[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.Der Messias. Deine Mutter? ... Entzückung der Himmel kann es mir einst seyn, Ach daß Er der Gebende war! die letzte der Freuden Auch nicht, o sein Jünger, daß du der gegebne Sohn warst: Aber Jammer, und Tod, und Grab, und alles Entsetzen Jsts, daß Er mein Sohn nicht mehr ist! ... Da verstummte sie wieder, Und verhüllte sich. Bleich, wie die jammervollste der Mütter, Führte der Sohn am Todeshügel sie langsam hinunter. Abgesondert von andern, von dichten Palmen umgeben, Und in dem Schatten des Tempels, gelehnt an Jerusalems Mauer, Lag ein unbekannt Haus, das Johannes, des göttlichen Lehrers Lieblingsjünger, bewohnte. Da bracht' er vom Kreuze Maria Traurend hinab. Er selbst sank fast vor innigem Schmerz hin. Wen er, indem sie herab von dem Hügel stiegen, erblickte Von den Zwölfen, den Siebzigen, oder den heiligen Weibern, Bat er zu seiner Mutter zu kommen, und wär es ihm möglich, Jhr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund' in der Seele, Zwar nicht ganz, das könnte kein Mensch, das könnte der Herr nur! Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch Einmal vom Himmel Gott, daß sie ihn von neuem erhebe, der Leidenden sendet, Daß sich freue von neuem ihr Geist, Gott ihres Erretters! Bald versammelten sich in diesem Hause die Jünger, Und der Siebzige viel, und viele der heiligen Weiber. An der Mauer hinab, gedeckt von dem fordersten Hause, Zog sich ein andres. Jn diesem war der Saal der Versammlung. Ueber dem Saal erhub sich der Söller, erreichte der Mauer Höh, und öffnet' ein weites und reiches Gefilde dem Auge. Singe
Der Meſſias. Deine Mutter? … Entzuͤckung der Himmel kann es mir einſt ſeyn, Ach daß Er der Gebende war! die letzte der Freuden Auch nicht, o ſein Juͤnger, daß du der gegebne Sohn warſt: Aber Jammer, und Tod, und Grab, und alles Entſetzen Jſts, daß Er mein Sohn nicht mehr iſt! … Da verſtummte ſie wieder, Und verhuͤllte ſich. Bleich, wie die jammervollſte der Muͤtter, Fuͤhrte der Sohn am Todeshuͤgel ſie langſam hinunter. Abgeſondert von andern, von dichten Palmen umgeben, Und in dem Schatten des Tempels, gelehnt an Jeruſalems Mauer, Lag ein unbekannt Haus, das Johannes, des goͤttlichen Lehrers Lieblingsjuͤnger, bewohnte. Da bracht’ er vom Kreuze Maria Traurend hinab. Er ſelbſt ſank faſt vor innigem Schmerz hin. Wen er, indem ſie herab von dem Huͤgel ſtiegen, erblickte Von den Zwoͤlfen, den Siebzigen, oder den heiligen Weibern, Bat er zu ſeiner Mutter zu kommen, und waͤr es ihm moͤglich, Jhr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund’ in der Seele, Zwar nicht ganz, das koͤnnte kein Menſch, das koͤnnte der Herr nur! Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch Einmal vom Himmel Gott, daß ſie ihn von neuem erhebe, der Leidenden ſendet, Daß ſich freue von neuem ihr Geiſt, Gott ihres Erretters! Bald verſammelten ſich in dieſem Hauſe die Juͤnger, Und der Siebzige viel, und viele der heiligen Weiber. An der Mauer hinab, gedeckt von dem forderſten Hauſe, Zog ſich ein andres. Jn dieſem war der Saal der Verſammlung. Ueber dem Saal erhub ſich der Soͤller, erreichte der Mauer Hoͤh, und oͤffnet’ ein weites und reiches Gefilde dem Auge. Singe
