Du Hand in Hand auf dieser Erde durch Dick und Dünn wandeln könntest, wenn Du es so genau nehmen wolltest! Zuweilen ist auch der Fall da, daß würklich unsre Freunde (wenn wir uns durch kleine oder große Unvorsichtigkei¬ ten unser Schicksal selbst zugezogen haben) sich die Rechtfertigung schuldig sind, öffentlich zu zeigen, daß sie nicht in unsre Thorheiten verwik¬ kelt waren. Oft werden sie durch unsre wi¬ drige Lage grade so gestimmt, als sie immer hätten gestimmt seyn sollen, das heisst: sie hö¬ ren auf uns so zu schmeicheln, wie sie es vor¬ her aus Furcht uns zu verliehren thaten, so lange wir von jedermann aufgesucht wurden, und unsre Freunde wählen konnten. Ich habe in einigen blendenden Situationen meines Le¬ bens einen Haufen von Leuten sich mir auf¬ dringen gesehn, die mir ohne Unterlaß Weyrauch streueten, jeden meiner witzigen Einfälle mit lauter Bewunderung auffiengen, schmeichel¬ hafte Verse auf mich machten, meine Worte als Orakelsprüche ausschrien, und meinen Ruf im Posaunenton erhoben. Ich kannte das Menschengeschlecht genug, um nicht alles das für baare Münze anzunehmen, sondern fest
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Du Hand in Hand auf dieſer Erde durch Dick und Duͤnn wandeln koͤnnteſt, wenn Du es ſo genau nehmen wollteſt! Zuweilen iſt auch der Fall da, daß wuͤrklich unſre Freunde (wenn wir uns durch kleine oder große Unvorſichtigkei¬ ten unſer Schickſal ſelbſt zugezogen haben) ſich die Rechtfertigung ſchuldig ſind, oͤffentlich zu zeigen, daß ſie nicht in unſre Thorheiten verwik¬ kelt waren. Oft werden ſie durch unſre wi¬ drige Lage grade ſo geſtimmt, als ſie immer haͤtten geſtimmt ſeyn ſollen, das heiſſt: ſie hoͤ¬ ren auf uns ſo zu ſchmeicheln, wie ſie es vor¬ her aus Furcht uns zu verliehren thaten, ſo lange wir von jedermann aufgeſucht wurden, und unſre Freunde waͤhlen konnten. Ich habe in einigen blendenden Situationen meines Le¬ bens einen Haufen von Leuten ſich mir auf¬ dringen geſehn, die mir ohne Unterlaß Weyrauch ſtreueten, jeden meiner witzigen Einfaͤlle mit lauter Bewunderung auffiengen, ſchmeichel¬ hafte Verſe auf mich machten, meine Worte als Orakelſpruͤche ausſchrien, und meinen Ruf im Poſaunenton erhoben. Ich kannte das Menſchengeſchlecht genug, um nicht alles das fuͤr baare Muͤnze anzunehmen, ſondern feſt
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Du Hand in Hand auf dieſer Erde durch Dick
und Duͤnn wandeln koͤnnteſt, wenn Du es ſo
genau nehmen wollteſt! Zuweilen iſt auch der
Fall da, daß wuͤrklich unſre Freunde (wenn
wir uns durch kleine oder große Unvorſichtigkei¬
ten unſer Schickſal ſelbſt zugezogen haben) ſich
die Rechtfertigung ſchuldig ſind, oͤffentlich zu
zeigen, daß ſie nicht in unſre Thorheiten verwik¬
kelt waren. Oft werden ſie durch unſre wi¬
drige Lage grade ſo geſtimmt, als ſie immer
haͤtten geſtimmt ſeyn ſollen, das heiſſt: ſie hoͤ¬
ren auf uns ſo zu ſchmeicheln, wie ſie es vor¬
her aus Furcht uns zu verliehren thaten, ſo
lange wir von jedermann aufgeſucht wurden,
und unſre Freunde waͤhlen konnten. Ich habe
in einigen blendenden Situationen meines Le¬
bens einen Haufen von Leuten ſich mir auf¬
dringen geſehn, die mir ohne Unterlaß Weyrauch
ſtreueten, jeden meiner witzigen Einfaͤlle mit
lauter Bewunderung auffiengen, ſchmeichel¬
hafte Verſe auf mich machten, meine Worte
als Orakelſpruͤche ausſchrien, und meinen Ruf
im Poſaunenton erhoben. Ich kannte das
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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