Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Messias.
Jezo ward mein Gesicht zu dunkeln Gestalten, die sliehend
Kamen, und fliehend verschwanden. Nun hört' ich Donner,
nun Harfen
Jezt die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken
Konnt' ich nicht fassen: denn einzelne Halle nur hört' ich ver-
nehmlich,
Und die andern versanken in rauschendem Strome der Donner.
Klagestimmen versinken also, wenn bebend die Erde
Städt' einstürzt, und der Staub der gestürzten gen Himmel em-
porsteigt.
Jmmer noch neue Gestalten, nie ganz enthüllet, Entstehung
Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald schnelleres Fluges,
Bald entschlich mir säumend die Zeit. Es däuchten mir Jahre,
Was mir also verschwand. Ein Auftritt ward mir enthüllet.
Kain sah ich in Riesengestalt; in Riesengestalten
Helden; die hatte Kain mit lastendem Eisen gefesselt:
Und der Fesseln dumpfes Geklirr verstummte die Donner!
Endlich waren vor mir die bewölkten Erscheinungen alle
Weggesunken, und sieh, ich sahe wieder Gesichte.
Weit umher verstummten die Todten. Jtzt kam Eloa,
Freute sich laut, da er gieng, den großen Befehl zu vollführen.
Könnt' ein Engel vom Tod erwachen, so würd' er erwachen!
So in Entzückung verloren, mit diesem Gange der Wonne,
Dieser Gebehrde des hohen Triumphs! Er gieng, aus den Schaaren
Heilige zu dem Throne des Gottversöhners zu führen.
ich die Kommenden sah, da waren's die Besten der Menschen,
Ehren meines Geschlechts! Jch stand vor ihrem Verdienst auf,
Da
Der Meſſias.
Jezo ward mein Geſicht zu dunkeln Geſtalten, die ſliehend
Kamen, und fliehend verſchwanden. Nun hoͤrt’ ich Donner,
nun Harfen
Jezt die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken
Konnt’ ich nicht faſſen: denn einzelne Halle nur hoͤrt’ ich ver-
nehmlich,
Und die andern verſanken in rauſchendem Strome der Donner.
Klageſtimmen verſinken alſo, wenn bebend die Erde
Staͤdt’ einſtuͤrzt, und der Staub der geſtuͤrzten gen Himmel em-
porſteigt.
Jmmer noch neue Geſtalten, nie ganz enthuͤllet, Entſtehung
Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald ſchnelleres Fluges,
Bald entſchlich mir ſaͤumend die Zeit. Es daͤuchten mir Jahre,
Was mir alſo verſchwand. Ein Auftritt ward mir enthuͤllet.
Kain ſah ich in Rieſengeſtalt; in Rieſengeſtalten
Helden; die hatte Kain mit laſtendem Eiſen gefeſſelt:
Und der Feſſeln dumpfes Geklirr verſtummte die Donner!
Endlich waren vor mir die bewoͤlkten Erſcheinungen alle
Weggeſunken, und ſieh, ich ſahe wieder Geſichte.
Weit umher verſtummten die Todten. Jtzt kam Eloa,
Freute ſich laut, da er gieng, den großen Befehl zu vollfuͤhren.
Koͤnnt’ ein Engel vom Tod erwachen, ſo wuͤrd’ er erwachen!
So in Entzuͤckung verloren, mit dieſem Gange der Wonne,
Dieſer Gebehrde des hohen Triumphs! Er gieng, aus den Schaaren
Heilige zu dem Throne des Gottverſoͤhners zu fuͤhren.
