zu Tage auf alte Männer herabsehen, und al¬ les mündlich und schriftlich überschreyen, was ihnen in den Weg kömmt. Das Höchste, wor¬ auf ein Mann von ältern Jahren Anspruch machen darf, ist gnädige Nachsicht, züchti¬ gende Critic, Zurechtweisung von seinen un¬ mündigen Kindern und Enkeln, und Mitlei¬ den mit ihm, der das Unglück gehabt hat, nicht in diesen glücklichen Tagen, in welchen die Weisheit, ohngesäet und ohngepflegt, wie Manna vom Himmel regnet, gebohren worden zu seyn. Ich, der ich auch das Schicksal ge¬ habt habe, in einem Jahre zur Welt zu kom¬ men, in welchem der größte Theil der Polyhi¬ storen, von denen ich hier rede, ihre itzt so scharfen Zähne noch am Wolfszahn übten, oder gar noch Embrionen waren, ich habe es nicht zu jenem Grade der Aufklärung bringen können, und muß daher um Verzeyhung bit¬ ten, wenn ich hier einige Regeln zu geben wage, die ziemlich nach der alten Mode schmek¬ ken werden -- Doch zur Sache!
6.
Es giebt viel Dinge in dieser Welt, die sich durchaus nicht anders als durch Erfahrung
ler¬
zu Tage auf alte Maͤnner herabſehen, und al¬ les muͤndlich und ſchriftlich uͤberſchreyen, was ihnen in den Weg koͤmmt. Das Hoͤchſte, wor¬ auf ein Mann von aͤltern Jahren Anſpruch machen darf, iſt gnaͤdige Nachſicht, zuͤchti¬ gende Critic, Zurechtweiſung von ſeinen un¬ muͤndigen Kindern und Enkeln, und Mitlei¬ den mit ihm, der das Ungluͤck gehabt hat, nicht in dieſen gluͤcklichen Tagen, in welchen die Weisheit, ohngeſaͤet und ohngepflegt, wie Manna vom Himmel regnet, gebohren worden zu ſeyn. Ich, der ich auch das Schickſal ge¬ habt habe, in einem Jahre zur Welt zu kom¬ men, in welchem der groͤßte Theil der Polyhi¬ ſtoren, von denen ich hier rede, ihre itzt ſo ſcharfen Zaͤhne noch am Wolfszahn uͤbten, oder gar noch Embrionen waren, ich habe es nicht zu jenem Grade der Aufklaͤrung bringen koͤnnen, und muß daher um Verzeyhung bit¬ ten, wenn ich hier einige Regeln zu geben wage, die ziemlich nach der alten Mode ſchmek¬ ken werden — Doch zur Sache!
6.
Es giebt viel Dinge in dieſer Welt, die ſich durchaus nicht anders als durch Erfahrung
ler¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0125"n="95"/>
zu Tage auf alte Maͤnner herabſehen, und al¬<lb/>
les muͤndlich und ſchriftlich uͤberſchreyen, was<lb/>
ihnen in den Weg koͤmmt. Das Hoͤchſte, wor¬<lb/>
auf ein Mann von aͤltern Jahren Anſpruch<lb/>
machen darf, iſt gnaͤdige Nachſicht, zuͤchti¬<lb/>
gende Critic, Zurechtweiſung von ſeinen un¬<lb/>
muͤndigen Kindern und Enkeln, und Mitlei¬<lb/>
den mit ihm, der das Ungluͤck gehabt hat,<lb/>
nicht in dieſen gluͤcklichen Tagen, in welchen<lb/>
die Weisheit, ohngeſaͤet und ohngepflegt, wie<lb/>
Manna vom Himmel regnet, gebohren worden<lb/>
zu ſeyn. Ich, der ich auch das Schickſal ge¬<lb/>
habt habe, in einem Jahre zur Welt zu kom¬<lb/>
men, in welchem der groͤßte Theil der Polyhi¬<lb/>ſtoren, von denen ich hier rede, ihre itzt ſo<lb/>ſcharfen Zaͤhne noch am Wolfszahn uͤbten,<lb/>
oder gar noch Embrionen waren, ich habe es<lb/>
nicht zu jenem Grade der Aufklaͤrung bringen<lb/>
koͤnnen, und muß daher um Verzeyhung bit¬<lb/>
ten, wenn ich hier einige Regeln zu geben<lb/>
wage, die ziemlich nach der alten Mode ſchmek¬<lb/>
ken werden — Doch zur Sache!</p><lb/></div><divn="3"><head>6.<lb/></head><p>Es giebt viel Dinge in dieſer Welt, die<lb/>ſich durchaus nicht anders als durch Erfahrung<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ler¬<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[95/0125]
zu Tage auf alte Maͤnner herabſehen, und al¬
les muͤndlich und ſchriftlich uͤberſchreyen, was
ihnen in den Weg koͤmmt. Das Hoͤchſte, wor¬
auf ein Mann von aͤltern Jahren Anſpruch
machen darf, iſt gnaͤdige Nachſicht, zuͤchti¬
gende Critic, Zurechtweiſung von ſeinen un¬
muͤndigen Kindern und Enkeln, und Mitlei¬
den mit ihm, der das Ungluͤck gehabt hat,
nicht in dieſen gluͤcklichen Tagen, in welchen
die Weisheit, ohngeſaͤet und ohngepflegt, wie
Manna vom Himmel regnet, gebohren worden
zu ſeyn. Ich, der ich auch das Schickſal ge¬
habt habe, in einem Jahre zur Welt zu kom¬
men, in welchem der groͤßte Theil der Polyhi¬
ſtoren, von denen ich hier rede, ihre itzt ſo
ſcharfen Zaͤhne noch am Wolfszahn uͤbten,
oder gar noch Embrionen waren, ich habe es
nicht zu jenem Grade der Aufklaͤrung bringen
koͤnnen, und muß daher um Verzeyhung bit¬
ten, wenn ich hier einige Regeln zu geben
wage, die ziemlich nach der alten Mode ſchmek¬
ken werden — Doch zur Sache!
6.
Es giebt viel Dinge in dieſer Welt, die
ſich durchaus nicht anders als durch Erfahrung
ler¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/125>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.