ges sehen, ihren Vergnügungen nachrennen, und indes Miethlingen die Bildung ihrer Söhne und Töchter überlassen, oder, wenn diese schon erwachsen sind, mit ihnen auf ei¬ nem so fremden, höflichen Fuße leben, als wenn sie ihnen gar nicht angehörten. Wie unnatürlich und unverantwortlich dies Ver¬ fahren sey, das bedarf wohl keines Beweises. Es giebt aber andre Eltern, die von ihren Kindern eine so sclavische Ehrerbiethung und so viel Rücksichten und Aufopferungen fordern, daß durch den Zwang und den gewaltigen Ab¬ stand, der hieraus entsteht, alles Zutrauen, alle Herzens- Ergiessung wegfällt, so daß den Kindern die Stunden, welche sie an der Seite ihrer Eltern hinbringen müssen, fürchterlich und langweilig vorkommen. Noch andre ver¬ gessen, daß Knaben auch endlich Männer wer¬ den; Sie behandeln ihre erwachsenen Söhne und Töchter immer noch als kleine Unmündige, gestatten ihnen nicht den geringsten freyen Willen, und trauen den Einsichten derselben nicht das mindeste zu. Das alles sollte nicht so seyn. Ehrerbiethung besteht nicht in feyer¬ licher, strenger Entfernung, sondern kann
recht
ges ſehen, ihren Vergnuͤgungen nachrennen, und indes Miethlingen die Bildung ihrer Soͤhne und Toͤchter uͤberlaſſen, oder, wenn dieſe ſchon erwachſen ſind, mit ihnen auf ei¬ nem ſo fremden, hoͤflichen Fuße leben, als wenn ſie ihnen gar nicht angehoͤrten. Wie unnatuͤrlich und unverantwortlich dies Ver¬ fahren ſey, das bedarf wohl keines Beweiſes. Es giebt aber andre Eltern, die von ihren Kindern eine ſo ſclaviſche Ehrerbiethung und ſo viel Ruͤckſichten und Aufopferungen fordern, daß durch den Zwang und den gewaltigen Ab¬ ſtand, der hieraus entſteht, alles Zutrauen, alle Herzens- Ergieſſung wegfaͤllt, ſo daß den Kindern die Stunden, welche ſie an der Seite ihrer Eltern hinbringen muͤſſen, fuͤrchterlich und langweilig vorkommen. Noch andre ver¬ geſſen, daß Knaben auch endlich Maͤnner wer¬ den; Sie behandeln ihre erwachſenen Soͤhne und Toͤchter immer noch als kleine Unmuͤndige, geſtatten ihnen nicht den geringſten freyen Willen, und trauen den Einſichten derſelben nicht das mindeſte zu. Das alles ſollte nicht ſo ſeyn. Ehrerbiethung beſteht nicht in feyer¬ licher, ſtrenger Entfernung, ſondern kann
recht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0136"n="106"/>
ges ſehen, ihren Vergnuͤgungen nachrennen,<lb/>
und indes Miethlingen die Bildung ihrer<lb/>
Soͤhne und Toͤchter uͤberlaſſen, oder, wenn<lb/>
dieſe ſchon erwachſen ſind, mit ihnen auf ei¬<lb/>
nem ſo fremden, hoͤflichen Fuße leben, als<lb/>
wenn ſie ihnen gar nicht angehoͤrten. Wie<lb/>
unnatuͤrlich und unverantwortlich dies Ver¬<lb/>
fahren ſey, das bedarf wohl keines Beweiſes.<lb/>
Es giebt aber andre Eltern, die von ihren<lb/>
Kindern eine ſo ſclaviſche Ehrerbiethung und<lb/>ſo viel Ruͤckſichten und Aufopferungen fordern,<lb/>
daß durch den Zwang und den gewaltigen Ab¬<lb/>ſtand, der hieraus entſteht, alles Zutrauen,<lb/>
alle Herzens- Ergieſſung wegfaͤllt, ſo daß den<lb/>
Kindern die Stunden, welche ſie an der Seite<lb/>
ihrer Eltern hinbringen muͤſſen, fuͤrchterlich<lb/>
und langweilig vorkommen. Noch andre ver¬<lb/>
geſſen, daß Knaben auch endlich Maͤnner wer¬<lb/>
den; Sie behandeln ihre erwachſenen Soͤhne<lb/>
und Toͤchter immer noch als kleine Unmuͤndige,<lb/>
geſtatten ihnen nicht den geringſten freyen<lb/>
Willen, und trauen den Einſichten derſelben<lb/>
nicht das mindeſte zu. Das alles ſollte nicht<lb/>ſo ſeyn. Ehrerbiethung beſteht nicht in feyer¬<lb/>
licher, ſtrenger Entfernung, ſondern kann<lb/><fwplace="bottom"type="catch">recht<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[106/0136]
ges ſehen, ihren Vergnuͤgungen nachrennen,
und indes Miethlingen die Bildung ihrer
Soͤhne und Toͤchter uͤberlaſſen, oder, wenn
dieſe ſchon erwachſen ſind, mit ihnen auf ei¬
nem ſo fremden, hoͤflichen Fuße leben, als
wenn ſie ihnen gar nicht angehoͤrten. Wie
unnatuͤrlich und unverantwortlich dies Ver¬
fahren ſey, das bedarf wohl keines Beweiſes.
Es giebt aber andre Eltern, die von ihren
Kindern eine ſo ſclaviſche Ehrerbiethung und
ſo viel Ruͤckſichten und Aufopferungen fordern,
daß durch den Zwang und den gewaltigen Ab¬
ſtand, der hieraus entſteht, alles Zutrauen,
alle Herzens- Ergieſſung wegfaͤllt, ſo daß den
Kindern die Stunden, welche ſie an der Seite
ihrer Eltern hinbringen muͤſſen, fuͤrchterlich
und langweilig vorkommen. Noch andre ver¬
geſſen, daß Knaben auch endlich Maͤnner wer¬
den; Sie behandeln ihre erwachſenen Soͤhne
und Toͤchter immer noch als kleine Unmuͤndige,
geſtatten ihnen nicht den geringſten freyen
Willen, und trauen den Einſichten derſelben
nicht das mindeſte zu. Das alles ſollte nicht
ſo ſeyn. Ehrerbiethung beſteht nicht in feyer¬
licher, ſtrenger Entfernung, ſondern kann
recht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/136>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.