[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.Sechzehnter Gesang. Jhn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der göttliche sagte:Seele, wer bist du?.. Der Todte hub sich: Bist du der Götter Einer des Himmels; so wisse, daß ich der Erdegötter Einer bin! und daß kein Gott dem Gotte gehorchet! Christus sah umher in der Schaar, die um ihn herumstand; Samed wars, den der Wink des Mittlers erkohr. So gebot er: Richt' ihn, Samed. Da gieng in Sameds Angesicht Freude, Wie ein Morgen des Frühlinges, auf. Schon wußte des Knabens Seele, wie kühn der bitten dürfte, den, über die Todten Auszusprechen Entscheidung, der Gottversöhner erwählte. Und er sank, und betet' und ward erhöret. Da wandt' er Sich zu dem Todten, und sprach: Des Abgrunds niedrigsten Sklaven Sollst du dienen, Empörer! die tief an die untersten Stufen Deines Thrones sich stürzten, von dort wegschlichen, und traten Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten, Diesen! Jhr zweifelnder Wink schon soll den Fuß dir beflügeln! Dich anklagen der Säumniß, die wahnsinntrunkene Fodrung! ... Und der Gerichtete fühlt' auf Einmal sich schwerer, und sank, so Ueberlastet, hinab, wo der Sklaven Winke sein harrten. Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundschaft Bunde, mit Seba gelebt. Und jezt ward ihnen, was selten Freunden ward. Sie starben zugleich. Mit sichrer Erwartung Jener Herrlichkeit, Seba: mit Reu, und Befürchtung, und Demuth, Zoar. Anders sinket und steigt die Wage des Richters, Als des Menschen. Da sie zum Gericht der Unsterbliche führte, Sprachen sie unter einander: O Loos des himmlischen Lebens! Ach wie ist uns so lieblich das Loos des himmlischen Lebens, Zoar,
Sechzehnter Geſang. Jhn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der goͤttliche ſagte:Seele, wer biſt du?.. Der Todte hub ſich: Biſt du der Goͤtter Einer des Himmels; ſo wiſſe, daß ich der Erdegoͤtter Einer bin! und daß kein Gott dem Gotte gehorchet! Chriſtus ſah umher in der Schaar, die um ihn herumſtand; Samed wars, den der Wink des Mittlers erkohr. So gebot er: Richt’ ihn, Samed. Da gieng in Sameds Angeſicht Freude, Wie ein Morgen des Fruͤhlinges, auf. Schon wußte des Knabens Seele, wie kuͤhn der bitten duͤrfte, den, uͤber die Todten Auszuſprechen Entſcheidung, der Gottverſoͤhner erwaͤhlte. Und er ſank, und betet’ und ward erhoͤret. Da wandt’ er Sich zu dem Todten, und ſprach: Des Abgrunds niedrigſten Sklaven Sollſt du dienen, Empoͤrer! die tief an die unterſten Stufen Deines Thrones ſich ſtuͤrzten, von dort wegſchlichen, und traten Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten, Dieſen! Jhr zweifelnder Wink ſchon ſoll den Fuß dir befluͤgeln! Dich anklagen der Saͤumniß, die wahnſinntrunkene Fodrung! … Und der Gerichtete fuͤhlt’ auf Einmal ſich ſchwerer, und ſank, ſo Ueberlaſtet, hinab, wo der Sklaven Winke ſein harrten. Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundſchaft Bunde, mit Seba gelebt. Und jezt ward ihnen, was ſelten Freunden ward. Sie ſtarben zugleich. Mit ſichrer Erwartung Jener Herrlichkeit, Seba: mit Reu, und Befuͤrchtung, und Demuth, Zoar. Anders ſinket und ſteigt die Wage des Richters, Als des Menſchen. Da ſie zum Gericht der Unſterbliche fuͤhrte, Sprachen ſie unter einander: O Loos des himmliſchen Lebens! Ach wie iſt uns ſo lieblich das Loos des himmliſchen Lebens, Zoar,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="37"> <pb facs="#f0043" n="43"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechzehnter Geſang.</hi> </fw><lb/> <l>Jhn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der goͤttliche ſagte:</l><lb/> <l>Seele, wer biſt du?.. Der Todte hub ſich: Biſt du der Goͤtter</l><lb/> <l>Einer des Himmels; ſo wiſſe, daß ich der Erdegoͤtter</l><lb/> <l>Einer bin! und daß kein Gott dem Gotte gehorchet!