Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.Der Messias. Selia hieng noch mit thräuendem Blick, und zärtlichem Mitleid Ueber ihm, als noch ein Jünger gleich gegen ihn über heraufftieg. Nennet mir auch jenen, so sagt er, da kömmt er am Berge Zu uns herauf. Jhm fällt ein schwarzes lockichtes Haupthaar; Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernstes Ge- sichte Jst voll männlicher Schöne. Dies Haupt, das über die Häupter Aller Jünger hervorragt, vollendet sein männliches An- sehn. Aber darf ichs wohl sagen, und irr ich nicht, himmlische Freunde? Wenn ich in diesem Zuge des Angesichts Unruh ent- decke, Und in jenem nicht edles genung. Nein, er ist ja ein Jünger, Und er wird ja mit JEsu dereinst das Weltgericht hal- ten! Doch ihr schweiget, Unsterbliche? Keiner von meinen Geliebten Sagt mir ein Wort? Ach warum schweigt ihr, himm- lische Freunde? Hab ich euch etwa betrübt, daß ich diesen Jünger ver- kannte? Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Jünger, Zürne du nicht, ich will, wenn du einst als Märtyrer GOtt ehrst, Und
Der Meſſias. Selia hieng noch mit thraͤuendem Blick, und zaͤrtlichem Mitleid Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber heraufftieg. Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am Berge Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes Haupthaar; Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Ge- ſichte Jſt voll maͤnnlicher Schoͤne. Dies Haupt, das uͤber die Haͤupter Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches An- ſehn. Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche Freunde? Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh ent- decke, Und in jenem nicht edles genung. Nein, er iſt ja ein Juͤnger, Und er wird ja mit JEſu dereinſt das Weltgericht hal- ten! Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen Geliebten Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himm- liſche Freunde? Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger ver- kannte? Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger, Zuͤrne du nicht, ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer GOtt ehrſt, Und
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Der Meſſias.
Selia hieng noch mit thraͤuendem Blick, und zaͤrtlichem
Mitleid
Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber
heraufftieg.
Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am
Berge
Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes
Haupthaar;
Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Ge-
ſichte
Jſt voll maͤnnlicher Schoͤne. Dies Haupt, das uͤber die
Haͤupter
Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches An-
ſehn.
Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche
Freunde?
Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh ent-
decke,
Und in jenem nicht edles genung. Nein, er iſt ja ein
Juͤnger,
Und er wird ja mit JEſu dereinſt das Weltgericht hal-
ten!
Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen
Geliebten
Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himm-
liſche Freunde?
Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger ver-
kannte?
Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger,
Zuͤrne du nicht, ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer
GOtt ehrſt,
Und
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