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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Neunter Gesang.

Blickte zum blutvollen Kreuz hinauf, zum sterbenden Mittler,
Dachte, mit iedem fliegenden Blicke, der Göttliche würde,
Nun! nun! sterben! Und trüberes Schrecken, vernichtet zu werden!
Ueberfiel, mit iedem Gedanken, ihn! Sichtbar verdunkelt,
Stand er, und strebt', und rang, die lichte Gestalt zu behalten!
Als er so sich bestrebt, und sich in der Bangigkeit wendet,
Sieht er nicht ferne von sich, bey einem der Kreuze, zur Rechten
Jenes erhabneren Kreuzes, das mitten schreckender aufstieg
Sieht er dort auf Einmal den mitgeschafnen, geliebten,
Furchtbaren Abdiel schweben! ... Die ringsumglänzenden Engel
Hüllt' ihm izt Dunkelheit ein! Die Schöpfung ward ihm enge!
So ergrif ihn die Angst, es werde sein Freund ihn erkennen:
Was in ihm unsterbliches war, die geistigen Kräfte
Alle, ruft er zurück, daß Abdiel ihn nicht erkenne!
Eilend, als wär er von Gott, aus fernen Welten, zu andern
Fernen Welten, gesandt, und dürft' auf der Erde nicht weilen;
Wandt' er zu Abdiel sich, und sprach die geflügelten Worte:

Sag, Geliebter, du weist es vielleicht: Wenn ists dem Versöner
Daß er sterbe, gesezt? Mir ist zu eilen geboten,
Und ich wünsche doch auch, den heiligen, gottgewählten,
Schrecklichen Augenblick, wo ich auch sey, anbetend zu feyern!
Abdiel stand gewendet. Allein izt kehrt er sein Antliz
Auf den Verlornen, und spricht mit Ernste, den Wehmut mildert:
Abbadona! ... So steigt ins Gesicht des blühenden Jünglings,
Den der rufende Blitz erschlug, die Farbe des Todes
Schnell herauf! So strömte die Nacht des Abgrunds ins Antlitz
Abba
H 2

Neunter Geſang.

Blickte zum blutvollen Kreuz hinauf, zum ſterbenden Mittler,
Dachte, mit iedem fliegenden Blicke, der Goͤttliche wuͤrde,
Nun! nun! ſterben! Und truͤberes Schrecken, vernichtet zu werden!
Ueberfiel, mit iedem Gedanken, ihn! Sichtbar verdunkelt,
Stand er, und ſtrebt’, und rang, die lichte Geſtalt zu behalten!
Als er ſo ſich beſtrebt, und ſich in der Bangigkeit wendet,
Sieht er nicht ferne von ſich, bey einem der Kreuze, zur Rechten
Jenes erhabneren Kreuzes, das mitten ſchreckender aufſtieg
Sieht er dort auf Einmal den mitgeſchafnen, geliebten,
Furchtbaren Abdiel ſchweben! … Die ringsumglaͤnzenden Engel
Huͤllt’ ihm izt Dunkelheit ein! Die Schoͤpfung ward ihm enge!
So ergrif ihn die Angſt, es werde ſein Freund ihn erkennen:
Was in ihm unſterbliches war, die geiſtigen Kraͤfte
Alle, ruft er zuruͤck, daß Abdiel ihn nicht erkenne!
Eilend, als waͤr er von Gott, aus fernen Welten, zu andern
Fernen Welten, geſandt, und duͤrft’ auf der Erde nicht weilen;
Wandt’ er zu Abdiel ſich, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Sag, Geliebter, du weiſt es vielleicht: Wenn iſts dem Verſoͤner
Daß er ſterbe, geſezt? Mir iſt zu eilen geboten,
Und ich wuͤnſche doch auch, den heiligen, gottgewaͤhlten,
Schrecklichen Augenblick, wo ich auch ſey, anbetend zu feyern!
Abdiel ſtand gewendet. Allein izt kehrt er ſein Antliz
Auf den Verlornen, und ſpricht mit Ernſte, den Wehmut mildert:
Abbadona! … So ſteigt ins Geſicht des bluͤhenden Juͤnglings,
Den der rufende Blitz erſchlug, die Farbe des Todes
Schnell herauf! So ſtroͤmte die Nacht des Abgrunds ins Antlitz
Abba
H 2
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[115/0143] Neunter Geſang. Blickte zum blutvollen Kreuz hinauf, zum ſterbenden Mittler, Dachte, mit iedem fliegenden Blicke, der Goͤttliche wuͤrde, Nun! nun! ſterben! Und truͤberes Schrecken, vernichtet zu werden! Ueberfiel, mit iedem Gedanken, ihn! Sichtbar verdunkelt, Stand er, und ſtrebt’, und rang, die lichte Geſtalt zu behalten! Als er ſo ſich beſtrebt, und ſich in der Bangigkeit wendet, Sieht er nicht ferne von ſich, bey einem der Kreuze, zur Rechten Jenes erhabneren Kreuzes, das mitten ſchreckender aufſtieg Sieht er dort auf Einmal den mitgeſchafnen, geliebten, Furchtbaren Abdiel ſchweben! … Die ringsumglaͤnzenden Engel Huͤllt’ ihm izt Dunkelheit ein! Die Schoͤpfung ward ihm enge! So ergrif ihn die Angſt, es werde ſein Freund ihn erkennen: Was in ihm unſterbliches war, die geiſtigen Kraͤfte Alle, ruft er zuruͤck, daß Abdiel ihn nicht erkenne! Eilend, als waͤr er von Gott, aus fernen Welten, zu andern Fernen Welten, geſandt, und duͤrft’ auf der Erde nicht weilen; Wandt’ er zu Abdiel ſich, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Sag, Geliebter, du weiſt es vielleicht: Wenn iſts dem Verſoͤner Daß er ſterbe, geſezt? Mir iſt zu eilen geboten, Und ich wuͤnſche doch auch, den heiligen, gottgewaͤhlten, Schrecklichen Augenblick, wo ich auch ſey, anbetend zu feyern! Abdiel ſtand gewendet. Allein izt kehrt er ſein Antliz Auf den Verlornen, und ſpricht mit Ernſte, den Wehmut mildert: Abbadona! … So ſteigt ins Geſicht des bluͤhenden Juͤnglings, Den der rufende Blitz erſchlug, die Farbe des Todes Schnell herauf! So ſtroͤmte die Nacht des Abgrunds ins Antlitz Abba H 2

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/143>, abgerufen am 27.11.2024.