ich die Kommenden ſah, da waren’s die Beſten der Menſchen,
Ehren meines Geſchlechts! Jch ſtand vor ihrem Verdienſt auf,
Da
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0102" n="102"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <lg n="28">
              <l>Jezo ward mein Ge&#x017F;icht zu dunkeln Ge&#x017F;talten, die &#x017F;liehend</l><lb/>
              <l>Kamen, und fliehend ver&#x017F;chwanden. Nun ho&#x0364;rt&#x2019; ich Donner,</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">nun Harfen</hi> </l><lb/>
              <l>Jezt die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken</l><lb/>
              <l>Konnt&#x2019; ich nicht fa&#x017F;&#x017F;en: denn einzelne Halle nur ho&#x0364;rt&#x2019; ich ver-</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">nehmlich,</hi> </l><lb/>
              <l>Und die andern ver&#x017F;anken in rau&#x017F;chendem Strome der Donner.</l><lb/>
              <l>Klage&#x017F;timmen ver&#x017F;inken al&#x017F;o, wenn bebend die Erde</l><lb/>
              <l>Sta&#x0364;dt&#x2019; ein&#x017F;tu&#x0364;rzt, und der Staub der ge&#x017F;tu&#x0364;rzten gen Himmel em-</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">por&#x017F;teigt.</hi> </l><lb/>
              <l>Jmmer noch neue Ge&#x017F;talten, nie ganz enthu&#x0364;llet, Ent&#x017F;tehung</l><lb/>
              <l>Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald &#x017F;chnelleres Fluges,</l><lb/>
              <l>Bald ent&#x017F;chlich mir &#x017F;a&#x0364;umend die Zeit. Es da&#x0364;uchten mir Jahre,</l><lb/>
              <l>Was mir al&#x017F;o ver&#x017F;chwand. Ein Auftritt ward mir enthu&#x0364;llet.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="29">
              <l>Kain &#x017F;ah ich in Rie&#x017F;enge&#x017F;talt; in Rie&#x017F;enge&#x017F;talten</l><lb/>
              <l>Helden; die hatte Kain mit la&#x017F;tendem Ei&#x017F;en gefe&#x017F;&#x017F;elt:</l><lb/>
              <l>Und der Fe&#x017F;&#x017F;eln dumpfes Geklirr ver&#x017F;tummte die Donner!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="30">
              <l>Endlich waren vor mir die bewo&#x0364;lkten Er&#x017F;cheinungen alle</l><lb/>
              <l>Wegge&#x017F;unken, und &#x017F;ieh, ich &#x017F;ahe wieder Ge&#x017F;ichte.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="31">
              <l>Weit umher ver&#x017F;tummten die Todten. Jtzt kam Eloa,</l><lb/>
              <l>Freute &#x017F;ich laut, da er gieng, den großen Befehl zu vollfu&#x0364;hren.</l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;nnt&#x2019; ein Engel vom Tod erwachen, &#x017F;o wu&#x0364;rd&#x2019; er erwachen!</l><lb/>
              <l>So in Entzu&#x0364;ckung verloren, mit die&#x017F;em Gange der Wonne,</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er Gebehrde des hohen Triumphs! Er gieng, aus den Schaaren</l><lb/>
              <l>Heilige zu dem Throne des Gottver&#x017F;o&#x0364;hners zu fu&#x0364;hren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="32">
              <l>ich die Kommenden &#x017F;ah, da waren&#x2019;s die Be&#x017F;ten der Men&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Ehren meines Ge&#x017F;chlechts! Jch &#x017F;tand vor ihrem Verdien&#x017F;t auf,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0102] Der Meſſias. Jezo ward mein Geſicht zu dunkeln Geſtalten, die ſliehend Kamen, und fliehend verſchwanden. Nun hoͤrt’ ich Donner, nun Harfen Jezt die Stimme der Rufer am Thron; doch der Stimme Gedanken Konnt’ ich nicht faſſen: denn einzelne Halle nur hoͤrt’ ich ver- nehmlich, Und die andern verſanken in rauſchendem Strome der Donner. Klageſtimmen verſinken alſo, wenn bebend die Erde Staͤdt’ einſtuͤrzt, und der Staub der geſtuͤrzten gen Himmel em- porſteigt. Jmmer noch neue Geſtalten, nie ganz enthuͤllet, Entſtehung Stets noch, und Untergang! Mir entflog bald ſchnelleres Fluges, Bald entſchlich mir ſaͤumend die Zeit. Es daͤuchten mir Jahre, Was mir alſo verſchwand. Ein Auftritt ward mir enthuͤllet. Kain ſah ich in Rieſengeſtalt; in Rieſengeſtalten Helden; die hatte Kain mit laſtendem Eiſen gefeſſelt: Und der Feſſeln dumpfes Geklirr verſtummte die Donner! Endlich waren vor mir die bewoͤlkten Erſcheinungen alle Weggeſunken, und ſieh, ich ſahe wieder Geſichte. Weit umher verſtummten die Todten. Jtzt kam Eloa, Freute ſich laut, da er gieng, den großen Befehl zu vollfuͤhren. Koͤnnt’ ein Engel vom Tod erwachen, ſo wuͤrd’ er erwachen! So in Entzuͤckung verloren, mit dieſem Gange der Wonne, Dieſer Gebehrde des hohen Triumphs! Er gieng, aus den Schaaren Heilige zu dem Throne des Gottverſoͤhners zu fuͤhren. ich die Kommenden ſah, da waren’s die Beſten der Menſchen, Ehren meines Geſchlechts! Jch ſtand vor ihrem Verdienſt auf, Da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/102
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/102>, abgerufen am 05.12.2024.