I. Einleitung. §. 4. Schwierigkeit der Gesetzgebung.
fassungen streng geschieden gegenüber, deren jede zahlreiche Anhänger und namhafte Vertheidiger zählt.
Nach der einen Meinung ist das geistige Eigenthum voll- ständig dem körperlichen Eigenthume analog, folglich als ein dingliches Recht an einem unkörperlichen Gegenstande zu betrachten. Nach Andern beruht dasselbe auf einem ver- tragsmässigen Vorbehalte, welcher bei der Herausgabe des Buches (Kunstwerkes oder patentirten Gegenstandes) jedem Erwerber eines Exemplares gegenüber stillschweigend gemacht wird und die weitere Vervielfältigung untersagt. Nach der dritten Ansicht hat das geistige Eigenthum seine Grund- lage in dem Rechte der Persönlichkeit des Au- tors, welches durch die widerrechtliche Vervielfältigung wie durch ein Delict gekränkt wird. Eine vierte Meinung end- lich bezeichnet den Rechtsschutz des geistigen Eigenthumes als eine polizeiliche Massregel, welche aus Gründen der Zweckmässigkeit und des öffentlichen Nutzens eingeführt sei, ohne dass der Gegenstand dieses Schutzes an sich als ein Rechtsverhältniss bezeichnet werden könne.
Diese Verschiedenheit der Meinungen ist dadurch beson- ders ausgezeichnet, dass das geistige Eigenthum unter die ver- schiedenartigsten, ja unter gerade entgegengesetzte Kategorien subsumirt wird, indem es wechselweise als dingliches Recht und als Forderungsrecht, als Vertrags- und als Delictsobliga- tion, als Ausfluss des Rechtes der Persönlichkeit und als blosses Privilegium bezeichnet wird. Ein solcher Streit der Meinungen hat nicht nur eine sehr mannigfaltige Terminologie zur Folge, so dass viele namhafte Juristen lebhaft gegen den Gebrauch der doch ziemlich allgemein recipirten Bezeichnung des geistigen Eigenthumes selbst eifern; er führt auch zu sehr verschiedenen practischen Resultaten in der Auslegung und in der Anwendung der Gesetze. Wenn daher auch einige Schrift- steller versuchen, jede rechtsphilosophische Erörterung der Grundbegriffe des geistigen Eigenthumes zu vermeiden und als Grundlage der Erörterung das practische Bedürfniss und das allgemeine Gewohnheitsrecht zu wählen, aus welchem die Ge- setzgebung über das geistige Eigenthum hervorgegangen ist, so ist doch die Untersuchung über den Begriff des geistigen Eigenthumes auch vom practischen Standpunkte aus nicht ab- zuweisen, da es nicht möglich ist, eine sichere Grundlage für
I. Einleitung. §. 4. Schwierigkeit der Gesetzgebung.
fassungen streng geschieden gegenüber, deren jede zahlreiche Anhänger und namhafte Vertheidiger zählt.
Nach der einen Meinung ist das geistige Eigenthum voll- ständig dem körperlichen Eigenthume analog, folglich als ein dingliches Recht an einem unkörperlichen Gegenstande zu betrachten. Nach Andern beruht dasselbe auf einem ver- tragsmässigen Vorbehalte, welcher bei der Herausgabe des Buches (Kunstwerkes oder patentirten Gegenstandes) jedem Erwerber eines Exemplares gegenüber stillschweigend gemacht wird und die weitere Vervielfältigung untersagt. Nach der dritten Ansicht hat das geistige Eigenthum seine Grund- lage in dem Rechte der Persönlichkeit des Au- tors, welches durch die widerrechtliche Vervielfältigung wie durch ein Delict gekränkt wird. Eine vierte Meinung end- lich bezeichnet den Rechtsschutz des geistigen Eigenthumes als eine polizeiliche Massregel, welche aus Gründen der Zweckmässigkeit und des öffentlichen Nutzens eingeführt sei, ohne dass der Gegenstand dieses Schutzes an sich als ein Rechtsverhältniss bezeichnet werden könne.
