Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebender Gesang.

Und scharfsichtig die Reihen der Schwierigkeiten herunter,
Stellte ieder Entschlüsse, Beredtsamkeit, priesterlich Ansehn,
Oder das Aeusserste selbst entgegen, ließ keine dem Zufall.
Einmal (er dacht an das Volk) erhebt sein Herz sich, zu beben.
Aber er zwingts, entschlossen, zu tödten, oder zu sterben!
Und noch einmal (er dachte, was er zu vollenden bereit war,)
Zittert das Herz ihm, doch schnell besiegt er sein zeugend Gewissen!
Jtzo, voll von seinen Entschlüssen, (ein lustig Gewebe,
Leicht zu entweben, hätte die Vorsicht nur Winke gesendet!)
Jzt eilt Philo zurück zur Versammlung: Noch säumen wir, Väter?
Brach die Dämmrung nicht an? Und soll er am Abend noch leben?

Philo bewegte sie leicht. Sie eilten, und nahmen, und führten
Zu Pilatus den ewigen Sohn; ein furchtbarer Haufe,
Hohepriester, Gesezerklärer, die Aeltsten Judäa!
Und die Morgenluft athmete kalt. Da Jesus den Tempel,
Der nun, wenige Stunden nur noch, des Versönenden Opfer
Bilden sollte, durch dämmernde Schimmer des Tages enthüllt sah,
Schaut' er vom Tempel gen Himmel. Sie eilten. Es eilte schon Volk mit.
Denn es hatte der Ruf die Geschichte der Nacht nicht verschwiegen.
Einige waren vorausgesendet, und hatten Pilatus
Schon die Kommenden angekündigt. Sie kamen. Er staunte,
Daß ganz Juda vor ihm erschien, um Einen Gefangnen
Anzuklagen. Sie gingen mit ihm die erhabenen Stufen
Drängend hinauf, und blieben am Richthaus auf Gabbatha stehen.
Hier war itzo der Richtstuhl. Des Festes Gebräuche geboten,
Nicht ins Richthaus zu gehn. Pilatus saß auf dem Richtstuhl,
Jener

Siebender Geſang.

Und ſcharfſichtig die Reihen der Schwierigkeiten herunter,
Stellte ieder Entſchluͤſſe, Beredtſamkeit, prieſterlich Anſehn,
Oder das Aeuſſerſte ſelbſt entgegen, ließ keine dem Zufall.
Einmal (er dacht an das Volk) erhebt ſein Herz ſich, zu beben.
Aber er zwingts, entſchloſſen, zu toͤdten, oder zu ſterben!
Und noch einmal (er dachte, was er zu vollenden bereit war,)
Zittert das Herz ihm, doch ſchnell beſiegt er ſein zeugend Gewiſſen!
Jtzo, voll von ſeinen Entſchluͤſſen, (ein luſtig Gewebe,
Leicht zu entweben, haͤtte die Vorſicht nur Winke geſendet!)
Jzt eilt Philo zuruͤck zur Verſammlung: Noch ſaͤumen wir, Vaͤter?
Brach die Daͤmmrung nicht an? Und ſoll er am Abend noch leben?

