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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Munter, und freudig, der war ich, und starb! und kam aus Gefilden
Dunkler Empfindungen, aber die Freude waren, zurücke!
Wurde, was wurd ich? mich dauchts bey dem Wiederkommen, ich wäre
Nun ein Unsterblicher; aber wie bald empfand ich, ich wäre
Wieder sterblich, und was ich vor meinem Tode noch nicht war,
Elend! ... Elend dadurch vor allen, daß ich die Wonne
Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war, und lebet,
Nicht, wie ich sollte, genung mir machte zur Saat für die Zukunft,
Dann zu erndten, wenn nun das erste Leben entflohn ist!
Herr! von dem Tod' Erstandner! eh du zu dem Vater hingehst,
Rufe zu dir mich, damit ich von dir, das Eine, das noth ist,
Mehr noch lerne! So dacht er, und schwieg mit gefalteten Händen.

Und zu ihm trat ein Fremdling herein. Du kannst mir, o Jüngling,
Helfen, wofern du willst. An dem Fusse von Tabors Gebirge,
Liegt ein verwundeter Mann, den haben Mörder verwundet!
Auf dem Wege zu dem, sitzt einer, der blind ist, und durstet.
Keine Quelle war da. Er wußte mir keine zu nennen.
Sieh, er durstet, und ruft nach Hülfe, die ihm versagt wird.
Auf dem Wege zu ihm, wehklagt ein ermatteter Alter
An die Felsen gesunken. Jch konnt' ihn nicht führen, und laben
Konnt' ich ihn auch nicht. Jch selber ach! bin dürftig und kraftlos.
Semida rief mit Schnelligkeit: Nimm, und stärke dich, nimm dann
Dieses für sie, und dieses. Jch nehme das andre. Sie gingen,
Kamen zum Greise. Geh du voraus mit diesem zum Blinden.
Nimm, mein Vater, und iß, und trink dieß Labsal der Traube!
Sprachs, und kam dem Pilger zuvor, und früher zum Blinden.
Den

Funfzehnter Geſang.
Munter, und freudig, der war ich, und ſtarb! und kam aus Gefilden
Dunkler Empfindungen, aber die Freude waren, zuruͤcke!
Wurde, was wurd ich? mich dauchts bey dem Wiederkommen, ich waͤre
Nun ein Unſterblicher; aber wie bald empfand ich, ich waͤre
Wieder ſterblich, und was ich vor meinem Tode noch nicht war,
Elend! … Elend dadurch vor allen, daß ich die Wonne
Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war, und lebet,
Nicht, wie ich ſollte, genung mir machte zur Saat fuͤr die Zukunft,
Dann zu erndten, wenn nun das erſte Leben entflohn iſt!
Herr! von dem Tod’ Erſtandner! eh du zu dem Vater hingehſt,
Rufe zu dir mich, damit ich von dir, das Eine, das noth iſt,
Mehr noch lerne! So dacht er, und ſchwieg mit gefalteten Haͤnden.

Und zu ihm trat ein Fremdling herein. Du kannſt mir, o Juͤngling,
Helfen, wofern du willſt. An dem Fuſſe von Tabors Gebirge,
Liegt ein verwundeter Mann, den haben Moͤrder verwundet!
Auf dem Wege zu dem, ſitzt einer, der blind iſt, und durſtet.
Keine Quelle war da. Er wußte mir keine zu nennen.
Sieh, er durſtet, und ruft nach Huͤlfe, die ihm verſagt wird.
Auf dem Wege zu ihm, wehklagt ein ermatteter Alter
An die Felſen geſunken. Jch konnt’ ihn nicht fuͤhren, und laben
Konnt’ ich ihn auch nicht. Jch ſelber ach! bin duͤrftig und kraftlos.
Semida rief mit Schnelligkeit: Nimm, und ſtaͤrke dich, nimm dann
Dieſes fuͤr ſie, und dieſes. Jch nehme das andre. Sie gingen,
Kamen zum Greiſe. Geh du voraus mit dieſem zum Blinden.
Nimm, mein Vater, und iß, und trink dieß Labſal der Traube!
Sprachs, und kam dem Pilger zuvor, und fruͤher zum Blinden.
Den
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[251/0267] Funfzehnter Geſang. Munter, und freudig, der war ich, und ſtarb! und kam aus Gefilden Dunkler Empfindungen, aber die Freude waren, zuruͤcke! Wurde, was wurd ich? mich dauchts bey dem Wiederkommen, ich waͤre Nun ein Unſterblicher; aber wie bald empfand ich, ich waͤre Wieder ſterblich, und was ich vor meinem Tode noch nicht war, Elend! … Elend dadurch vor allen, daß ich die Wonne Meines Lebens, die Weisheit deß, der todt war, und lebet, Nicht, wie ich ſollte, genung mir machte zur Saat fuͤr die Zukunft, Dann zu erndten, wenn nun das erſte Leben entflohn iſt! Herr! von dem Tod’ Erſtandner! eh du zu dem Vater hingehſt, Rufe zu dir mich, damit ich von dir, das Eine, das noth iſt, Mehr noch lerne! So dacht er, und ſchwieg mit gefalteten Haͤnden. Und zu ihm trat ein Fremdling herein. Du kannſt mir, o Juͤngling, Helfen, wofern du willſt. An dem Fuſſe von Tabors Gebirge, Liegt ein verwundeter Mann, den haben Moͤrder verwundet! Auf dem Wege zu dem, ſitzt einer, der blind iſt, und durſtet. Keine Quelle war da. Er wußte mir keine zu nennen. Sieh, er durſtet, und ruft nach Huͤlfe, die ihm verſagt wird. Auf dem Wege zu ihm, wehklagt ein ermatteter Alter An die Felſen geſunken. Jch konnt’ ihn nicht fuͤhren, und laben Konnt’ ich ihn auch nicht. Jch ſelber ach! bin duͤrftig und kraftlos. Semida rief mit Schnelligkeit: Nimm, und ſtaͤrke dich, nimm dann Dieſes fuͤr ſie, und dieſes. Jch nehme das andre. Sie gingen, Kamen zum Greiſe. Geh du voraus mit dieſem zum Blinden. Nimm, mein Vater, und iß, und trink dieß Labſal der Traube! Sprachs, und kam dem Pilger zuvor, und fruͤher zum Blinden. Den

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/267>, abgerufen am 22.11.2024.