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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

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Dritter Gesang.
Theurer Seraph, was sagt denn der Mittler, sprach
Selia ferner,

Ach was sagt denn der göttliche Mittler von seinem Ver-
lornen?

Kann er den Verruchten vor seinem Gesichte noch sehen?
Liebt er ihn noch? Und wenn er ihn liebt, wie entdeckt
er sein Mitleid?
Selia, du zwingst mich, ich muß dir alles entdecken,
Was ich so gern vor mir selbst, vor dir, und den Engeln
verbürge.

JEsus liebt den Unwürdigen noch. Voll sorgsamer Liebe,
Zwar mit Worten nicht, aber mit Blicken der göttlichsten
Freundschaft,

Sagt er ihm jüngst, bey einem zufriednen vertraulichen
Mahle,

Vor der Versammlung der Jünger, er sey es, er werd
ihn verrathen.

Theurer Seraph, er wird ihn verrathen! Der Strafbare
fühlte

JEsu erbarmende Blicke nicht mehr. Er wird ihn ver-
rathen!

Selia, siehe, da kömmt er herauf. Jch will den Ver-
ruchten

Ferner nicht sehn, komm mit mir. Jthuriel sagt es, und
eilte.

Selia folgte betrübt. Johannes zweyter Beschützer,
Salem, ein himmlischer Jüngling, begleitete beyde von
ferne.

JEsus gab dem geliebten Johannes zween heilige Wäch-
ter,
Raphael,
H 5
Dritter Geſang.
Theurer Seraph, was ſagt denn der Mittler, ſprach
Selia ferner,

Ach was ſagt denn der goͤttliche Mittler von ſeinem Ver-
lornen?

Kann er den Verruchten vor ſeinem Geſichte noch ſehen?
Liebt er ihn noch? Und wenn er ihn liebt, wie entdeckt
er ſein Mitleid?
Selia, du zwingſt mich, ich muß dir alles entdecken,
Was ich ſo gern vor mir ſelbſt, vor dir, und den Engeln
verbuͤrge.

JEſus liebt den Unwuͤrdigen noch. Voll ſorgſamer Liebe,
Zwar mit Worten nicht, aber mit Blicken der goͤttlichſten
Freundſchaft,

Sagt er ihm juͤngſt, bey einem zufriednen vertraulichen
Mahle,

Vor der Verſammlung der Juͤnger, er ſey es, er werd
ihn verrathen.

Theurer Seraph, er wird ihn verrathen! Der Strafbare
fuͤhlte

JEſu erbarmende Blicke nicht mehr. Er wird ihn ver-
rathen!

Selia, ſiehe, da koͤmmt er herauf. Jch will den Ver-
ruchten

Ferner nicht ſehn, komm mit mir. Jthuriel ſagt es, und
eilte.

Selia folgte betruͤbt. Johannes zweyter Beſchuͤtzer,
Salem, ein himmliſcher Juͤngling, begleitete beyde von
ferne.

JEſus gab dem geliebten Johannes zween heilige Waͤch-
ter,
Raphael,
H 5
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[121/0125] Dritter Geſang. Theurer Seraph, was ſagt denn der Mittler, ſprach Selia ferner, Ach was ſagt denn der goͤttliche Mittler von ſeinem Ver- lornen? Kann er den Verruchten vor ſeinem Geſichte noch ſehen? Liebt er ihn noch? Und wenn er ihn liebt, wie entdeckt er ſein Mitleid? Selia, du zwingſt mich, ich muß dir alles entdecken, Was ich ſo gern vor mir ſelbſt, vor dir, und den Engeln verbuͤrge. JEſus liebt den Unwuͤrdigen noch. Voll ſorgſamer Liebe, Zwar mit Worten nicht, aber mit Blicken der goͤttlichſten Freundſchaft, Sagt er ihm juͤngſt, bey einem zufriednen vertraulichen Mahle, Vor der Verſammlung der Juͤnger, er ſey es, er werd ihn verrathen. Theurer Seraph, er wird ihn verrathen! Der Strafbare fuͤhlte JEſu erbarmende Blicke nicht mehr. Er wird ihn ver- rathen! Selia, ſiehe, da koͤmmt er herauf. Jch will den Ver- ruchten Ferner nicht ſehn, komm mit mir. Jthuriel ſagt es, und eilte. Selia folgte betruͤbt. Johannes zweyter Beſchuͤtzer, Salem, ein himmliſcher Juͤngling, begleitete beyde von ferne. JEſus gab dem geliebten Johannes zween heilige Waͤch- ter, Raphael, H 5

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/125>, abgerufen am 27.11.2024.