Diese Verschiedenheit der Meinungen ist dadurch beson- ders ausgezeichnet, dass das geistige Eigenthum unter die ver- schiedenartigsten, ja unter gerade entgegengesetzte Kategorien subsumirt wird, indem es wechselweise als dingliches Recht und als Forderungsrecht, als Vertrags- und als Delictsobliga- tion, als Ausfluss des Rechtes der Persönlichkeit und als blosses Privilegium bezeichnet wird. Ein solcher Streit der Meinungen hat nicht nur eine sehr mannigfaltige Terminologie zur Folge, so dass viele namhafte Juristen lebhaft gegen den Gebrauch der doch ziemlich allgemein recipirten Bezeichnung des geistigen Eigenthumes selbst eifern; er führt auch zu sehr verschiedenen practischen Resultaten in der Auslegung und in der Anwendung der Gesetze. Wenn daher auch einige Schrift- steller versuchen, jede rechtsphilosophische Erörterung der Grundbegriffe des geistigen Eigenthumes zu vermeiden und als Grundlage der Erörterung das practische Bedürfniss und das allgemeine Gewohnheitsrecht zu wählen, aus welchem die Ge- setzgebung über das geistige Eigenthum hervorgegangen ist, so ist doch die Untersuchung über den Begriff des geistigen Eigenthumes auch vom practischen Standpunkte aus nicht ab- zuweisen, da es nicht möglich ist, eine sichere Grundlage für
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I. Einleitung. §. 4. Schwierigkeit der Gesetzgebung.
fassungen streng geschieden gegenüber, deren jede zahlreiche
Anhänger und namhafte Vertheidiger zählt.
Nach der einen Meinung ist das geistige Eigenthum voll-
ständig dem körperlichen Eigenthume analog, folglich als ein
dingliches Recht an einem unkörperlichen Gegenstande zu
betrachten. Nach Andern beruht dasselbe auf einem ver-
tragsmässigen Vorbehalte, welcher bei der Herausgabe
des Buches (Kunstwerkes oder patentirten Gegenstandes) jedem
Erwerber eines Exemplares gegenüber stillschweigend gemacht
wird und die weitere Vervielfältigung untersagt. Nach der
dritten Ansicht hat das geistige Eigenthum seine Grund-
lage in dem Rechte der Persönlichkeit des Au-
tors, welches durch die widerrechtliche Vervielfältigung wie
durch ein Delict gekränkt wird. Eine vierte Meinung end-
lich bezeichnet den Rechtsschutz des geistigen Eigenthumes als
eine polizeiliche Massregel, welche aus Gründen der
Zweckmässigkeit und des öffentlichen Nutzens eingeführt sei,
ohne dass der Gegenstand dieses Schutzes an sich als ein
Rechtsverhältniss bezeichnet werden könne.
Diese Verschiedenheit der Meinungen ist dadurch beson-
ders ausgezeichnet, dass das geistige Eigenthum unter die ver-
schiedenartigsten, ja unter gerade entgegengesetzte Kategorien
subsumirt wird, indem es wechselweise als dingliches Recht
und als Forderungsrecht, als Vertrags- und als Delictsobliga-
tion, als Ausfluss des Rechtes der Persönlichkeit und als
blosses Privilegium bezeichnet wird. Ein solcher Streit der
Meinungen hat nicht nur eine sehr mannigfaltige Terminologie
zur Folge, so dass viele namhafte Juristen lebhaft gegen den
Gebrauch der doch ziemlich allgemein recipirten Bezeichnung
des geistigen Eigenthumes selbst eifern; er führt auch zu sehr
verschiedenen practischen Resultaten in der Auslegung und in
der Anwendung der Gesetze. Wenn daher auch einige Schrift-
steller versuchen, jede rechtsphilosophische Erörterung der
Grundbegriffe des geistigen Eigenthumes zu vermeiden und als
Grundlage der Erörterung das practische Bedürfniss und das
allgemeine Gewohnheitsrecht zu wählen, aus welchem die Ge-
setzgebung über das geistige Eigenthum hervorgegangen ist,
so ist doch die Untersuchung über den Begriff des geistigen
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Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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