tern; Wer Alters oder Schwächlichkeits halber den menschlichen Umgang fliehet; der bedarf keiner Regeln des Umgangs. Wir sollen daher so billig seyn, von niemand zu fordern, daß er sich nach unsern Sitten richte, sondern jedermann seinen Gang gehn lassen; denn da jedes Men¬ schen Glückseligkeit in seinen Begriffen von Glückseligkeit beruht; so ist es grausam, irgend Einen zwingen zu wollen, wider seinen Willen glücklich zu seyn. Es ist oft lustig anzusehn, wie ein Haufen leerer Köpfe sich über einen sehr verständigen Mann aufhält, der grade keinen Beruf fühlt, oder nicht aufgelegt ist, den Ton ihrer Gesellschaft anzunehmen, sondern mit sei¬ ner abgesonderten Existenz sehr wohl zufrieden, seine theure Zeit nicht jedem Narren preisgeben will. Wenn wir nicht grade Sclaven der Ge¬ sellschaft seyn wollen; so nehmen das die müßigen Leute, die nichts bessers zu thun wissen, als aus dem Bette vor den Spiegel, von da an Tafel, von da an den Spieltisch, von da wieder an Ta¬ fel und von da endlich in das Bette zu wandern, sehr übel, daß wir nicht wie sie leben, der Gesel¬ ligkeit nicht höhere Pflichten aufopfern wollen -- das ist eine Unart, deren man sich enthalten soll.
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tern; Wer Alters oder Schwaͤchlichkeits halber den menſchlichen Umgang fliehet; der bedarf keiner Regeln des Umgangs. Wir ſollen daher ſo billig ſeyn, von niemand zu fordern, daß er ſich nach unſern Sitten richte, ſondern jedermann ſeinen Gang gehn laſſen; denn da jedes Men¬ ſchen Gluͤckſeligkeit in ſeinen Begriffen von Gluͤckſeligkeit beruht; ſo iſt es grauſam, irgend Einen zwingen zu wollen, wider ſeinen Willen gluͤcklich zu ſeyn. Es iſt oft luſtig anzuſehn, wie ein Haufen leerer Koͤpfe ſich uͤber einen ſehr verſtaͤndigen Mann aufhaͤlt, der grade keinen Beruf fuͤhlt, oder nicht aufgelegt iſt, den Ton ihrer Geſellſchaft anzunehmen, ſondern mit ſei¬ ner abgeſonderten Exiſtenz ſehr wohl zufrieden, ſeine theure Zeit nicht jedem Narren preisgeben will. Wenn wir nicht grade Sclaven der Ge¬ ſellſchaft ſeyn wollen; ſo nehmen das die muͤßigen Leute, die nichts beſſers zu thun wiſſen, als aus dem Bette vor den Spiegel, von da an Tafel, von da an den Spieltiſch, von da wieder an Ta¬ fel und von da endlich in das Bette zu wandern, ſehr uͤbel, daß wir nicht wie ſie leben, der Geſel¬ ligkeit nicht hoͤhere Pflichten aufopfern wollen — das iſt eine Unart, deren man ſich enthalten ſoll.
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tern; Wer Alters oder Schwaͤchlichkeits halber
den menſchlichen Umgang fliehet; der bedarf
keiner Regeln des Umgangs. Wir ſollen daher
ſo billig ſeyn, von niemand zu fordern, daß er
ſich nach unſern Sitten richte, ſondern jedermann
ſeinen Gang gehn laſſen; denn da jedes Men¬
ſchen Gluͤckſeligkeit in ſeinen Begriffen von
Gluͤckſeligkeit beruht; ſo iſt es grauſam, irgend
Einen zwingen zu wollen, wider ſeinen Willen
gluͤcklich zu ſeyn. Es iſt oft luſtig anzuſehn,
wie ein Haufen leerer Koͤpfe ſich uͤber einen ſehr
verſtaͤndigen Mann aufhaͤlt, der grade keinen
Beruf fuͤhlt, oder nicht aufgelegt iſt, den Ton
ihrer Geſellſchaft anzunehmen, ſondern mit ſei¬
ner abgeſonderten Exiſtenz ſehr wohl zufrieden,
ſeine theure Zeit nicht jedem Narren preisgeben
will. Wenn wir nicht grade Sclaven der Ge¬
ſellſchaft ſeyn wollen; ſo nehmen das die muͤßigen
Leute, die nichts beſſers zu thun wiſſen, als aus
dem Bette vor den Spiegel, von da an Tafel,
von da an den Spieltiſch, von da wieder an Ta¬
fel und von da endlich in das Bette zu wandern,
ſehr uͤbel, daß wir nicht wie ſie leben, der Geſel¬
ligkeit nicht hoͤhere Pflichten aufopfern wollen —
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/111>, abgerufen am 23.11.2024.
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