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0090" n="74"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meſſias.</hi> </fw><lb/> <lg n="33"> <l>Deine Mutter? … Entzuͤckung der Himmel kann es mir einſt ſeyn,</l><lb/> <l>Ach daß Er der Gebende war! die letzte der Freuden</l><lb/> <l>Auch nicht, o ſein Juͤnger, daß du der gegebne Sohn warſt:</l><lb/> <l>Aber Jammer, und Tod, und Grab, und alles Entſetzen</l><lb/> <l>Jſts, daß Er mein Sohn nicht mehr iſt! … Da verſtummte ſie wieder,</l><lb/> <l>Und verhuͤllte ſich. Bleich, wie die jammervollſte der Muͤtter,</l><lb/> <l>Fuͤhrte der Sohn am Todeshuͤgel ſie langſam hinunter.</l> </lg><lb/> <lg n="34"> <l>Abgeſondert von andern, von dichten Palmen umgeben,</l><lb/> <l>Und in dem Schatten des Tempels, gelehnt an Jeruſalems Mauer,</l><lb/> <l>Lag ein unbekannt Haus, das Johannes, des goͤttlichen Lehrers</l><lb/> <l>Lieblingsjuͤnger, bewohnte. Da bracht’ er vom Kreuze Maria</l><lb/> <l>Traurend hinab. Er ſelbſt ſank faſt vor innigem Schmerz hin.</l><lb/> <l>Wen er, indem ſie herab von dem Huͤgel ſtiegen, erblickte</l><lb/> <l>Von den Zwoͤlfen, den Siebzigen, oder den heiligen Weibern,</l><lb/> <l>Bat er zu ſeiner Mutter zu kommen, und waͤr es ihm moͤglich,</l><lb/> <l>Jhr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund’ in der Seele,</l><lb/> <l>Zwar nicht ganz, das koͤnnte kein Menſch, das koͤnnte der Herr nur!</l><lb/> <l>Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch Einmal vom Himmel</l><lb/> <l>Gott, daß ſie ihn von neuem erhebe, der Leidenden ſendet,</l><lb/> <l>Daß ſich freue von neuem ihr Geiſt, Gott ihres Erretters!</l> </lg><lb/> <lg n="35"> <l>Bald verſammelten ſich in dieſem Hauſe die Juͤnger,</l><lb/> <l>Und der Siebzige viel, und viele der heiligen Weiber.</l><lb/> <l>An der Mauer hinab, gedeckt von dem forderſten Hauſe,</l><lb/> <l>Zog ſich ein andres. Jn dieſem war der Saal der Verſammlung.</l><lb/> <l>Ueber dem Saal erhub ſich der Soͤller, erreichte der Mauer</l><lb/> <l>Hoͤh, und oͤffnet’ ein weites und reiches Gefilde dem Auge.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Singe</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [74/0090]
Der Meſſias.
Deine Mutter? … Entzuͤckung der Himmel kann es mir einſt ſeyn,
Ach daß Er der Gebende war! die letzte der Freuden
Auch nicht, o ſein Juͤnger, daß du der gegebne Sohn warſt:
Aber Jammer, und Tod, und Grab, und alles Entſetzen
Jſts, daß Er mein Sohn nicht mehr iſt! … Da verſtummte ſie wieder,
Und verhuͤllte ſich. Bleich, wie die jammervollſte der Muͤtter,
Fuͤhrte der Sohn am Todeshuͤgel ſie langſam hinunter.
Abgeſondert von andern, von dichten Palmen umgeben,
Und in dem Schatten des Tempels, gelehnt an Jeruſalems Mauer,
Lag ein unbekannt Haus, das Johannes, des goͤttlichen Lehrers
Lieblingsjuͤnger, bewohnte. Da bracht’ er vom Kreuze Maria
Traurend hinab. Er ſelbſt ſank faſt vor innigem Schmerz hin.
Wen er, indem ſie herab von dem Huͤgel ſtiegen, erblickte
Von den Zwoͤlfen, den Siebzigen, oder den heiligen Weibern,
Bat er zu ſeiner Mutter zu kommen, und waͤr es ihm moͤglich,
Jhr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund’ in der Seele,
Zwar nicht ganz, das koͤnnte kein Menſch, das koͤnnte der Herr nur!
Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch Einmal vom Himmel
Gott, daß ſie ihn von neuem erhebe, der Leidenden ſendet,
Daß ſich freue von neuem ihr Geiſt, Gott ihres Erretters!
Bald verſammelten ſich in dieſem Hauſe die Juͤnger,
Und der Siebzige viel, und viele der heiligen Weiber.
An der Mauer hinab, gedeckt von dem forderſten Hauſe,
Zog ſich ein andres. Jn dieſem war der Saal der Verſammlung.
Ueber dem Saal erhub ſich der Soͤller, erreichte der Mauer
Hoͤh, und oͤffnet’ ein weites und reiches Gefilde dem Auge.
Singe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |