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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Siebender Gesang.

Nicht die Jünger! Zulezt verhüllte sie sich, und weinte
Stumm. ... Als sie darauf ihr Aug aufhebt, da erblickt sie
Sich am Seitenpalaste des Römers. Vielleicht, daß hier Menschen
Wohnen, (denkt sie,) vielleicht, daß selbst in der Schwelger Palästen
Eine Mutter gebahr, der es, Mutterliebe zu fühlen,
Nicht zu klein ist. O wenn es wäre, was viele der Mütter
Von dir, Portia, sagen, daß du ein menschliches Herz hast.
O ihr Engel, die ihr bey der Krippe seiner Geburt sangt,
Wenn das wäre! Sie denkts. Schon eilt sie die Marmorgelender
Unverhüllter hinauf, und geht in den schweigenden Säälen;
Doch nicht lange, so kömmt, aus einem fernen Gewölbe,
Jn des Palastes Seite, die zu dem Richtstul sich hinzog,
Eine Römerinn her, und sieht Maria. Die junge
Bleiche Römerinn bleibt so, wie ihr aufgelöst Haar fließt,
Und ihr leichtes Gewand die bebenden Glieder herunter,
Bleibt sie bewundernd stehn. Denn die Mutter des Unerschafnen
Zeigt, wiewohl der Schmerz sie verhüllt, in ihren Gebehrden
Eine Hoheit, von Engeln (weil die sie am meisten verstanden!)
Selbst bewundert: vom Schmerze bedeckt, dann stieg sie am tiefsten
Zu den Menschen hinab, von ihnen bewundert zu werden.
Endlich redte die Römerinn: Sag, o sage, wer bist du?
Wer du auch seyst, noch nie hab ich diese Hoheit gesehen;
Diesen göttlichen Schmerz! Jzt unterbrach sie Maria:

Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Gesicht hast,
Auch im Herzen empfindest; so komm, o Römerinn, führe
Mich zu Portia! Mehr noch erstaunt erwiedert mit leiser,
Sanfter
C 5

Siebender Geſang.

Nicht die Juͤnger! Zulezt verhuͤllte ſie ſich, und weinte
Stumm. … Als ſie darauf ihr Aug aufhebt, da erblickt ſie
Sich am Seitenpalaſte des Roͤmers. Vielleicht, daß hier Menſchen
Wohnen, (denkt ſie,) vielleicht, daß ſelbſt in der Schwelger Palaͤſten
Eine Mutter gebahr, der es, Mutterliebe zu fuͤhlen,
Nicht zu klein iſt. O wenn es waͤre, was viele der Muͤtter
Von dir, Portia, ſagen, daß du ein menſchliches Herz haſt.
O ihr Engel, die ihr bey der Krippe ſeiner Geburt ſangt,
Wenn das waͤre! Sie denkts. Schon eilt ſie die Marmorgelender
Unverhuͤllter hinauf, und geht in den ſchweigenden Saͤaͤlen;
Doch nicht lange, ſo koͤmmt, aus einem fernen Gewoͤlbe,
Jn des Palaſtes Seite, die zu dem Richtſtul ſich hinzog,
Eine Roͤmerinn her, und ſieht Maria. Die junge
Bleiche Roͤmerinn bleibt ſo, wie ihr aufgeloͤſt Haar fließt,
Und ihr leichtes Gewand die bebenden Glieder herunter,
Bleibt ſie bewundernd ſtehn. Denn die Mutter des Unerſchafnen
Zeigt, wiewohl der Schmerz ſie verhuͤllt, in ihren Gebehrden
Eine Hoheit, von Engeln (weil die ſie am meiſten verſtanden!)
Selbſt bewundert: vom Schmerze bedeckt, dann ſtieg ſie am tiefſten
Zu den Menſchen hinab, von ihnen bewundert zu werden.
Endlich redte die Roͤmerinn: Sag, o ſage, wer biſt du?
Wer du auch ſeyſt, noch nie hab ich dieſe Hoheit geſehen;
Dieſen goͤttlichen Schmerz! Jzt unterbrach ſie Maria:

Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Geſicht haſt,
Auch im Herzen empfindeſt; ſo komm, o Roͤmerinn, fuͤhre
Mich zu Portia! Mehr noch erſtaunt erwiedert mit leiſer,
Sanfter
C 5
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[41/0065] Siebender Geſang. Nicht die Juͤnger! Zulezt verhuͤllte ſie ſich, und weinte Stumm. … Als ſie darauf ihr Aug aufhebt, da erblickt ſie Sich am Seitenpalaſte des Roͤmers. Vielleicht, daß hier Menſchen Wohnen, (denkt ſie,) vielleicht, daß ſelbſt in der Schwelger Palaͤſten Eine Mutter gebahr, der es, Mutterliebe zu fuͤhlen, Nicht zu klein iſt. O wenn es waͤre, was viele der Muͤtter Von dir, Portia, ſagen, daß du ein menſchliches Herz haſt. O ihr Engel, die ihr bey der Krippe ſeiner Geburt ſangt, Wenn das waͤre! Sie denkts. Schon eilt ſie die Marmorgelender Unverhuͤllter hinauf, und geht in den ſchweigenden Saͤaͤlen; Doch nicht lange, ſo koͤmmt, aus einem fernen Gewoͤlbe, Jn des Palaſtes Seite, die zu dem Richtſtul ſich hinzog, Eine Roͤmerinn her, und ſieht Maria. Die junge Bleiche Roͤmerinn bleibt ſo, wie ihr aufgeloͤſt Haar fließt, Und ihr leichtes Gewand die bebenden Glieder herunter, Bleibt ſie bewundernd ſtehn. Denn die Mutter des Unerſchafnen Zeigt, wiewohl der Schmerz ſie verhuͤllt, in ihren Gebehrden Eine Hoheit, von Engeln (weil die ſie am meiſten verſtanden!) Selbſt bewundert: vom Schmerze bedeckt, dann ſtieg ſie am tiefſten Zu den Menſchen hinab, von ihnen bewundert zu werden. Endlich redte die Roͤmerinn: Sag, o ſage, wer biſt du? Wer du auch ſeyſt, noch nie hab ich dieſe Hoheit geſehen; Dieſen goͤttlichen Schmerz! Jzt unterbrach ſie Maria: Wenn du wirklich das Mitleid, das du in deinem Geſicht haſt, Auch im Herzen empfindeſt; ſo komm, o Roͤmerinn, fuͤhre Mich zu Portia! Mehr noch erſtaunt erwiedert mit leiſer, Sanfter C 5

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/65>, abgerufen am 25.11.2024.