Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnter Gesang.
Jhren Gefährten, er spricht schon mit ihnen. ... Jch kenn ihn nicht, Simon.
Aber lange hab ich so viele Hoheit, und Einfalt
Nicht vereinet gesehn. Und Petrus erwiederte: Möcht ihn
Bald sein Weg nach Jerusalem führen. Sie kehrten zugleich um.
Denn sie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern.
Seht den Weg, der sich krümmt, bringt jetzt sie uns näher, doch werden
Jene Palmen sie bald vor unserem Auge verbergen.
Seht ihr ihren Begleiter, mit welcher Würd' und Ernste,
Welcher Hoheit, die sanftere Menschlichkeit mildert, er anhört,
Was sie ihm traurig erzählen; vielleicht die Geschichte vom Tode
Dessen, den sie am Kreuze, noch nicht erstanden gesehen.
Jst er Einer der Engel, die ihr bey dem Grabe gesehn habt?

Wie ihr euch täuscht! rief Thomas. Er ist ein Mensch! doch sein Ansehn
Jst erhabner, als anderer Menschen. ... Du kennest der Freude
Süße Vermuthungen nicht, o Thomas. Jch hab es empfunden,
Was du fühlst! Was erwartet' ich minder, als Jesus zu sehen,
Noch in jener Angst, als ich zu dem Kreuze mein Auge
Müd erhub, und auf Einmal vor mir den Lebenden stehn sah.
Sieh, o Thomas, mich täuschte nicht Freude.. So täuschte dein Schmerz dich!
Rief der Zweifelnde feurig. ... Der Herr wird dein sich erbarmen!
Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Auferstandnen.
Gott, ja Gott wird mein sich erbarmen! allein der Messias
Ach der göttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten
Einst auch litten, und ist gestorben! ... Er weint', und verstummte.
Weine nicht, Jünger des Herrn! Er ist wahrhaftig erstanden!
Aber ihn tröstete Petrus umsonst; er weint' und verstummte.
Kleophas hatt' indeß, und Matthias mit ihrem Gefährten
Schon
III Band. L

Vierzehnter Geſang.
Jhren Gefaͤhrten, er ſpricht ſchon mit ihnen. … Jch kenn ihn nicht, Simon.
Aber lange hab ich ſo viele Hoheit, und Einfalt
Nicht vereinet geſehn. Und Petrus erwiederte: Moͤcht ihn
Bald ſein Weg nach Jeruſalem fuͤhren. Sie kehrten zugleich um.
Denn ſie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern.
Seht den Weg, der ſich kruͤmmt, bringt jetzt ſie uns naͤher, doch werden
Jene Palmen ſie bald vor unſerem Auge verbergen.
Seht ihr ihren Begleiter, mit welcher Wuͤrd’ und Ernſte,
Welcher Hoheit, die ſanftere Menſchlichkeit mildert, er anhoͤrt,
Was ſie ihm traurig erzaͤhlen; vielleicht die Geſchichte vom Tode
Deſſen, den ſie am Kreuze, noch nicht erſtanden geſehen.
Jſt er Einer der Engel, die ihr bey dem Grabe geſehn habt?

Wie ihr euch taͤuſcht! rief Thomas. Er iſt ein Menſch! doch ſein Anſehn
Jſt erhabner, als anderer Menſchen. … Du kenneſt der Freude
Suͤße Vermuthungen nicht, o Thomas. Jch hab es empfunden,
Was du fuͤhlſt! Was erwartet’ ich minder, als Jeſus zu ſehen,
Noch in jener Angſt, als ich zu dem Kreuze mein Auge
Muͤd erhub, und auf Einmal vor mir den Lebenden ſtehn ſah.
Sieh, o Thomas, mich taͤuſchte nicht Fꝛeude.. So taͤuſchte dein Schmeꝛz dich!
Rief der Zweifelnde feurig. … Der Herr wird dein ſich erbarmen!
Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Auferſtandnen.
Gott, ja Gott wird mein ſich erbarmen! allein der Meſſias
Ach der goͤttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten
Einſt auch litten, und iſt geſtorben! … Er weint’, und verſtummte.
Weine nicht, Juͤnger des Herrn! Er iſt wahrhaftig erſtanden!
Aber ihn troͤſtete Petrus umſonſt; er weint’ und verſtummte.
Kleophas hatt’ indeß, und Matthias mit ihrem Gefaͤhrten
Schon
III Band. L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="56">
            <pb facs="#f0177" n="161"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Jhren Gefa&#x0364;hrten, er &#x017F;pricht &#x017F;chon mit ihnen. &#x2026; Jch kenn ihn nicht, Simon.</l><lb/>
            <l>Aber lange hab ich &#x017F;o viele Hoheit, und Einfalt</l><lb/>
            <l>Nicht vereinet ge&#x017F;ehn. Und Petrus erwiederte: Mo&#x0364;cht ihn</l><lb/>
            <l>Bald &#x017F;ein Weg nach Jeru&#x017F;alem fu&#x0364;hren. Sie kehrten zugleich um.</l><lb/>
            <l>Denn &#x017F;ie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern.</l><lb/>
            <l>Seht den Weg, der &#x017F;ich kru&#x0364;mmt, bringt jetzt &#x017F;ie uns na&#x0364;her, doch werden</l><lb/>
            <l>Jene Palmen &#x017F;ie bald vor un&#x017F;erem Auge verbergen.</l><lb/>
            <l>Seht ihr ihren Begleiter, mit welcher Wu&#x0364;rd&#x2019; und Ern&#x017F;te,</l><lb/>
            <l>Welcher Hoheit, die &#x017F;anftere Men&#x017F;chlichkeit mildert, er anho&#x0364;rt,</l><lb/>
            <l>Was &#x017F;ie ihm traurig erza&#x0364;hlen; vielleicht die Ge&#x017F;chichte vom Tode</l><lb/>
            <l>De&#x017F;&#x017F;en, den &#x017F;ie am Kreuze, noch nicht er&#x017F;tanden ge&#x017F;ehen.</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t er Einer der Engel, die ihr bey dem Grabe ge&#x017F;ehn habt?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="57">
            <l>Wie ihr euch ta&#x0364;u&#x017F;cht! rief Thomas. Er i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch! doch &#x017F;ein An&#x017F;ehn</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t erhabner, als anderer Men&#x017F;chen. &#x2026; Du kenne&#x017F;t der Freude</l><lb/>
            <l>Su&#x0364;ße Vermuthungen nicht, o Thomas. Jch hab es empfunden,</l><lb/>
            <l>Was du fu&#x0364;hl&#x017F;t! Was erwartet&#x2019; ich minder, als Je&#x017F;us zu &#x017F;ehen,</l><lb/>
            <l>Noch in jener Ang&#x017F;t, als ich zu dem Kreuze mein Auge</l><lb/>
            <l>Mu&#x0364;d erhub, und auf Einmal vor mir den Lebenden &#x017F;tehn &#x017F;ah.</l><lb/>
            <l>Sieh, o Thomas, mich ta&#x0364;u&#x017F;chte nicht F&#xA75B;eude.. So ta&#x0364;u&#x017F;chte dein Schme&#xA75B;z dich!</l><lb/>
            <l>Rief der Zweifelnde feurig. &#x2026; Der Herr wird dein &#x017F;ich erbarmen!</l><lb/>
            <l>Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Aufer&#x017F;tandnen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="58">
            <l>Gott, ja Gott wird mein &#x017F;ich erbarmen! allein der Me&#x017F;&#x017F;ias</l><lb/>
            <l>Ach der go&#x0364;ttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten</l><lb/>
            <l>Ein&#x017F;t auch litten, und i&#x017F;t ge&#x017F;torben! &#x2026; Er weint&#x2019;, und ver&#x017F;tummte.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="59">
            <l>Weine nicht, Ju&#x0364;nger des Herrn! Er i&#x017F;t wahrhaftig er&#x017F;tanden!</l><lb/>
            <l>Aber ihn tro&#x0364;&#x017F;tete Petrus um&#x017F;on&#x017F;t; er weint&#x2019; und ver&#x017F;tummte.</l><lb/>
            <l>Kleophas hatt&#x2019; indeß, und Matthias mit ihrem Gefa&#x0364;hrten</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> L</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Schon</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0177] Vierzehnter Geſang. Jhren Gefaͤhrten, er ſpricht ſchon mit ihnen. … Jch kenn ihn nicht, Simon. Aber lange hab ich ſo viele Hoheit, und Einfalt Nicht vereinet geſehn. Und Petrus erwiederte: Moͤcht ihn Bald ſein Weg nach Jeruſalem fuͤhren. Sie kehrten zugleich um. Denn ſie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern. Seht den Weg, der ſich kruͤmmt, bringt jetzt ſie uns naͤher, doch werden Jene Palmen ſie bald vor unſerem Auge verbergen. Seht ihr ihren Begleiter, mit welcher Wuͤrd’ und Ernſte, Welcher Hoheit, die ſanftere Menſchlichkeit mildert, er anhoͤrt, Was ſie ihm traurig erzaͤhlen; vielleicht die Geſchichte vom Tode Deſſen, den ſie am Kreuze, noch nicht erſtanden geſehen. Jſt er Einer der Engel, die ihr bey dem Grabe geſehn habt? Wie ihr euch taͤuſcht! rief Thomas. Er iſt ein Menſch! doch ſein Anſehn Jſt erhabner, als anderer Menſchen. … Du kenneſt der Freude Suͤße Vermuthungen nicht, o Thomas. Jch hab es empfunden, Was du fuͤhlſt! Was erwartet’ ich minder, als Jeſus zu ſehen, Noch in jener Angſt, als ich zu dem Kreuze mein Auge Muͤd erhub, und auf Einmal vor mir den Lebenden ſtehn ſah. Sieh, o Thomas, mich taͤuſchte nicht Fꝛeude.. So taͤuſchte dein Schmeꝛz dich! Rief der Zweifelnde feurig. … Der Herr wird dein ſich erbarmen! Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Auferſtandnen. Gott, ja Gott wird mein ſich erbarmen! allein der Meſſias Ach der goͤttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten Einſt auch litten, und iſt geſtorben! … Er weint’, und verſtummte. Weine nicht, Juͤnger des Herrn! Er iſt wahrhaftig erſtanden! Aber ihn troͤſtete Petrus umſonſt; er weint’ und verſtummte. Kleophas hatt’ indeß, und Matthias mit ihrem Gefaͤhrten Schon III Band. L

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/177
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/177>, abgerufen am 25.11.2024.