[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.Der Messias. Salem, der Engel Johannes, und Selith, Mariens Beschützer, Sprachen, als sie vor sich die dankenden Seelen erblickten, So mit einander: Wie diese Begnadigten, Selith, es fühlten, Daß sie es sind! Wie in ihnen den Frieden des ewigen Lebens Seine Wunden, des liebenden Mittlers Wunden, erschaffen! Ach, sie sind nun auf immer der Trübsal des sterblichen Lebens, Sind auf immer den Schmerzen der Staubbewohner entrissen! Aber unsre Geliebten ... so überschwenglich begnadigt! Sonst mit Frieden von Gott, mit ieder Ruhe beschattet, Zwar noch Pilger, allein die der Sterblichkeit Bürde kaum fühlten! Aber nun ... wie haben, der Mutter, des Freundes Entzückung, Diese Wangen voll Tod, die grabverlangenden Blicke, Diese strömenden Wunden getrübt! O, Selith, ich fühls auch, Fühle das Schwert, das ihnen durch ihre Seele geht! ... Salem, Ja! viel Leidende hab ich gesehn, viel duldende Menschen: Aber noch keinen so elend, als sie! Doch mischt sich Bewundrung Jn mein Mitleid. Denn was für ein Anblick ist diesem zu gleichen, Menschen, die der Ewige liebt, so leiden zu sehen? Doch was dabey mein Erstaunen mit stiller Beruhigung mildert, Jst die Tröstung, die Gott dann oft den Leidenden sandte, Wenn sie nun kaum noch hoften, und wenn die blutende Wunde Jhnen am tiefsten in ihren zerrißnen Seelen izt brannte. Und, o Salem, wenn die Begier, die beyden Geliebten Wieder in Gottes Ruhe zu sehen, Selith nicht täuschte; Sah ich, eben izt sah ich im sanften Auge des Mittlers Kommende Tröstung für sie! So sagte Selith, und irrte Nicht in seinen Gedanken. Des Gottversöners Erbarmung Konnte
Der Meſſias. Salem, der Engel Johannes, und Selith, Mariens Beſchuͤtzer, Sprachen, als ſie vor ſich die dankenden Seelen erblickten, So mit einander: Wie dieſe Begnadigten, Selith, es fuͤhlten, Daß ſie es ſind! Wie in ihnen den Frieden des ewigen Lebens Seine Wunden, des liebenden Mittlers Wunden, erſchaffen! Ach, ſie ſind nun auf immer der Truͤbſal des ſterblichen Lebens, Sind auf immer den Schmerzen der Staubbewohner entriſſen! Aber unſre Geliebten … ſo uͤberſchwenglich begnadigt! Sonſt mit Frieden von Gott, mit ieder Ruhe beſchattet, Zwar noch Pilger, allein die der Sterblichkeit Buͤrde kaum fuͤhlten! Aber nun … wie haben, der Mutter, des Freundes Entzuͤckung, Dieſe Wangen voll Tod, die grabverlangenden Blicke, Dieſe ſtroͤmenden Wunden getruͤbt! O, Selith, ich fuͤhls auch, Fuͤhle das Schwert, das ihnen durch ihre Seele geht! … Salem, Ja! viel Leidende hab ich geſehn, viel duldende Menſchen: Aber noch keinen ſo elend, als ſie! Doch miſcht ſich Bewundrung Jn mein Mitleid. Denn was fuͤr ein Anblick iſt dieſem zu gleichen, Menſchen, die der Ewige liebt, ſo leiden zu ſehen? Doch was dabey mein Erſtaunen mit ſtiller Beruhigung mildert, Jſt die Troͤſtung, die Gott dann oft den Leidenden ſandte, Wenn ſie nun kaum noch hoften, und wenn die blutende Wunde Jhnen am tiefſten in ihren zerrißnen Seelen izt brannte. Und, o Salem, wenn die Begier, die beyden Geliebten Wieder in Gottes Ruhe zu ſehen, Selith nicht taͤuſchte; Sah ich, eben izt ſah ich im ſanften Auge des Mittlers Kommende Troͤſtung fuͤr ſie! So ſagte Selith, und irrte Nicht in ſeinen Gedanken. Des Gottverſoͤners Erbarmung Konnte
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Der Meſſias.
Salem, der Engel Johannes, und Selith, Mariens Beſchuͤtzer,
Sprachen, als ſie vor ſich die dankenden Seelen erblickten,
So mit einander: Wie dieſe Begnadigten, Selith, es fuͤhlten,
Daß ſie es ſind! Wie in ihnen den Frieden des ewigen Lebens
Seine Wunden, des liebenden Mittlers Wunden, erſchaffen!
Ach, ſie ſind nun auf immer der Truͤbſal des ſterblichen Lebens,
Sind auf immer den Schmerzen der Staubbewohner entriſſen!
Aber unſre Geliebten … ſo uͤberſchwenglich begnadigt!
Sonſt mit Frieden von Gott, mit ieder Ruhe beſchattet,
Zwar noch Pilger, allein die der Sterblichkeit Buͤrde kaum fuͤhlten!
Aber nun … wie haben, der Mutter, des Freundes Entzuͤckung,
Dieſe Wangen voll Tod, die grabverlangenden Blicke,
Dieſe ſtroͤmenden Wunden getruͤbt! O, Selith, ich fuͤhls auch,
Fuͤhle das Schwert, das ihnen durch ihre Seele geht! … Salem,
Ja! viel Leidende hab ich geſehn, viel duldende Menſchen:
Aber noch keinen ſo elend, als ſie! Doch miſcht ſich Bewundrung
Jn mein Mitleid. Denn was fuͤr ein Anblick iſt dieſem zu gleichen,
Menſchen, die der Ewige liebt, ſo leiden zu ſehen?
Doch was dabey mein Erſtaunen mit ſtiller Beruhigung mildert,
Jſt die Troͤſtung, die Gott dann oft den Leidenden ſandte,
Wenn ſie nun kaum noch hoften, und wenn die blutende Wunde
Jhnen am tiefſten in ihren zerrißnen Seelen izt brannte.
Und, o Salem, wenn die Begier, die beyden Geliebten
Wieder in Gottes Ruhe zu ſehen, Selith nicht taͤuſchte;
Sah ich, eben izt ſah ich im ſanften Auge des Mittlers
Kommende Troͤſtung fuͤr ſie! So ſagte Selith, und irrte
Nicht in ſeinen Gedanken. Des Gottverſoͤners Erbarmung
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