</l> </lg><lb/> <lg n="38"> <l>Chriſtus ſah umher in der Schaar, die um ihn herumſtand;</l><lb/> <l>Samed wars, den der Wink des Mittlers erkohr. So gebot er:</l> </lg><lb/> <lg n="39"> <l>Richt’ ihn, Samed. Da gieng in Sameds Angeſicht Freude,</l><lb/> <l>Wie ein Morgen des Fruͤhlinges, auf. Schon wußte des Knabens</l><lb/> <l>Seele, wie kuͤhn der bitten duͤrfte, den, uͤber die Todten</l><lb/> <l>Auszuſprechen Entſcheidung, der Gottverſoͤhner erwaͤhlte.</l><lb/> <l>Und er ſank, und betet’ und ward erhoͤret. Da wandt’ er</l><lb/> <l>Sich zu dem Todten, und ſprach: Des Abgrunds niedrigſten Sklaven</l><lb/> <l>Sollſt du dienen, Empoͤrer! die tief an die unterſten Stufen</l><lb/> <l>Deines Thrones ſich ſtuͤrzten, von dort wegſchlichen, und traten</l><lb/> <l>Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten,</l><lb/> <l>Dieſen! Jhr zweifelnder Wink ſchon ſoll den Fuß dir befluͤgeln!</l><lb/> <l>Dich anklagen der Saͤumniß, die wahnſinntrunkene Fodrung! …</l> </lg><lb/> <lg n="40"> <l>Und der Gerichtete fuͤhlt’ auf Einmal ſich ſchwerer, und ſank, ſo</l><lb/> <l>Ueberlaſtet, hinab, wo der Sklaven Winke ſein harrten.</l> </lg><lb/> <lg n="41"> <l>Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundſchaft</l><lb/> <l>Bunde, mit Seba gelebt. Und jezt ward ihnen, was ſelten</l><lb/> <l>Freunden ward. Sie ſtarben zugleich. Mit ſichrer Erwartung</l><lb/> <l>Jener Herrlichkeit, Seba: mit Reu, und Befuͤrchtung, und Demuth,</l><lb/> <l>Zoar. Anders ſinket und ſteigt die Wage des Richters,</l><lb/> <l>Als des Menſchen. Da ſie zum Gericht der Unſterbliche fuͤhrte,</l><lb/> <l>Sprachen ſie unter einander: O Loos des himmliſchen Lebens!</l><lb/> <l>Ach wie iſt uns ſo lieblich das Loos des himmliſchen Lebens,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zoar,</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0043]
Sechzehnter Geſang.
Jhn vor des Richtenden Fuß in den Staub. Der goͤttliche ſagte:
Seele, wer biſt du?.. Der Todte hub ſich: Biſt du der Goͤtter
Einer des Himmels; ſo wiſſe, daß ich der Erdegoͤtter
Einer bin! und daß kein Gott dem Gotte gehorchet!
Chriſtus ſah umher in der Schaar, die um ihn herumſtand;
Samed wars, den der Wink des Mittlers erkohr. So gebot er:
Richt’ ihn, Samed. Da gieng in Sameds Angeſicht Freude,
Wie ein Morgen des Fruͤhlinges, auf. Schon wußte des Knabens
Seele, wie kuͤhn der bitten duͤrfte, den, uͤber die Todten
Auszuſprechen Entſcheidung, der Gottverſoͤhner erwaͤhlte.
Und er ſank, und betet’ und ward erhoͤret. Da wandt’ er
Sich zu dem Todten, und ſprach: Des Abgrunds niedrigſten Sklaven
Sollſt du dienen, Empoͤrer! die tief an die unterſten Stufen
Deines Thrones ſich ſtuͤrzten, von dort wegſchlichen, und traten
Auf den Nacken der Unterjochten, der leidenden Guten,
Dieſen! Jhr zweifelnder Wink ſchon ſoll den Fuß dir befluͤgeln!
Dich anklagen der Saͤumniß, die wahnſinntrunkene Fodrung! …
Und der Gerichtete fuͤhlt’ auf Einmal ſich ſchwerer, und ſank, ſo
Ueberlaſtet, hinab, wo der Sklaven Winke ſein harrten.
Zoar hatte, vereint in langer daurender Freundſchaft
Bunde, mit Seba gelebt. Und jezt ward ihnen, was ſelten
Freunden ward. Sie ſtarben zugleich. Mit ſichrer Erwartung
Jener Herrlichkeit, Seba: mit Reu, und Befuͤrchtung, und Demuth,
Zoar. Anders ſinket und ſteigt die Wage des Richters,
Als des Menſchen. Da ſie zum Gericht der Unſterbliche fuͤhrte,
Sprachen ſie unter einander: O Loos des himmliſchen Lebens!
Ach wie iſt uns ſo lieblich das Loos des himmliſchen Lebens,
Zoar,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |