Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Und in den Staub mit der Rechte sich stützte. Maria, Maria
Magdale! rief der gerührte Jünger. Endlich erkennt sie
Seine Stimm', und kommt. Glückselige! glaubst du noch immer,
Daß du ihn erstanden gesehn? ... Mit der Linken, o Simon,
Hielt ich, du sahst es, ein sprossendes Reis, bey welchem sein Fuß stand!
Meine Rechte ruht' in dem Staube, worinn sein Fuß stand!

Heb, o Maria, dein Aug auf, schau zu dem Kreuze! da starb er!
Und erstanden ist er, erstanden, o Simon, vom Tode!
Beym lebendigen Gott beschwör' ich dich: Hat ihn dein Auge,
Dieß dein Auge, Maria, gesehn, das vor dir mich stehn sieht?
Ob mein Aug' ihn sah? O bey deß Wahrhaftigkeit, Kephas,
Welcher ewig ist, hat die Herrlichkeit Jesus Christus
Dieß mein Auge gesehn! die Stimme des Sohnes Gottes
Hat mein Ohr vernommen! und Wonne der Himmel empfand ich!
Sprachlos blieb sie stehen, auch Petrus. Jetzt redet' er wieder
Wende dich weg, o zu Glückselige, laß mich in Stillem
Meine Traurigkeit weinen. O hätt' ein freudig Gesicht mich,
Wie es dich täuschte, getäuscht, und meine Seele gelindert!
Ach, ich glaube dir nicht! ... So glaube denn auch nicht, du habest
Auf dem Meer ihn wandeln gesehn! Auf Tabors Gebirge
Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet gesehen!
Sie verließen einander. Ach könnt ich ihr glauben! so dacht' er
Bey sich selber, indem sie von ihm zu dem Grabe zurück ging,
Zu Glückselige! Ja, sie glaubt es aus ganzer Seele.
Wie voll Zuversicht ist sie, und Wonne! wie breitet
Ruh und Hoheit über sie aus, die feste Gewißheit!
Grab und Verwesung erschüttern sie nicht! Sie lächelt dem Sturme,
Der

Der Meſſias.
Und in den Staub mit der Rechte ſich ſtuͤtzte. Maria, Maria
Magdale! rief der geruͤhrte Juͤnger. Endlich erkennt ſie
Seine Stimm’, und kommt. Gluͤckſelige! glaubſt du noch immer,
Daß du ihn erſtanden geſehn? … Mit der Linken, o Simon,
Hielt ich, du ſahſt es, ein ſproſſendes Reis, bey welchem ſein Fuß ſtand!
Meine Rechte ruht’ in dem Staube, worinn ſein Fuß ſtand!

