Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Neunter Gesang.

Gott erzürnt hat, als ich! der unnachlassende Sünder
Thuts! Dazu verheel ich in meinem qualvollem Herzen
Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich also verstelle!
Aber soll ich es, soll sich Abbadona verstellen?
Geh, Verworfner, in deinem Elend! ... Also beschließ ich
Nicht zu gehn? und das Ende des wunderbarsten der Leiden
Nicht zu wissen? Denn wie vermöcht ich, die Blicke der Engel
Zu empfinden, und nicht zu fliehn? So denkt er, und schwingt sich,
Zweifelhaft noch, aus den Tiefen empor. Kaum hat er der Erde
Obersten Staub betreten, als er mit Staunen zurückbebt.
Denn er sahe vor sich in schreckenden Nächten die Erde
Liegen. Am Mittage, (dacht er) in diesen belastenden, bangen
Finsternissen! Jst sie nun auch dem ernsten Gerichte
Reif geworden? Und soll sie vergehn? Des Ewigen Schrecken
Ruhen auf ihr! Die Hand des Allmächtigen hat sie ergriffen!
Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder
Jn sich begraben, und fordert von ihren Söhnen ihn Gott nun?
Aber kann Er sterben? Wohin ich blicke, verwirrt mich
Jeder neuer Gedanke! Viel besser eil ich, und such ihn,
Seh ihn, und lerne dadurch, als daß ich einsam hier grüble.

Als er so sich entschloß, stand er am waldigten Gipfel
Eines Gebirgs, und sucht', in der überhüllenden Dämmrung,
Lange sucht' er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken;
Sah sie endlich, wie Trümmern, auf denen bewölkender Dampf schwimmt,
Vor sich liegen. Und nun (Jhm bebten seine Gebeine,
Da er es that!) nimmt er die Gestalt der Engel des Lichts an;
Seine

Neunter Geſang.

Gott erzuͤrnt hat, als ich! der unnachlaſſende Suͤnder
Thuts! Dazu verheel ich in meinem qualvollem Herzen
Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich alſo verſtelle!
Aber ſoll ich es, ſoll ſich Abbadona verſtellen?
Geh, Verworfner, in deinem Elend! … Alſo beſchließ ich
Nicht zu gehn? und das Ende des wunderbarſten der Leiden
Nicht zu wiſſen? Denn wie vermoͤcht ich, die Blicke der Engel
Zu empfinden, und nicht zu fliehn? So denkt er, und ſchwingt ſich,
Zweifelhaft noch, aus den Tiefen empor. Kaum hat er der Erde
Oberſten Staub betreten, als er mit Staunen zuruͤckbebt.
Denn er ſahe vor ſich in ſchreckenden Naͤchten die Erde
Liegen. Am Mittage, (dacht er) in dieſen belaſtenden, bangen
Finſterniſſen! Jſt ſie nun auch dem ernſten Gerichte
Reif geworden? Und ſoll ſie vergehn? Des Ewigen Schrecken
Ruhen auf ihr! Die Hand des Allmaͤchtigen hat ſie ergriffen!
Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder
Jn ſich begraben, und fordert von ihren Soͤhnen ihn Gott nun?
Aber kann Er ſterben? Wohin ich blicke, verwirrt mich
Jeder neuer Gedanke! Viel beſſer eil ich, und ſuch ihn,
Seh ihn, und lerne dadurch, als daß ich einſam hier gruͤble.

