Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Mitten in Stürmen, die er aus allen Welten herbeyrief,
Rauscht er zum Sieg unaufhaltsam daher. Ach fliehe nur,
Satan!

Fliehe, damit er dich nicht mit seinem allmächtigen Don-
ner

Ungestüm fasse, bis du durch tausend Erden geworfen,
Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unerweßlichen liegest.
Seht, so dacht ich, ihr Götter; allein ihm gefiel es noch
itzo,

Daß er ein Mensch blieb, ein weinendes Kind, wie die
Söhne der Erde,

Die schon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.
Zwar sang um seine Geburtszeit ein Chor der himmlischen
Geister.
(Denn sie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu sehen,

Wo wir herrschen; da Hügel der Todten und Grüfte zu
sehen,

Wo vordem Paradiese nur stunden: dann kehren sie
thränend,

Um sich zu trösten, mit feyrenden Liedern gen Himmel
zurücke;

Also war es auch itzt) Sie eilten, und liessen den Knaben,
Oder hört ihrs so lieber, die weinende Gottheit, alleine.
Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.
Einen so furchtsamen Feind zu verfolgen, war meiner
nicht würdig.

Unterdeß ließ ich, nicht müßig zu seyn, durch meinen Er-
wählten,

Meinen König, und Opferpriester Herodes, zu Bethlem
Säuglinge würgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden
Winseln,

Und

Der Meſſias.

Mitten in Stuͤrmen, die er aus allen Welten herbeyrief,
Rauſcht er zum Sieg unaufhaltſam daher. Ach fliehe nur,
Satan!

Fliehe, damit er dich nicht mit ſeinem allmaͤchtigen Don-
ner

Ungeſtuͤm faſſe, bis du durch tauſend Erden geworfen,
Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unerweßlichen liegeſt.
Seht, ſo dacht ich, ihr Goͤtter; allein ihm gefiel es noch
itzo,

Daß er ein Menſch blieb, ein weinendes Kind, wie die
Soͤhne der Erde,

Die ſchon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.
Zwar ſang um ſeine Geburtszeit ein Chor der himmliſchen
Geiſter.
(Denn ſie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu ſehen,

Wo wir herrſchen; da Huͤgel der Todten und Gruͤfte zu
ſehen,

Wo vordem Paradieſe nur ſtunden: dann kehren ſie
thraͤnend,

Um ſich zu troͤſten, mit feyrenden Liedern gen Himmel
zuruͤcke;

Alſo war es auch itzt) Sie eilten, und lieſſen den Knaben,
Oder hoͤrt ihrs ſo lieber, die weinende Gottheit, alleine.
Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.
Einen ſo furchtſamen Feind zu verfolgen, war meiner
nicht wuͤrdig.

Unterdeß ließ ich, nicht muͤßig zu ſeyn, durch meinen Er-
waͤhlten,

Meinen Koͤnig, und Opferprieſter Herodes, zu Bethlem
Saͤuglinge wuͤrgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden
Winſeln,

