deſſen, daß ein edler Mann nie keine ſchlechte Handlung begeht.
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Freunde unſre Ohren erfuͤllen, Glauben bey¬
zumeſſen. Leute, die heute mit einem Manne,
den ſie bis in den Himmel erheben, ihren letzten
Biſſen theilen wuͤrden, und morgen, wenn ir¬
gend ein altes Weib ihnen ein aͤrgerliches Maͤr¬
chen aufgehenkt hat, den Nemlichen zu dem
veraͤchtlichſten Betruͤger herabwuͤrdigen; Leute,
die einen vieljaͤhrigen, gepruͤften Freund, auf
Angabe des niedertraͤchtigen, unwuͤrdigen Poͤ¬
bels, einer ihm ſchuld gegebenen Schandthat
faͤhig halten koͤnnen — waͤre auch alle Wahr¬
ſcheinlichkeit auf Seiten der Verlaͤumder! —
ſolche wankelmuͤthige, elende Lumpenſeelen
verdienen nur Verachtung, und der Verluſt
ihrer Freundſchaft iſt baarer Gewinnſt. Der
Anſchein iſt oft ſehr truͤglich; Man kann Ver¬
anlaſſungen haben, es koͤnnen Nothwendig¬
keiten eintreten, die es uns ohnmoͤglich ma¬
chen, gewiſſe zweydeutig ſcheinende Schritte
zu erlaͤutern; aber, daß ein bewaͤhrter, edler
Mann keine ſchlechte Handlung begangen
habe, davon bedarf es gar weiter keines Be¬
weiſes, als deſſen, daß ein edler Mann nie
keine ſchlechte Handlung begeht.
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/290>, abgerufen am 24.11.2024.
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