Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Festliche Kreis der Engel umgeben. Jzt wagt ers, und schwebte
Jn den schreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antliz
Wandten, und ihn erblickten; so sahn sie, die bange Verstellung,
Todtes Lächeln, und Glanz, der keine Seligkeit strahlte,
Tausendjährigen Gram, unüberwindliches Trauern,
Abbadona! Sie liessen mit stillem Mitleid ihn fortgehn.
Und er näherte sich dem nachtbelasteten Hügel;
Sah die Gekreuzigten; wandte sich. Nein ich will sie nicht sehen,
Nicht der Sterbenden Antliz! Jhr Leiden verwundet zu tief mich!
Führt zu graunvolle Bilder vor meinen Gedanken vorüber!
Klagt zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte,
Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden, durchflammt mich
Schon mit wütender Angst! ... Mitunglückselige Menschen,
Und so sehr mitschuldige, daß, durch schwarze Verbrechen,
Eure Brüder euch zwingen sie, vor dem Antliz der Sonne,
Feyerlich vor unzählbarer Mengen Versammlung, zu tödten!
Nein, es soll sie mein Auge nicht sehn, die ihr izt der Verwesung,
Grausam oder gerecht, zusendet! ... Dem trüben Gedanken,
Qualenvoller, entreiß dich dem ängstlichen Todesgedanken.
Den ich suche, wo find ich ihn auf? Ja, diese Versammlung
Aller Himmel, sie ist nicht umsonst herunter gestiegen!
Sie umgiebt ihn! Er ist in diesem heiligen Raume!
Aber, wo? ... Am Oelberge war das furchtbarste Dunkel,
Wo er war! Doch hier strömts auf den gebeinvollen Hügel!
Und da kann er nicht seyn! Wenn mir ein Engel ihn zeigte!
Wenn ich fragen dürfte, dann mir ein Engel ihn zeigte!
Unglückseliger! ... Wenn sie mich nur an dieser Erschüttrung,

Dieser

Der Meſſias.

Feſtliche Kreis der Engel umgeben. Jzt wagt ers, und ſchwebte
Jn den ſchreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antliz
Wandten, und ihn erblickten; ſo ſahn ſie, die bange Verſtellung,
Todtes Laͤcheln, und Glanz, der keine Seligkeit ſtrahlte,
Tauſendjaͤhrigen Gram, unuͤberwindliches Trauern,
Abbadona! Sie lieſſen mit ſtillem Mitleid ihn fortgehn.
Und er naͤherte ſich dem nachtbelaſteten Huͤgel;
Sah die Gekreuzigten; wandte ſich. Nein ich will ſie nicht ſehen,
Nicht der Sterbenden Antliz! Jhr Leiden verwundet zu tief mich!
Fuͤhrt zu graunvolle Bilder vor meinen Gedanken voruͤber!
Klagt zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte,
Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden, durchflammt mich
Schon mit wuͤtender Angſt! … Mitungluͤckſelige Menſchen,
Und ſo ſehr mitſchuldige, daß, durch ſchwarze Verbrechen,
Eure Bruͤder euch zwingen ſie, vor dem Antliz der Sonne,
Feyerlich vor unzaͤhlbarer Mengen Verſammlung, zu toͤdten!
Nein, es ſoll ſie mein Auge nicht ſehn, die ihr izt der Verweſung,
Grauſam oder gerecht, zuſendet! … Dem truͤben Gedanken,
Qualenvoller, entreiß dich dem aͤngſtlichen Todesgedanken.
Den ich ſuche, wo find ich ihn auf? Ja, dieſe Verſammlung
Aller Himmel, ſie iſt nicht umſonſt herunter geſtiegen!
Sie umgiebt ihn! Er iſt in dieſem heiligen Raume!
Aber, wo? … Am Oelberge war das furchtbarſte Dunkel,
Wo er war! Doch hier ſtroͤmts auf den gebeinvollen Huͤgel!
Und da kann er nicht ſeyn! Wenn mir ein Engel ihn zeigte!
Wenn ich fragen duͤrfte, dann mir ein Engel ihn zeigte!
Ungluͤckſeliger! … Wenn ſie mich nur an dieſer Erſchuͤttrung,

Dieſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="28">
              <l>
                <pb facs="#f0140" n="112"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Fe&#x017F;tliche Kreis der Engel umgeben. Jzt wagt ers, und &#x017F;chwebte</l><lb/>
              <l>Jn den &#x017F;chreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antliz</l><lb/>
              <l>Wandten, und ihn erblickten; &#x017F;o &#x017F;ahn &#x017F;ie, die bange Ver&#x017F;tellung,</l><lb/>
              <l>Todtes La&#x0364;cheln, und Glanz, der keine Seligkeit &#x017F;trahlte,</l><lb/>
              <l>Tau&#x017F;endja&#x0364;hrigen Gram, unu&#x0364;berwindliches Trauern,</l><lb/>
              <l>Abbadona! Sie lie&#x017F;&#x017F;en mit &#x017F;tillem Mitleid ihn fortgehn.</l><lb/>
              <l>Und er na&#x0364;herte &#x017F;ich dem nachtbela&#x017F;teten Hu&#x0364;gel;</l><lb/>
              <l>Sah die Gekreuzigten; wandte &#x017F;ich. Nein ich will &#x017F;ie nicht &#x017F;ehen,</l><lb/>
              <l>Nicht der Sterbenden Antliz! Jhr Leiden verwundet zu tief mich!</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;hrt zu graunvolle Bilder vor meinen Gedanken voru&#x0364;ber!</l><lb/>
              <l>Klagt zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte,</l><lb/>
              <l>Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden, durchflammt mich</l><lb/>
              <l>Schon mit wu&#x0364;tender Ang&#x017F;t! &#x2026; Mitunglu&#x0364;ck&#x017F;elige Men&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;o &#x017F;ehr mit&#x017F;chuldige, daß, durch &#x017F;chwarze Verbrechen,</l><lb/>
              <l>Eure Bru&#x0364;der euch zwingen &#x017F;ie, vor dem Antliz der Sonne,</l><lb/>
              <l>Feyerlich vor unza&#x0364;hlbarer Mengen Ver&#x017F;ammlung, zu to&#x0364;dten!</l><lb/>
              <l>Nein, es &#x017F;oll &#x017F;ie mein Auge nicht &#x017F;ehn, die ihr izt der Verwe&#x017F;ung,</l><lb/>
              <l>Grau&#x017F;am oder gerecht, zu&#x017F;endet! &#x2026; Dem tru&#x0364;ben Gedanken,</l><lb/>
              <l>Qualenvoller, entreiß dich dem a&#x0364;ng&#x017F;tlichen Todesgedanken.</l><lb/>
              <l>Den ich &#x017F;uche, wo find ich ihn auf? Ja, die&#x017F;e Ver&#x017F;ammlung</l><lb/>
              <l>Aller Himmel, &#x017F;ie i&#x017F;t nicht um&#x017F;on&#x017F;t herunter ge&#x017F;tiegen!</l><lb/>
              <l>Sie umgiebt ihn! Er i&#x017F;t in die&#x017F;em heiligen Raume!</l><lb/>
              <l>Aber, wo? &#x2026; Am Oelberge war das furchtbar&#x017F;te Dunkel,</l><lb/>
              <l>Wo er war! Doch hier &#x017F;tro&#x0364;mts auf den gebeinvollen Hu&#x0364;gel!</l><lb/>
              <l>Und da kann er nicht &#x017F;eyn! Wenn mir ein Engel ihn zeigte!</l><lb/>
              <l>Wenn ich fragen du&#x0364;rfte, dann mir ein Engel ihn zeigte!</l><lb/>
              <l>Unglu&#x0364;ck&#x017F;eliger! &#x2026; Wenn &#x017F;ie mich nur an die&#x017F;er Er&#x017F;chu&#x0364;ttrung,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;er</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0140] Der Meſſias. Feſtliche Kreis der Engel umgeben. Jzt wagt ers, und ſchwebte Jn den ſchreckenden Kreis. So wie die Engel ihr Antliz Wandten, und ihn erblickten; ſo ſahn ſie, die bange Verſtellung, Todtes Laͤcheln, und Glanz, der keine Seligkeit ſtrahlte, Tauſendjaͤhrigen Gram, unuͤberwindliches Trauern, Abbadona! Sie lieſſen mit ſtillem Mitleid ihn fortgehn. Und er naͤherte ſich dem nachtbelaſteten Huͤgel; Sah die Gekreuzigten; wandte ſich. Nein ich will ſie nicht ſehen, Nicht der Sterbenden Antliz! Jhr Leiden verwundet zu tief mich! Fuͤhrt zu graunvolle Bilder vor meinen Gedanken voruͤber! Klagt zu laut vor dem Richter mich an! Denn, ach, der gewandte, Kurze, fliegende Blick auf ihre Wunden, durchflammt mich Schon mit wuͤtender Angſt! … Mitungluͤckſelige Menſchen, Und ſo ſehr mitſchuldige, daß, durch ſchwarze Verbrechen, Eure Bruͤder euch zwingen ſie, vor dem Antliz der Sonne, Feyerlich vor unzaͤhlbarer Mengen Verſammlung, zu toͤdten! Nein, es ſoll ſie mein Auge nicht ſehn, die ihr izt der Verweſung, Grauſam oder gerecht, zuſendet! … Dem truͤben Gedanken, Qualenvoller, entreiß dich dem aͤngſtlichen Todesgedanken. Den ich ſuche, wo find ich ihn auf? Ja, dieſe Verſammlung Aller Himmel, ſie iſt nicht umſonſt herunter geſtiegen! Sie umgiebt ihn! Er iſt in dieſem heiligen Raume! Aber, wo? … Am Oelberge war das furchtbarſte Dunkel, Wo er war! Doch hier ſtroͤmts auf den gebeinvollen Huͤgel! Und da kann er nicht ſeyn! Wenn mir ein Engel ihn zeigte! Wenn ich fragen duͤrfte, dann mir ein Engel ihn zeigte! Ungluͤckſeliger! … Wenn ſie mich nur an dieſer Erſchuͤttrung, Dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/140
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/140>, abgerufen am 22.11.2024.