[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.Neunzehnter Gesang. Graunvoll stand das Heer zu des Richters Linke. Vom Throne Schwebten die Todesengel herab, Verworfne zu führen Jn die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken Deß auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tausenden wälzten, Da sie schwebten, die Donnerwolken des hohen Gerichtstuhls Jhrem eilenden Fluge sich nach. Jn einsamer Stille, Und mit sterbendem Blick starr in die Tiefe gesenkt stand Abbadona. Jhm kam der Engel Einer des Todes Jmmer näher, und näher. Er sah den Cherub, und kannt' ihn, Und erhub sich zu sterben. Er schaute mit trüberem Auge Auf den Richter, und rief aus allen Tiefen der Seele. Gegen ihn wandte das ganze Geschlecht der Menschen sein Antlitz, Und der Richter vom Thron. So sprach anbetend der Seraph: Weil nun alles geschehn ist, und auf den letzten der Tage Diese Nacht der Ewigkeit folgt: so laß nur noch Einmal, Du, der sitzt auf dem Throne, mit diesen Thränen dich anschaun, Die, seit der Erde Geburt, mein brechendes Auge geweint hat. Schau vom Thron, wo du ruhst, du hast ja selber gelitten! Schau ins Elend herunter, wo wir Gerichteten stehen, Auf den verlassensten aller Erschaffnen! Jch bitte nicht Gnade; Aber laß um den Tod, Gottmensch Erbarmer, dich bitten. Siehe diesen Felsen umfaß ich! hier will ich mich halten, Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten führen. Tausend Donner sind um dich her, nimm einen der tausend, Waffn' ihn mit Allmacht, tödte mich, Sohn, um deiner Liebe, Deiner Erbarmungen willen, mit denen du heute begnadigst! Ach ich ward ja von dir auch mit den Gerechten erschaffen; Laß H 5
Neunzehnter Geſang. Graunvoll ſtand das Heer zu des Richters Linke. Vom Throne Schwebten die Todesengel herab, Verworfne zu fuͤhren Jn die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken Deß auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tauſenden waͤlzten, Da ſie ſchwebten, die Donnerwolken des hohen Gerichtſtuhls Jhrem eilenden Fluge ſich nach. Jn einſamer Stille, Und mit ſterbendem Blick ſtarr in die Tiefe geſenkt ſtand Abbadona. Jhm kam der Engel Einer des Todes Jmmer naͤher, und naͤher. Er ſah den Cherub, und kannt’ ihn, Und erhub ſich zu ſterben. Er ſchaute mit truͤberem Auge Auf den Richter, und rief aus allen Tiefen der Seele. Gegen ihn wandte das ganze Geſchlecht der Menſchen ſein Antlitz, Und der Richter vom Thron. So ſprach anbetend der Seraph: Weil nun alles geſchehn iſt, und auf den letzten der Tage Dieſe Nacht der Ewigkeit folgt: ſo laß nur noch Einmal, Du, der ſitzt auf dem Throne, mit dieſen Thraͤnen dich anſchaun, Die, ſeit der Erde Geburt, mein brechendes Auge geweint hat. Schau vom Thron, wo du ruhſt, du haſt ja ſelber gelitten! Schau ins Elend herunter, wo wir Gerichteten ſtehen, Auf den verlaſſenſten aller Erſchaffnen! Jch bitte nicht Gnade; Aber laß um den Tod, Gottmenſch Erbarmer, dich bitten. Siehe dieſen Felſen umfaß ich! hier will ich mich halten, Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten fuͤhren. Tauſend Donner ſind um dich her, nimm einen der tauſend, Waffn’ ihn mit Allmacht, toͤdte mich, Sohn, um deiner Liebe, Deiner Erbarmungen willen, mit denen du heute begnadigſt! Ach ich ward ja von dir auch mit den Gerechten erſchaffen; Laß H 5
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Neunzehnter Geſang.
Graunvoll ſtand das Heer zu des Richters Linke. Vom Throne
Schwebten die Todesengel herab, Verworfne zu fuͤhren
Jn die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken
Deß auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tauſenden waͤlzten,
Da ſie ſchwebten, die Donnerwolken des hohen Gerichtſtuhls
Jhrem eilenden Fluge ſich nach. Jn einſamer Stille,
Und mit ſterbendem Blick ſtarr in die Tiefe geſenkt ſtand
Abbadona. Jhm kam der Engel Einer des Todes
Jmmer naͤher, und naͤher. Er ſah den Cherub, und kannt’ ihn,
Und erhub ſich zu ſterben. Er ſchaute mit truͤberem Auge
Auf den Richter, und rief aus allen Tiefen der Seele.
Gegen ihn wandte das ganze Geſchlecht der Menſchen ſein Antlitz,
Und der Richter vom Thron. So ſprach anbetend der Seraph:
Weil nun alles geſchehn iſt, und auf den letzten der Tage
Dieſe Nacht der Ewigkeit folgt: ſo laß nur noch Einmal,
Du, der ſitzt auf dem Throne, mit dieſen Thraͤnen dich anſchaun,
Die, ſeit der Erde Geburt, mein brechendes Auge geweint hat.
Schau vom Thron, wo du ruhſt, du haſt ja ſelber gelitten!
Schau ins Elend herunter, wo wir Gerichteten ſtehen,
Auf den verlaſſenſten aller Erſchaffnen! Jch bitte nicht Gnade;
Aber laß um den Tod, Gottmenſch Erbarmer, dich bitten.
Siehe dieſen Felſen umfaß ich! hier will ich mich halten,
Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten fuͤhren.
Tauſend Donner ſind um dich her, nimm einen der tauſend,
Waffn’ ihn mit Allmacht, toͤdte mich, Sohn, um deiner Liebe,
Deiner Erbarmungen willen, mit denen du heute begnadigſt!
Ach ich ward ja von dir auch mit den Gerechten erſchaffen;
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