Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.Erster Gesang. Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungeneinsieht; Jch will leiden, den furchtbarsten Tod will ich, Ewiger, leiden! Weiter sagt er und sprach: Jch hebe gen Himmel mein Haupt auf, Meine Hand in die Wolken, und schwöre dir bey mir selber, Der ich GOtt bin, wie du: Jch will die Menschen erlö- sen! JEsus sprachs, und stand auf, und in seinem Antlitz war Hoheit, Und erbarmender Ernst, und Seelenruh, als er vor GOtt stand. Und, unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen, Sprach der ewige Vater, und wandte sein ernstes Gesichte Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel, Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und sag: Jch bin ewig! Sag, und schwöre dir, Sohn: Jch will die Sünde ver- geben! Also sprach er, und schwieg. Jndem die Ewigen spra- chen, Gieng durch die ganze Ratur ein ehrfurchtvolles Erbe- ben. Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begon- nen, Zitter-
Erſter Geſang. Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungeneinſieht; Jch will leiden, den furchtbarſten Tod will ich, Ewiger, leiden! Weiter ſagt er und ſprach: Jch hebe gen Himmel mein Haupt auf, Meine Hand in die Wolken, und ſchwoͤre dir bey mir ſelber, Der ich GOtt bin, wie du: Jch will die Menſchen erloͤ- ſen! JEſus ſprachs, und ſtand auf, und in ſeinem Antlitz war Hoheit, Und erbarmender Ernſt, und Seelenruh, als er vor GOtt ſtand. Und, unhoͤrbar den Engeln, nur ſich und dem Sohne vernommen, Sprach der ewige Vater, und wandte ſein ernſtes Geſichte Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die Himmel, Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch bin ewig! Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: Jch will die Suͤnde ver- geben! Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſpra- chen, Gieng durch die ganze Ratur ein ehrfurchtvolles Erbe- ben. Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begon- nen, Zitter-
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Erſter Geſang.
Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen
einſieht;
Jch will leiden, den furchtbarſten Tod will ich, Ewiger,
leiden!
Weiter ſagt er und ſprach: Jch hebe gen Himmel mein
Haupt auf,
Meine Hand in die Wolken, und ſchwoͤre dir bey mir ſelber,
Der ich GOtt bin, wie du: Jch will die Menſchen erloͤ-
ſen!
JEſus ſprachs, und ſtand auf, und in ſeinem Antlitz
war Hoheit,
Und erbarmender Ernſt, und Seelenruh, als er vor GOtt
ſtand.
Und, unhoͤrbar den Engeln, nur ſich und dem Sohne
vernommen,
Sprach der ewige Vater, und wandte ſein ernſtes Geſichte
Gegen den Meßias: Jch breite mein Haupt durch die
Himmel,
Meinen Arm durch die Unendlichkeit aus, und ſag: Jch
bin ewig!
Sag, und ſchwoͤre dir, Sohn: Jch will die Suͤnde ver-
geben!
Alſo ſprach er, und ſchwieg. Jndem die Ewigen ſpra-
chen,
Gieng durch die ganze Ratur ein ehrfurchtvolles Erbe-
ben.
Seelen, die itzt wurden, die noch nicht zu denken begon-
nen,
Zitter-
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Zitationshilfe: | Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/15>, abgerufen am 17.02.2025. |