Heb, o Maria, dein Aug auf, ſchau zu dem Kreuze! da ſtarb er!
Und erſtanden iſt er, erſtanden, o Simon, vom Tode!
Beym lebendigen Gott beſchwoͤr’ ich dich: Hat ihn dein Auge,
Dieß dein Auge, Maria, geſehn, das vor dir mich ſtehn ſieht?
Ob mein Aug’ ihn ſah? O bey deß Wahrhaftigkeit, Kephas,
Welcher ewig iſt, hat die Herrlichkeit Jeſus Chriſtus
Dieß mein Auge geſehn! die Stimme des Sohnes Gottes
Hat mein Ohr vernommen! und Wonne der Himmel empfand ich!
Sprachlos blieb ſie ſtehen, auch Petrus. Jetzt redet’ er wieder
Wende dich weg, o zu Gluͤckſelige, laß mich in Stillem
Meine Traurigkeit weinen. O haͤtt’ ein freudig Geſicht mich,
Wie es dich taͤuſchte, getaͤuſcht, und meine Seele gelindert!
Ach, ich glaube dir nicht! … So glaube denn auch nicht, du habeſt
Auf dem Meer ihn wandeln geſehn! Auf Tabors Gebirge
Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet geſehen!
Sie verließen einander. Ach koͤnnt ich ihr glauben! ſo dacht’ er
Bey ſich ſelber, indem ſie von ihm zu dem Grabe zuruͤck ging,
Zu Gluͤckſelige! Ja, ſie glaubt es aus ganzer Seele.
Wie voll Zuverſicht iſt ſie, und Wonne! wie breitet
Ruh und Hoheit uͤber ſie aus, die feſte Gewißheit!
Grab und Verweſung erſchuͤttern ſie nicht! Sie laͤchelt dem Sturme,
Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="35">
            <pb facs="#f0170" n="154"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <l>Und in den Staub mit der Rechte &#x017F;ich &#x017F;tu&#x0364;tzte. Maria, Maria</l><lb/>
            <l>Magdale! rief der geru&#x0364;hrte Ju&#x0364;nger. Endlich erkennt &#x017F;ie</l><lb/>
            <l>Seine Stimm&#x2019;, und kommt. Glu&#x0364;ck&#x017F;elige! glaub&#x017F;t du noch immer,</l><lb/>
            <l>Daß du ihn er&#x017F;tanden ge&#x017F;ehn? &#x2026; Mit der Linken, o Simon,</l><lb/>
            <l>Hielt ich, du &#x017F;ah&#x017F;t es, ein &#x017F;pro&#x017F;&#x017F;endes Reis, bey welchem &#x017F;ein Fuß &#x017F;tand!</l><lb/>
            <l>Meine Rechte ruht&#x2019; in dem Staube, worinn &#x017F;ein Fuß &#x017F;tand!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="36">
            <l>Heb, o Maria, dein Aug auf, &#x017F;chau zu dem Kreuze! da &#x017F;tarb er!</l><lb/>
            <l>Und er&#x017F;tanden i&#x017F;t er, er&#x017F;tanden, o Simon, vom Tode!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="37">
            <l>Beym lebendigen Gott be&#x017F;chwo&#x0364;r&#x2019; ich dich: Hat ihn dein Auge,</l><lb/>
            <l>Dieß dein Auge, Maria, ge&#x017F;ehn, das vor dir mich &#x017F;tehn &#x017F;ieht?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="38">
            <l>Ob mein Aug&#x2019; ihn &#x017F;ah? O bey deß Wahrhaftigkeit, Kephas,</l><lb/>
            <l>Welcher ewig i&#x017F;t, hat die Herrlichkeit Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus</l><lb/>
            <l>Dieß mein Auge ge&#x017F;ehn! die Stimme des Sohnes Gottes</l><lb/>
            <l>Hat mein Ohr vernommen! und Wonne der Himmel empfand ich!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="39">
            <l>Sprachlos blieb &#x017F;ie &#x017F;tehen, auch Petrus. Jetzt redet&#x2019; er wieder</l><lb/>
            <l>Wende dich weg, o zu Glu&#x0364;ck&#x017F;elige, laß mich in Stillem</l><lb/>
            <l>Meine Traurigkeit weinen. O ha&#x0364;tt&#x2019; ein freudig Ge&#x017F;icht mich,</l><lb/>
            <l>Wie es dich ta&#x0364;u&#x017F;chte, geta&#x0364;u&#x017F;cht, und meine Seele gelindert!</l><lb/>
            <l>Ach, ich glaube dir nicht! &#x2026; So glaube denn auch nicht, du habe&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Auf dem Meer ihn wandeln ge&#x017F;ehn! Auf Tabors Gebirge</l><lb/>
            <l>Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet ge&#x017F;ehen!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="40">
            <l>Sie verließen einander. Ach ko&#x0364;nnt ich ihr glauben! &#x017F;o dacht&#x2019; er</l><lb/>
            <l>Bey &#x017F;ich &#x017F;elber, indem &#x017F;ie von ihm zu dem Grabe zuru&#x0364;ck ging,</l><lb/>
            <l>Zu Glu&#x0364;ck&#x017F;elige! Ja, &#x017F;ie glaubt es aus ganzer Seele.</l><lb/>
            <l>Wie voll Zuver&#x017F;icht i&#x017F;t &#x017F;ie, und Wonne! wie breitet</l><lb/>
            <l>Ruh und Hoheit u&#x0364;ber &#x017F;ie aus, die fe&#x017F;te Gewißheit!</l><lb/>
            <l>Grab und Verwe&#x017F;ung er&#x017F;chu&#x0364;ttern &#x017F;ie nicht! Sie la&#x0364;chelt dem Sturme,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0170] Der Meſſias. Und in den Staub mit der Rechte ſich ſtuͤtzte. Maria, Maria Magdale! rief der geruͤhrte Juͤnger. Endlich erkennt ſie Seine Stimm’, und kommt. Gluͤckſelige! glaubſt du noch immer, Daß du ihn erſtanden geſehn? … Mit der Linken, o Simon, Hielt ich, du ſahſt es, ein ſproſſendes Reis, bey welchem ſein Fuß ſtand! Meine Rechte ruht’ in dem Staube, worinn ſein Fuß ſtand! Heb, o Maria, dein Aug auf, ſchau zu dem Kreuze! da ſtarb er! Und erſtanden iſt er, erſtanden, o Simon, vom Tode! Beym lebendigen Gott beſchwoͤr’ ich dich: Hat ihn dein Auge, Dieß dein Auge, Maria, geſehn, das vor dir mich ſtehn ſieht? Ob mein Aug’ ihn ſah? O bey deß Wahrhaftigkeit, Kephas, Welcher ewig iſt, hat die Herrlichkeit Jeſus Chriſtus Dieß mein Auge geſehn! die Stimme des Sohnes Gottes Hat mein Ohr vernommen! und Wonne der Himmel empfand ich! Sprachlos blieb ſie ſtehen, auch Petrus. Jetzt redet’ er wieder Wende dich weg, o zu Gluͤckſelige, laß mich in Stillem Meine Traurigkeit weinen. O haͤtt’ ein freudig Geſicht mich, Wie es dich taͤuſchte, getaͤuſcht, und meine Seele gelindert! Ach, ich glaube dir nicht! … So glaube denn auch nicht, du habeſt Auf dem Meer ihn wandeln geſehn! Auf Tabors Gebirge Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet geſehen! Sie verließen einander. Ach koͤnnt ich ihr glauben! ſo dacht’ er Bey ſich ſelber, indem ſie von ihm zu dem Grabe zuruͤck ging, Zu Gluͤckſelige! Ja, ſie glaubt es aus ganzer Seele. Wie voll Zuverſicht iſt ſie, und Wonne! wie breitet Ruh und Hoheit uͤber ſie aus, die feſte Gewißheit! Grab und Verweſung erſchuͤttern ſie nicht! Sie laͤchelt dem Sturme, Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/170
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/170>, abgerufen am 22.11.2024.