Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Neunter Gesang.

Betet': O du ... allein mit welchem göttlichen Namen
Soll ich zuerst dich nennen, du grosser Sündeversöner?
Oder hörst du dich lieber, die Wonne der Glaubenden nennen?
Sohn des Vaters! was hab ich, seitdem dich in Bethlehems Hütte
Eine sterbliche Mutter gebahr, was hab ich empfunden!
O du weinendes Kind, mit welchem Donner durchschalltest
Du die Himmel, als du am Staube der Sterblichen weintest!
Unbegriffen von Engeln; doch ihrer Jubelgesänge
Höchste Begeistrung, hülltest du dich in niedriges Leben!
Kaum, daß sie dich noch erkannten; du aber thatst es, und gingest
Auf dem erhabnen einsamen Wege daher, und dachtest
Deinen Tod! ... Nun bist du zum grossen Ziele gekommen,
Zu dem Ziele, nach dem du seit Ewigkeiten herabsahst,
Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, du nur
Konntest diesen Tod, den Erretter, zum Ziele dir wählen!
Meinen Erretter, und aller Söhne des ersten Gefallnen!
Und nun ... blutest du, nun, ... zu sterben! ... Wir halten, o Gottmensch
Unser Mitleid zurück! Denn du bist über das Mitleid
Aller Endlichen weit erhaben. Allein wir empfinden
Diesen grossen gefürchteten Schlag, mit welchem der Tod dich
Trift, der die weite gränzlose Schöpfung herab und hinauf bebt,
Wir empfinden ihn mit! Erbarme dich unser, erhabner,
Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu mächtig empfinden!
O du Menschlicher! mehr, noch mehr erbarme dich jener,
Die am Staube dort stehn, dem Staube verwandter, als wir, sind!

Abraham betete so. Sie schwiegen beyde. Darauf kehrt
Jsak sich um, und fragt: Wer sind die kommenden Seelen,
Die
G 4

Neunter Geſang.

Betet’: O du … allein mit welchem goͤttlichen Namen
Soll ich zuerſt dich nennen, du groſſer Suͤndeverſoͤner?
Oder hoͤrſt du dich lieber, die Wonne der Glaubenden nennen?
Sohn des Vaters! was hab ich, ſeitdem dich in Bethlehems Huͤtte
Eine ſterbliche Mutter gebahr, was hab ich empfunden!
O du weinendes Kind, mit welchem Donner durchſchallteſt
Du die Himmel, als du am Staube der Sterblichen weinteſt!
Unbegriffen von Engeln; doch ihrer Jubelgeſaͤnge
Hoͤchſte Begeiſtrung, huͤllteſt du dich in niedriges Leben!
Kaum, daß ſie dich noch erkannten; du aber thatſt es, und gingeſt
Auf dem erhabnen einſamen Wege daher, und dachteſt
Deinen Tod! … Nun biſt du zum groſſen Ziele gekommen,
Zu dem Ziele, nach dem du ſeit Ewigkeiten herabſahſt,
Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, du nur
Konnteſt dieſen Tod, den Erretter, zum Ziele dir waͤhlen!
Meinen Erretter, und aller Soͤhne des erſten Gefallnen!
Und nun … bluteſt du, nun, … zu ſterben! … Wir halten, o Gottmenſch
Unſer Mitleid zuruͤck! Denn du biſt uͤber das Mitleid
Aller Endlichen weit erhaben. Allein wir empfinden
Dieſen groſſen gefuͤrchteten Schlag, mit welchem der Tod dich
Trift, der die weite graͤnzloſe Schoͤpfung herab und hinauf bebt,
Wir empfinden ihn mit! Erbarme dich unſer, erhabner,
Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu maͤchtig empfinden!
O du Menſchlicher! mehr, noch mehr erbarme dich jener,
Die am Staube dort ſtehn, dem Staube verwandter, als wir, ſind!

Abraham betete ſo. Sie ſchwiegen beyde. Darauf kehrt
Jſak ſich um, und fragt: Wer ſind die kommenden Seelen,
Die
G 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="19">
              <l>
                <pb facs="#f0131" n="103"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neunter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Betet&#x2019;: O du &#x2026; allein mit welchem go&#x0364;ttlichen Namen</l><lb/>
              <l>Soll ich zuer&#x017F;t dich nennen, du gro&#x017F;&#x017F;er Su&#x0364;ndever&#x017F;o&#x0364;ner?</l><lb/>
              <l>Oder ho&#x0364;r&#x017F;t du dich lieber, die Wonne der Glaubenden nennen?</l><lb/>
              <l>Sohn des Vaters! was hab ich, &#x017F;eitdem dich in Bethlehems Hu&#x0364;tte</l><lb/>
              <l>Eine &#x017F;terbliche Mutter gebahr, was hab ich empfunden!</l><lb/>
              <l>O du weinendes Kind, mit welchem Donner durch&#x017F;challte&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Du die Himmel, als du am Staube der Sterblichen weinte&#x017F;t!</l><lb/>
              <l>Unbegriffen von Engeln; doch ihrer Jubelge&#x017F;a&#x0364;nge</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;ch&#x017F;te Begei&#x017F;trung, hu&#x0364;llte&#x017F;t du dich in niedriges Leben!</l><lb/>
              <l>Kaum, daß &#x017F;ie dich noch erkannten; du aber that&#x017F;t es, und ginge&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Auf dem erhabnen ein&#x017F;amen Wege daher, und dachte&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Deinen Tod! &#x2026; Nun bi&#x017F;t du zum gro&#x017F;&#x017F;en Ziele gekommen,</l><lb/>
              <l>Zu dem Ziele, nach dem du &#x017F;eit Ewigkeiten herab&#x017F;ah&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, du nur</l><lb/>
              <l>Konnte&#x017F;t die&#x017F;en Tod, den Erretter, zum Ziele dir wa&#x0364;hlen!</l><lb/>
              <l>Meinen Erretter, und aller So&#x0364;hne des er&#x017F;ten Gefallnen!</l><lb/>
              <l>Und nun &#x2026; blute&#x017F;t du, nun, &#x2026; zu &#x017F;terben! &#x2026; Wir halten, o Gottmen&#x017F;ch</l><lb/>
              <l>Un&#x017F;er Mitleid zuru&#x0364;ck! Denn du bi&#x017F;t u&#x0364;ber das Mitleid</l><lb/>
              <l>Aller Endlichen weit erhaben. Allein wir empfinden</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;en gro&#x017F;&#x017F;en gefu&#x0364;rchteten Schlag, mit welchem der Tod dich</l><lb/>
              <l>Trift, der die weite gra&#x0364;nzlo&#x017F;e Scho&#x0364;pfung herab und hinauf bebt,</l><lb/>
              <l>Wir empfinden ihn mit! Erbarme dich un&#x017F;er, erhabner,</l><lb/>
              <l>Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu ma&#x0364;chtig empfinden!</l><lb/>
              <l>O du Men&#x017F;chlicher! mehr, noch mehr erbarme dich jener,</l><lb/>
              <l>Die am Staube dort &#x017F;tehn, dem Staube verwandter, als wir, &#x017F;ind!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="20">
              <l>Abraham betete &#x017F;o. Sie &#x017F;chwiegen beyde. Darauf kehrt</l><lb/>
              <l>J&#x017F;ak &#x017F;ich um, und fragt: Wer &#x017F;ind die kommenden Seelen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0131] Neunter Geſang. Betet’: O du … allein mit welchem goͤttlichen Namen Soll ich zuerſt dich nennen, du groſſer Suͤndeverſoͤner? Oder hoͤrſt du dich lieber, die Wonne der Glaubenden nennen? Sohn des Vaters! was hab ich, ſeitdem dich in Bethlehems Huͤtte Eine ſterbliche Mutter gebahr, was hab ich empfunden! O du weinendes Kind, mit welchem Donner durchſchallteſt Du die Himmel, als du am Staube der Sterblichen weinteſt! Unbegriffen von Engeln; doch ihrer Jubelgeſaͤnge Hoͤchſte Begeiſtrung, huͤllteſt du dich in niedriges Leben! Kaum, daß ſie dich noch erkannten; du aber thatſt es, und gingeſt Auf dem erhabnen einſamen Wege daher, und dachteſt Deinen Tod! … Nun biſt du zum groſſen Ziele gekommen, Zu dem Ziele, nach dem du ſeit Ewigkeiten herabſahſt, Lange, lange zuvor, eh ich war! Unendlicher, du nur Konnteſt dieſen Tod, den Erretter, zum Ziele dir waͤhlen! Meinen Erretter, und aller Soͤhne des erſten Gefallnen! Und nun … bluteſt du, nun, … zu ſterben! … Wir halten, o Gottmenſch Unſer Mitleid zuruͤck! Denn du biſt uͤber das Mitleid Aller Endlichen weit erhaben. Allein wir empfinden Dieſen groſſen gefuͤrchteten Schlag, mit welchem der Tod dich Trift, der die weite graͤnzloſe Schoͤpfung herab und hinauf bebt, Wir empfinden ihn mit! Erbarme dich unſer, erhabner, Ewiger Mittler, damit wir ihn nicht zu maͤchtig empfinden! O du Menſchlicher! mehr, noch mehr erbarme dich jener, Die am Staube dort ſtehn, dem Staube verwandter, als wir, ſind! Abraham betete ſo. Sie ſchwiegen beyde. Darauf kehrt Jſak ſich um, und fragt: Wer ſind die kommenden Seelen, Die G 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/131
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/131>, abgerufen am 23.11.2024.