Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzehnter Gesang.
Von der künftigen Welt, und von der näheren Trennung,
Oder noch fernen, auf ihrer Reise zur Heimath im Himmel.
Liebend wünschten sie sich; doch wagten sie das nicht zu hoffen,
Was so wenigen ward, mit einander hinüber zu wallen.
Herr! ihn hattst du ersehn, zu des dunkeln Thales Eingang
Sie zu geleiten. Sie lag zu sterben. Das glaubt' er zu sehen;
Aber er wußte, daß du aus grossen Gefahren erretten,
Tödten könntest in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam
Näher, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel
Ernst ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter,
Wieder gen Himmel von ihm. So erhub sie zweymal ihr Auge.
Niemals sah er Blicke, wie diese, nie wurden ihm Blicke,
Wie die ihrigen waren, beschrieben, voll feyrlichen Ernstes,
Und der innigsten Wehmut, und mächtiger Ueberzengung
Jenes ewigen Lebens. Jch sterbe! verlasse dich! gehe
Zu der namlosen Ruh! wars, was sie redeten! wars nicht!
Stärker wars, unaussprechlich! Hier mußt' er der Menschheit erliegen,
Oder ihn mußte mit mächtigem Arme der Helfer erheben.
Und der Erbarmende thats. Der schwache Sterbliche fühlte
Sich der Erde gewaltig entrissen, und nahe dem Eingang
Zu der Herrlichkeit, welcher sich seiner Cidli schon aufthat.
Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;
Legt' auf ihre Stirne die Hand, und begann sie zu segnen:

Wandl' hinüber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war,
Jsaks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers!
Ja sein Wille gescheh, es gescheh sein gnädiger Wille!
Und
O 3

Funfzehnter Geſang.
Von der kuͤnftigen Welt, und von der naͤheren Trennung,
Oder noch fernen, auf ihrer Reiſe zur Heimath im Himmel.
Liebend wuͤnſchten ſie ſich; doch wagten ſie das nicht zu hoffen,
Was ſo wenigen ward, mit einander hinuͤber zu wallen.
Herr! ihn hattſt du erſehn, zu des dunkeln Thales Eingang
Sie zu geleiten. Sie lag zu ſterben. Das glaubt’ er zu ſehen;
Aber er wußte, daß du aus groſſen Gefahren erretten,
Toͤdten koͤnnteſt in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam
Naͤher, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel
Ernſt ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter,
Wieder gen Himmel von ihm. So erhub ſie zweymal ihr Auge.
Niemals ſah er Blicke, wie dieſe, nie wurden ihm Blicke,
Wie die ihrigen waren, beſchrieben, voll feyrlichen Ernſtes,
Und der innigſten Wehmut, und maͤchtiger Ueberzengung
Jenes ewigen Lebens. Jch ſterbe! verlaſſe dich! gehe
Zu der namloſen Ruh! wars, was ſie redeten! wars nicht!
Staͤrker wars, unausſprechlich! Hier mußt’ er der Menſchheit erliegen,
Oder ihn mußte mit maͤchtigem Arme der Helfer erheben.
Und der Erbarmende thats. Der ſchwache Sterbliche fuͤhlte
Sich der Erde gewaltig entriſſen, und nahe dem Eingang
Zu der Herrlichkeit, welcher ſich ſeiner Cidli ſchon aufthat.
Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;
Legt’ auf ihre Stirne die Hand, und begann ſie zu ſegnen:

Wandl’ hinuͤber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war,
Jſaks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers!
Ja ſein Wille geſcheh, es geſcheh ſein gnaͤdiger Wille!
Und
O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="38">
            <pb facs="#f0229" n="213"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Funfzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Von der ku&#x0364;nftigen Welt, und von der na&#x0364;heren Trennung,</l><lb/>
            <l>Oder noch fernen, auf ihrer Rei&#x017F;e zur Heimath im Himmel.</l><lb/>
            <l>Liebend wu&#x0364;n&#x017F;chten &#x017F;ie &#x017F;ich; doch wagten &#x017F;ie das nicht zu hoffen,</l><lb/>
            <l>Was &#x017F;o wenigen ward, mit einander hinu&#x0364;ber zu wallen.</l><lb/>
            <l>Herr! ihn hatt&#x017F;t du er&#x017F;ehn, zu des dunkeln Thales Eingang</l><lb/>
            <l>Sie zu geleiten. Sie lag zu &#x017F;terben. Das glaubt&#x2019; er zu &#x017F;ehen;</l><lb/>
            <l>Aber er wußte, daß du aus gro&#x017F;&#x017F;en Gefahren erretten,</l><lb/>
            <l>To&#x0364;dten ko&#x0364;nnte&#x017F;t in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam</l><lb/>
            <l>Na&#x0364;her, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel</l><lb/>
            <l>Ern&#x017F;t ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter,</l><lb/>
            <l>Wieder gen Himmel von ihm. So erhub &#x017F;ie zweymal ihr Auge.</l><lb/>
            <l>Niemals &#x017F;ah er Blicke, wie die&#x017F;e, nie wurden ihm Blicke,</l><lb/>
            <l>Wie die ihrigen waren, be&#x017F;chrieben, voll feyrlichen Ern&#x017F;tes,</l><lb/>
            <l>Und der innig&#x017F;ten Wehmut, und ma&#x0364;chtiger Ueberzengung</l><lb/>
            <l>Jenes ewigen Lebens. Jch &#x017F;terbe! verla&#x017F;&#x017F;e dich! gehe</l><lb/>
            <l>Zu der namlo&#x017F;en Ruh! wars, was &#x017F;ie redeten! wars nicht!</l><lb/>
            <l>Sta&#x0364;rker wars, unaus&#x017F;prechlich! Hier mußt&#x2019; er der Men&#x017F;chheit erliegen,</l><lb/>
            <l>Oder ihn mußte mit ma&#x0364;chtigem Arme der Helfer erheben.</l><lb/>
            <l>Und der Erbarmende thats. Der &#x017F;chwache Sterbliche fu&#x0364;hlte</l><lb/>
            <l>Sich der Erde gewaltig entri&#x017F;&#x017F;en, und nahe dem Eingang</l><lb/>
            <l>Zu der Herrlichkeit, welcher &#x017F;ich &#x017F;einer Cidli &#x017F;chon aufthat.</l><lb/>
            <l>Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude;</l><lb/>
            <l>Legt&#x2019; auf ihre Stirne die Hand, und begann &#x017F;ie zu &#x017F;egnen:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="39">
            <l>Wandl&#x2019; hinu&#x0364;ber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;aks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers!</l><lb/>
            <l>Ja &#x017F;ein Wille ge&#x017F;cheh, es ge&#x017F;cheh &#x017F;ein gna&#x0364;diger Wille!</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">O 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0229] Funfzehnter Geſang. Von der kuͤnftigen Welt, und von der naͤheren Trennung, Oder noch fernen, auf ihrer Reiſe zur Heimath im Himmel. Liebend wuͤnſchten ſie ſich; doch wagten ſie das nicht zu hoffen, Was ſo wenigen ward, mit einander hinuͤber zu wallen. Herr! ihn hattſt du erſehn, zu des dunkeln Thales Eingang Sie zu geleiten. Sie lag zu ſterben. Das glaubt’ er zu ſehen; Aber er wußte, daß du aus groſſen Gefahren erretten, Toͤdten koͤnnteſt in kleinen. Jetzt kam, der eilende Tod kam Naͤher, und wurde gewiß. Sie richtet von Gedor gen Himmel Ernſt ihr Auge, dann wieder auf ihn vom Himmel herunter, Wieder gen Himmel von ihm. So erhub ſie zweymal ihr Auge. Niemals ſah er Blicke, wie dieſe, nie wurden ihm Blicke, Wie die ihrigen waren, beſchrieben, voll feyrlichen Ernſtes, Und der innigſten Wehmut, und maͤchtiger Ueberzengung Jenes ewigen Lebens. Jch ſterbe! verlaſſe dich! gehe Zu der namloſen Ruh! wars, was ſie redeten! wars nicht! Staͤrker wars, unausſprechlich! Hier mußt’ er der Menſchheit erliegen, Oder ihn mußte mit maͤchtigem Arme der Helfer erheben. Und der Erbarmende thats. Der ſchwache Sterbliche fuͤhlte Sich der Erde gewaltig entriſſen, und nahe dem Eingang Zu der Herrlichkeit, welcher ſich ſeiner Cidli ſchon aufthat. Und er trat zu ihr hin mit mehr als Ruhe, mit Freude; Legt’ auf ihre Stirne die Hand, und begann ſie zu ſegnen: Wandl’ hinuͤber im Namen des Herrn, der Abrahams Gott war, Jſaks, und Jakobs, im Namen des angebeteten Helfers! Ja ſein Wille geſcheh, es geſcheh ſein gnaͤdiger Wille! Und O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/229
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/229>, abgerufen am 25.11.2024.