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="21">
          <l>
            <pb facs="#f0076" n="72"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Mitten in Stu&#x0364;rmen, die er aus allen Welten herbeyrief,</l><lb/>
          <l>Rau&#x017F;cht er zum Sieg unaufhalt&#x017F;am daher. Ach fliehe nur,<lb/><hi rendition="#et">Satan!</hi></l><lb/>
          <l>Fliehe, damit er dich nicht mit &#x017F;einem allma&#x0364;chtigen Don-<lb/><hi rendition="#et">ner</hi></l><lb/>
          <l>Unge&#x017F;tu&#x0364;m fa&#x017F;&#x017F;e, bis du durch tau&#x017F;end Erden geworfen,</l><lb/>
          <l>Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unerweßlichen liege&#x017F;t.</l><lb/>
          <l>Seht, &#x017F;o dacht ich, ihr Go&#x0364;tter; allein ihm gefiel es noch<lb/><hi rendition="#et">itzo,</hi></l><lb/>
          <l>Daß er ein Men&#x017F;ch blieb, ein weinendes Kind, wie die<lb/><hi rendition="#et">So&#x0364;hne der Erde,</hi></l><lb/>
          <l>Die &#x017F;chon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen.</l><lb/>
          <l>Zwar &#x017F;ang um &#x017F;eine Geburtszeit ein Chor der himmli&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#et">Gei&#x017F;ter.</hi><lb/>
(Denn &#x017F;ie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu &#x017F;ehen,</l><lb/>
          <l>Wo wir herr&#x017F;chen; da Hu&#x0364;gel der Todten und Gru&#x0364;fte zu<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehen,</hi></l><lb/>
          <l>Wo vordem Paradie&#x017F;e nur &#x017F;tunden: dann kehren &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#et">thra&#x0364;nend,</hi></l><lb/>
          <l>Um &#x017F;ich zu tro&#x0364;&#x017F;ten, mit feyrenden Liedern gen Himmel<lb/><hi rendition="#et">zuru&#x0364;cke;</hi></l><lb/>
          <l>Al&#x017F;o war es auch itzt) Sie eilten, und lie&#x017F;&#x017F;en den Knaben,</l><lb/>
          <l>Oder ho&#x0364;rt ihrs &#x017F;o lieber, die weinende Gottheit, alleine.</l><lb/>
          <l>Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen.</l><lb/>
          <l>Einen &#x017F;o furcht&#x017F;amen Feind zu verfolgen, war meiner<lb/><hi rendition="#et">nicht wu&#x0364;rdig.</hi></l><lb/>
          <l>Unterdeß ließ ich, nicht mu&#x0364;ßig zu &#x017F;eyn, durch meinen Er-<lb/><hi rendition="#et">wa&#x0364;hlten,</hi></l><lb/>
          <l>Meinen Ko&#x0364;nig, und Opferprie&#x017F;ter Herodes, zu Bethlem</l><lb/>
          <l>Sa&#x0364;uglinge wu&#x0364;rgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden<lb/><hi rendition="#et">Win&#x017F;eln,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0076] Der Meſſias. Mitten in Stuͤrmen, die er aus allen Welten herbeyrief, Rauſcht er zum Sieg unaufhaltſam daher. Ach fliehe nur, Satan! Fliehe, damit er dich nicht mit ſeinem allmaͤchtigen Don- ner Ungeſtuͤm faſſe, bis du durch tauſend Erden geworfen, Sinnlos bezwungen, ja todt, im Unerweßlichen liegeſt. Seht, ſo dacht ich, ihr Goͤtter; allein ihm gefiel es noch itzo, Daß er ein Menſch blieb, ein weinendes Kind, wie die Soͤhne der Erde, Die ſchon bey ihrer Geburt um ihre Sterblichkeit weinen. Zwar ſang um ſeine Geburtszeit ein Chor der himmliſchen Geiſter. (Denn ſie kommen bisweilen hernieder, die Erde zu ſehen, Wo wir herrſchen; da Huͤgel der Todten und Gruͤfte zu ſehen, Wo vordem Paradieſe nur ſtunden: dann kehren ſie thraͤnend, Um ſich zu troͤſten, mit feyrenden Liedern gen Himmel zuruͤcke; Alſo war es auch itzt) Sie eilten, und lieſſen den Knaben, Oder hoͤrt ihrs ſo lieber, die weinende Gottheit, alleine. Drauf entfloh er vor mir, ich ließ ihn immer entfliehen. Einen ſo furchtſamen Feind zu verfolgen, war meiner nicht wuͤrdig. Unterdeß ließ ich, nicht muͤßig zu ſeyn, durch meinen Er- waͤhlten, Meinen Koͤnig, und Opferprieſter Herodes, zu Bethlem Saͤuglinge wuͤrgen. Das rinnende Blut, der Sterbenden Winſeln, Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/76
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/76>, abgerufen am 23.11.2024.