Philo bewegte ſie leicht. Sie eilten, und nahmen, und fuͤhrten
Zu Pilatus den ewigen Sohn; ein furchtbarer Haufe,
Hoheprieſter, Geſezerklaͤrer, die Aeltſten Judaͤa!
Und die Morgenluft athmete kalt. Da Jeſus den Tempel,
Der nun, wenige Stunden nur noch, des Verſoͤnenden Opfer
Bilden ſollte, durch daͤmmernde Schimmer des Tages enthuͤllt ſah,
Schaut’ er vom Tempel gen Himmel. Sie eilten. Es eilte ſchon Volk mit.
Denn es hatte der Ruf die Geſchichte der Nacht nicht verſchwiegen.
Einige waren vorausgeſendet, und hatten Pilatus
Schon die Kommenden angekuͤndigt. Sie kamen. Er ſtaunte,
Daß ganz Juda vor ihm erſchien, um Einen Gefangnen
Anzuklagen. Sie gingen mit ihm die erhabenen Stufen
Draͤngend hinauf, und blieben am Richthaus auf Gabbatha ſtehen.
Hier war itzo der Richtſtuhl. Des Feſtes Gebraͤuche geboten,
Nicht ins Richthaus zu gehn. Pilatus ſaß auf dem Richtſtuhl,
Jener
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <l>
                <pb facs="#f0055" n="31"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Siebender Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Und &#x017F;charf&#x017F;ichtig die Reihen der Schwierigkeiten herunter,</l><lb/>
              <l>Stellte ieder Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Beredt&#x017F;amkeit, prie&#x017F;terlich An&#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Oder das Aeu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t entgegen, ließ keine dem Zufall.</l><lb/>
              <l>Einmal (er dacht an das Volk) erhebt &#x017F;ein Herz &#x017F;ich, zu beben.</l><lb/>
              <l>Aber er zwingts, ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, zu to&#x0364;dten, oder zu &#x017F;terben!</l><lb/>
              <l>Und noch einmal (er dachte, was er zu vollenden bereit war,)</l><lb/>
              <l>Zittert das Herz ihm, doch &#x017F;chnell be&#x017F;iegt er &#x017F;ein zeugend Gewi&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
              <l>Jtzo, voll von &#x017F;einen Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, (ein lu&#x017F;tig Gewebe,</l><lb/>
              <l>Leicht zu entweben, ha&#x0364;tte die Vor&#x017F;icht nur Winke ge&#x017F;endet!)</l><lb/>
              <l>Jzt eilt Philo zuru&#x0364;ck zur Ver&#x017F;ammlung: Noch &#x017F;a&#x0364;umen wir, Va&#x0364;ter?</l><lb/>
              <l>Brach die Da&#x0364;mmrung nicht an? Und &#x017F;oll er am Abend noch leben?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Philo bewegte &#x017F;ie leicht. Sie eilten, und nahmen, und fu&#x0364;hrten</l><lb/>
              <l>Zu Pilatus den ewigen Sohn; ein furchtbarer Haufe,</l><lb/>
              <l>Hoheprie&#x017F;ter, Ge&#x017F;ezerkla&#x0364;rer, die Aelt&#x017F;ten Juda&#x0364;a!</l><lb/>
              <l>Und die Morgenluft athmete kalt. Da Je&#x017F;us den Tempel,</l><lb/>
              <l>Der nun, wenige Stunden nur noch, des Ver&#x017F;o&#x0364;nenden Opfer</l><lb/>
              <l>Bilden &#x017F;ollte, durch da&#x0364;mmernde Schimmer des Tages enthu&#x0364;llt &#x017F;ah,</l><lb/>
              <l>Schaut&#x2019; er vom Tempel gen Himmel. Sie eilten. Es eilte &#x017F;chon Volk mit.</l><lb/>
              <l>Denn es hatte der Ruf die Ge&#x017F;chichte der Nacht nicht ver&#x017F;chwiegen.</l><lb/>
              <l>Einige waren vorausge&#x017F;endet, und hatten Pilatus</l><lb/>
              <l>Schon die Kommenden angeku&#x0364;ndigt. Sie kamen. Er &#x017F;taunte,</l><lb/>
              <l>Daß ganz Juda vor ihm er&#x017F;chien, um Einen Gefangnen</l><lb/>
              <l>Anzuklagen. Sie gingen mit ihm die erhabenen Stufen</l><lb/>
              <l>Dra&#x0364;ngend hinauf, und blieben am Richthaus auf Gabbatha &#x017F;tehen.</l><lb/>
              <l>Hier war itzo der Richt&#x017F;tuhl. Des Fe&#x017F;tes Gebra&#x0364;uche geboten,</l><lb/>
              <l>Nicht ins Richthaus zu gehn. Pilatus &#x017F;aß auf dem Richt&#x017F;tuhl,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jener</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0055] Siebender Geſang. Und ſcharfſichtig die Reihen der Schwierigkeiten herunter, Stellte ieder Entſchluͤſſe, Beredtſamkeit, prieſterlich Anſehn, Oder das Aeuſſerſte ſelbſt entgegen, ließ keine dem Zufall. Einmal (er dacht an das Volk) erhebt ſein Herz ſich, zu beben. Aber er zwingts, entſchloſſen, zu toͤdten, oder zu ſterben! Und noch einmal (er dachte, was er zu vollenden bereit war,) Zittert das Herz ihm, doch ſchnell beſiegt er ſein zeugend Gewiſſen! Jtzo, voll von ſeinen Entſchluͤſſen, (ein luſtig Gewebe, Leicht zu entweben, haͤtte die Vorſicht nur Winke geſendet!) Jzt eilt Philo zuruͤck zur Verſammlung: Noch ſaͤumen wir, Vaͤter? Brach die Daͤmmrung nicht an? Und ſoll er am Abend noch leben? Philo bewegte ſie leicht. Sie eilten, und nahmen, und fuͤhrten Zu Pilatus den ewigen Sohn; ein furchtbarer Haufe, Hoheprieſter, Geſezerklaͤrer, die Aeltſten Judaͤa! Und die Morgenluft athmete kalt. Da Jeſus den Tempel, Der nun, wenige Stunden nur noch, des Verſoͤnenden Opfer Bilden ſollte, durch daͤmmernde Schimmer des Tages enthuͤllt ſah, Schaut’ er vom Tempel gen Himmel. Sie eilten. Es eilte ſchon Volk mit. Denn es hatte der Ruf die Geſchichte der Nacht nicht verſchwiegen. Einige waren vorausgeſendet, und hatten Pilatus Schon die Kommenden angekuͤndigt. Sie kamen. Er ſtaunte, Daß ganz Juda vor ihm erſchien, um Einen Gefangnen Anzuklagen. Sie gingen mit ihm die erhabenen Stufen Draͤngend hinauf, und blieben am Richthaus auf Gabbatha ſtehen. Hier war itzo der Richtſtuhl. Des Feſtes Gebraͤuche geboten, Nicht ins Richthaus zu gehn. Pilatus ſaß auf dem Richtſtuhl, Jener

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/55
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/55>, abgerufen am 24.11.2024.