Als er ſo ſich entſchloß, ſtand er am waldigten Gipfel
Eines Gebirgs, und ſucht’, in der uͤberhuͤllenden Daͤmmrung,
Lange ſucht’ er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken;
Sah ſie endlich, wie Truͤmmern, auf denen bewoͤlkender Dampf ſchwimmt,
Vor ſich liegen. Und nun (Jhm bebten ſeine Gebeine,
Da er es that!) nimmt er die Geſtalt der Engel des Lichts an;
Seine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="26">
              <l>
                <pb facs="#f0137" n="109"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neunter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Gott erzu&#x0364;rnt hat, als ich! der unnachla&#x017F;&#x017F;ende Su&#x0364;nder</l><lb/>
              <l>Thuts! Dazu verheel ich in meinem qualvollem Herzen</l><lb/>
              <l>Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich al&#x017F;o ver&#x017F;telle!</l><lb/>
              <l>Aber &#x017F;oll ich es, &#x017F;oll &#x017F;ich Abbadona ver&#x017F;tellen?</l><lb/>
              <l>Geh, Verworfner, in deinem Elend! &#x2026; Al&#x017F;o be&#x017F;chließ ich</l><lb/>
              <l>Nicht zu gehn? und das Ende des wunderbar&#x017F;ten der Leiden</l><lb/>
              <l>Nicht zu wi&#x017F;&#x017F;en? Denn wie vermo&#x0364;cht ich, die Blicke der Engel</l><lb/>
              <l>Zu empfinden, und nicht zu fliehn? So denkt er, und &#x017F;chwingt &#x017F;ich,</l><lb/>
              <l>Zweifelhaft noch, aus den Tiefen empor. Kaum hat er der Erde</l><lb/>
              <l>Ober&#x017F;ten Staub betreten, als er mit Staunen zuru&#x0364;ckbebt.</l><lb/>
              <l>Denn er &#x017F;ahe vor &#x017F;ich in &#x017F;chreckenden Na&#x0364;chten die Erde</l><lb/>
              <l>Liegen. Am Mittage, (dacht er) in die&#x017F;en bela&#x017F;tenden, bangen</l><lb/>
              <l>Fin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;en! J&#x017F;t &#x017F;ie nun auch dem ern&#x017F;ten Gerichte</l><lb/>
              <l>Reif geworden? Und &#x017F;oll &#x017F;ie vergehn? Des Ewigen Schrecken</l><lb/>
              <l>Ruhen auf ihr! Die Hand des Allma&#x0364;chtigen hat &#x017F;ie ergriffen!</l><lb/>
              <l>Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder</l><lb/>
              <l>Jn &#x017F;ich begraben, und fordert von ihren So&#x0364;hnen ihn Gott nun?</l><lb/>
              <l>Aber kann Er &#x017F;terben? Wohin ich blicke, verwirrt mich</l><lb/>
              <l>Jeder neuer Gedanke! Viel be&#x017F;&#x017F;er eil ich, und &#x017F;uch ihn,</l><lb/>
              <l>Seh ihn, und lerne dadurch, als daß ich ein&#x017F;am hier gru&#x0364;ble.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="27">
              <l>Als er &#x017F;o &#x017F;ich ent&#x017F;chloß, &#x017F;tand er am waldigten Gipfel</l><lb/>
              <l>Eines Gebirgs, und &#x017F;ucht&#x2019;, in der u&#x0364;berhu&#x0364;llenden Da&#x0364;mmrung,</l><lb/>
              <l>Lange &#x017F;ucht&#x2019; er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken;</l><lb/>
              <l>Sah &#x017F;ie endlich, wie Tru&#x0364;mmern, auf denen bewo&#x0364;lkender Dampf &#x017F;chwimmt,</l><lb/>
              <l>Vor &#x017F;ich liegen. Und nun (Jhm bebten &#x017F;eine Gebeine,</l><lb/>
              <l>Da er es that!) nimmt er die Ge&#x017F;talt der Engel des Lichts an;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Seine</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0137] Neunter Geſang. Gott erzuͤrnt hat, als ich! der unnachlaſſende Suͤnder Thuts! Dazu verheel ich in meinem qualvollem Herzen Keinen niedrigen Zweck, warum ich mich alſo verſtelle! Aber ſoll ich es, ſoll ſich Abbadona verſtellen? Geh, Verworfner, in deinem Elend! … Alſo beſchließ ich Nicht zu gehn? und das Ende des wunderbarſten der Leiden Nicht zu wiſſen? Denn wie vermoͤcht ich, die Blicke der Engel Zu empfinden, und nicht zu fliehn? So denkt er, und ſchwingt ſich, Zweifelhaft noch, aus den Tiefen empor. Kaum hat er der Erde Oberſten Staub betreten, als er mit Staunen zuruͤckbebt. Denn er ſahe vor ſich in ſchreckenden Naͤchten die Erde Liegen. Am Mittage, (dacht er) in dieſen belaſtenden, bangen Finſterniſſen! Jſt ſie nun auch dem ernſten Gerichte Reif geworden? Und ſoll ſie vergehn? Des Ewigen Schrecken Ruhen auf ihr! Die Hand des Allmaͤchtigen hat ſie ergriffen! Und warum? Hat ihr Schooß den wunderbaren Erdulder Jn ſich begraben, und fordert von ihren Soͤhnen ihn Gott nun? Aber kann Er ſterben? Wohin ich blicke, verwirrt mich Jeder neuer Gedanke! Viel beſſer eil ich, und ſuch ihn, Seh ihn, und lerne dadurch, als daß ich einſam hier gruͤble. Als er ſo ſich entſchloß, ſtand er am waldigten Gipfel Eines Gebirgs, und ſucht’, in der uͤberhuͤllenden Daͤmmrung, Lange ſucht’ er die heilige Stadt mit fliegenden Blicken; Sah ſie endlich, wie Truͤmmern, auf denen bewoͤlkender Dampf ſchwimmt, Vor ſich liegen. Und nun (Jhm bebten ſeine Gebeine, Da er es that!) nimmt er die Geſtalt der Engel des Lichts an; Seine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/137
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/137>, abgerufen am 22.11.2024.