[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.
Also dacht' er, und sprachs in gebrochnen Worten, und wankte Gegen des Hohenpriesters Palast, und blieb in der Nacht stehn. Aber der Führer der Schaar, die Jesum begleitete, Philo Riß sich wütend voran, eilt' in die Versammlung, und alle Sahns an seinem Triumph, und dem hohen, flammenden Auge, Daß der Todtenerwecker gebunden, und dicht am Palast sey! Und sie hatten nicht Zeit, daß sie Philo jauchzten. Der Gottmensch Trat herein. Sie sahn den Kommenden, trauten dem Anblick Kaum die Wirklichkeit zu, und bebten vor Wut und Entzückung. Aber er trat die Stufen herauf, und stand vor dem Richtstul. Alle Hoheit, so gar die Hoheit des sterblichen Weisen Hatt' er abgelegt; war nur ruhig, als säh er den Abfall Einer Quelle vor sich, und dächte nur sanfte Gedanken, Nach
Alſo dacht’ er, und ſprachs in gebrochnen Worten, und wankte Gegen des Hohenprieſters Palaſt, und blieb in der Nacht ſtehn. Aber der Fuͤhrer der Schaar, die Jeſum begleitete, Philo Riß ſich wuͤtend voran, eilt’ in die Verſammlung, und alle Sahns an ſeinem Triumph, und dem hohen, flammenden Auge, Daß der Todtenerwecker gebunden, und dicht am Palaſt ſey! Und ſie hatten nicht Zeit, daß ſie Philo jauchzten. Der Gottmenſch Trat herein. Sie ſahn den Kommenden, trauten dem Anblick Kaum die Wirklichkeit zu, und bebten vor Wut und Entzuͤckung. Aber er trat die Stufen herauf, und ſtand vor dem Richtſtul. Alle Hoheit, ſo gar die Hoheit des ſterblichen Weiſen Hatt’ er abgelegt; war nur ruhig, als ſaͤh er den Abfall Einer Quelle vor ſich, und daͤchte nur ſanfte Gedanken, Nach
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="13"> <l> <pb facs="#f0033" n="11"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechſter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Ach, ich ſeh ihn nicht mehr! die hohen Flammen verſchwinden!</l><lb/> <l>Nun, nun richten ſie ihn! Daß ihre grimmige Seele</l><lb/> <l>Schaure beym Anblick der leidenden Tugend! ſich einmal, nur einmal,</l><lb/> <l>Einmal in ihrem Leben, das kommende Weltgericht denke!</l><lb/> <l>Doch wer wandelt im Dunkeln herauf? Jſts Petrus? vernahm ers,</l><lb/> <l>Wie ſie zum Tod ihn verdammten? So ſchnell! Nun ſteht er! Wen ſah ich?</l><lb/> <l>Keines Fußtritt hoͤr ich nicht mehr! Wie iſt es hier oͤde!</l><lb/> <l>Wie ſo ſtumm die entſezliche Nacht! Doch die Stille verliert ſich.</l><lb/> <l>Welche Mengen ſtuͤrmen daher! Ach, ſie eilen, und reiſſen</l><lb/> <l>Jhn in der deckenden Nacht zum Tode, damit ihn des Volkes</l><lb/> <l>Menſchlichkeit nicht errette! damit an rinnenden Steinen,</l><lb/> <l>Oder, herunter am triefenden Schwerte, nur Engel ſein Blut ſehn!</l><lb/> <l>Ach, erbarme dich meiner! Erbarme dich meiner, und laß ihn,</l><lb/> <l>Vater des Mitleids und deiner Erſchaffnen, und laß ihn nicht ſterben!</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Alſo dacht’ er, und ſprachs in gebrochnen Worten, und wankte</l><lb/> <l>Gegen des Hohenprieſters Palaſt, und blieb in der Nacht ſtehn.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Aber der Fuͤhrer der Schaar, die Jeſum begleitete, Philo</l><lb/> <l>Riß ſich wuͤtend voran, eilt’ in die Verſammlung, und alle</l><lb/> <l>Sahns an ſeinem Triumph, und dem hohen, flammenden Auge,</l><lb/> <l>Daß der Todtenerwecker gebunden, und dicht am Palaſt ſey!</l><lb/> <l>Und ſie hatten nicht Zeit, daß ſie Philo jauchzten. Der Gottmenſch</l><lb/> <l>Trat herein. Sie ſahn den Kommenden, trauten dem Anblick</l><lb/> <l>Kaum die Wirklichkeit zu, und bebten vor Wut und Entzuͤckung.</l><lb/> <l>Aber er trat die Stufen herauf, und ſtand vor dem Richtſtul.</l><lb/> <l>Alle Hoheit, ſo gar die Hoheit des ſterblichen Weiſen</l><lb/> <l>Hatt’ er abgelegt; war nur ruhig, als ſaͤh er den Abfall</l><lb/> <l>Einer Quelle vor ſich, und daͤchte nur ſanfte Gedanken,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nach</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0033]
Sechſter Geſang.
Ach, ich ſeh ihn nicht mehr! die hohen Flammen verſchwinden!
Nun, nun richten ſie ihn! Daß ihre grimmige Seele
Schaure beym Anblick der leidenden Tugend! ſich einmal, nur einmal,
Einmal in ihrem Leben, das kommende Weltgericht denke!
Doch wer wandelt im Dunkeln herauf? Jſts Petrus? vernahm ers,
Wie ſie zum Tod ihn verdammten? So ſchnell! Nun ſteht er! Wen ſah ich?
Keines Fußtritt hoͤr ich nicht mehr! Wie iſt es hier oͤde!
Wie ſo ſtumm die entſezliche Nacht! Doch die Stille verliert ſich.
Welche Mengen ſtuͤrmen daher! Ach, ſie eilen, und reiſſen
Jhn in der deckenden Nacht zum Tode, damit ihn des Volkes
Menſchlichkeit nicht errette! damit an rinnenden Steinen,
Oder, herunter am triefenden Schwerte, nur Engel ſein Blut ſehn!
Ach, erbarme dich meiner! Erbarme dich meiner, und laß ihn,
Vater des Mitleids und deiner Erſchaffnen, und laß ihn nicht ſterben!
Alſo dacht’ er, und ſprachs in gebrochnen Worten, und wankte
Gegen des Hohenprieſters Palaſt, und blieb in der Nacht ſtehn.
Aber der Fuͤhrer der Schaar, die Jeſum begleitete, Philo
Riß ſich wuͤtend voran, eilt’ in die Verſammlung, und alle
Sahns an ſeinem Triumph, und dem hohen, flammenden Auge,
Daß der Todtenerwecker gebunden, und dicht am Palaſt ſey!
Und ſie hatten nicht Zeit, daß ſie Philo jauchzten. Der Gottmenſch
Trat herein. Sie ſahn den Kommenden, trauten dem Anblick
Kaum die Wirklichkeit zu, und bebten vor Wut und Entzuͤckung.
Aber er trat die Stufen herauf, und ſtand vor dem Richtſtul.
Alle Hoheit, ſo gar die Hoheit des ſterblichen Weiſen
Hatt’ er abgelegt; war nur ruhig, als ſaͤh er den Abfall
Einer Quelle vor ſich, und daͤchte nur ſanfte Gedanken,
Nach
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |