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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Neunter Gesang.

Aber auch der Unsterblichen Blicke, den Vätern, entgehen
Dieser Traurenden Schmerzen nicht ganz; ob sie am Versöner
Gleich mit jeder von ihren erhabnern Empfindungen hangen.
Abraham hatte die Rettung des mitgekreuzigten Jünglings
So mit Freuden des ewigen Lebens erfüllt, daß er alles,
Was der Sterbende that, mit inniger Liebe bemerkte.
Jtzo bewegt' ihn das Mitleid, mit dem der geheiligte Jüngling
Auf die frommen Leidenden sahe, so sehr, daß er schnell sich
Seinem verstummten Erstaunen entriß, und zu Moses sich wandte,
Welcher, verstummt wie er, bey ihm stand. Der erhabene Vater
Von dem zwölfgestämmten Judäa sprach zu dem Stifter
Jeuer Hütte, die, lange des Allerheiligsten Vorbild,
Opferte, zu dem Schreiber des gottgebotnen Gesetzes:

Was wir sehen, o Sohn! was diese wenigen Stunden
Uns enthüllen, davon wird Ewigkeiten dein Vater
Sich mit dir besprechen. Jzt, da das verstummende Staunen
Mich verlassen hat, wollen wir diesem gränzlosen Meere
Einige Tropfen entschöpfen. Du sahst auf Horeb des Mittlers
Herrlichkeit; ich in Mamres geweihtem Haine. Da war er
Sanfter, da tönte des Göttlichen Mund melodische Gnaden.
Eben so sanft, so süßbetäubend erklang mir die Stimme
Von dem geretteten Sünder, von meinem Kinde! Mein Jubel
Ström in die Jubel der Himmel, daß du die Sünder erlösest,
Gottgeopferter! Wie dem nahen Grabe der Jüngling
Sanft zulächelt! Wie ihn die Erbarmungen Gottes beseelen!
Wie der Friede des ewigen Lebens sich über ihn breitet!
Wie
G 2

Neunter Geſang.

Aber auch der Unſterblichen Blicke, den Vaͤtern, entgehen
Dieſer Traurenden Schmerzen nicht ganz; ob ſie am Verſoͤner
Gleich mit jeder von ihren erhabnern Empfindungen hangen.
Abraham hatte die Rettung des mitgekreuzigten Juͤnglings
So mit Freuden des ewigen Lebens erfuͤllt, daß er alles,
Was der Sterbende that, mit inniger Liebe bemerkte.
Jtzo bewegt’ ihn das Mitleid, mit dem der geheiligte Juͤngling
Auf die frommen Leidenden ſahe, ſo ſehr, daß er ſchnell ſich
Seinem verſtummten Erſtaunen entriß, und zu Moſes ſich wandte,
Welcher, verſtummt wie er, bey ihm ſtand. Der erhabene Vater
Von dem zwoͤlfgeſtaͤmmten Judaͤa ſprach zu dem Stifter
Jeuer Huͤtte, die, lange des Allerheiligſten Vorbild,
Opferte, zu dem Schreiber des gottgebotnen Geſetzes:

Was wir ſehen, o Sohn! was dieſe wenigen Stunden
Uns enthuͤllen, davon wird Ewigkeiten dein Vater
Sich mit dir beſprechen. Jzt, da das verſtummende Staunen
Mich verlaſſen hat, wollen wir dieſem graͤnzloſen Meere
Einige Tropfen entſchoͤpfen. Du ſahſt auf Horeb des Mittlers
Herrlichkeit; ich in Mamres geweihtem Haine. Da war er
Sanfter, da toͤnte des Goͤttlichen Mund melodiſche Gnaden.
Eben ſo ſanft, ſo ſuͤßbetaͤubend erklang mir die Stimme
Von dem geretteten Suͤnder, von meinem Kinde! Mein Jubel
Stroͤm in die Jubel der Himmel, daß du die Suͤnder erloͤſeſt,
Gottgeopferter! Wie dem nahen Grabe der Juͤngling
Sanft zulaͤchelt! Wie ihn die Erbarmungen Gottes beſeelen!
Wie der Friede des ewigen Lebens ſich uͤber ihn breitet!
Wie
G 2
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[99/0127] Neunter Geſang. Aber auch der Unſterblichen Blicke, den Vaͤtern, entgehen Dieſer Traurenden Schmerzen nicht ganz; ob ſie am Verſoͤner Gleich mit jeder von ihren erhabnern Empfindungen hangen. Abraham hatte die Rettung des mitgekreuzigten Juͤnglings So mit Freuden des ewigen Lebens erfuͤllt, daß er alles, Was der Sterbende that, mit inniger Liebe bemerkte. Jtzo bewegt’ ihn das Mitleid, mit dem der geheiligte Juͤngling Auf die frommen Leidenden ſahe, ſo ſehr, daß er ſchnell ſich Seinem verſtummten Erſtaunen entriß, und zu Moſes ſich wandte, Welcher, verſtummt wie er, bey ihm ſtand. Der erhabene Vater Von dem zwoͤlfgeſtaͤmmten Judaͤa ſprach zu dem Stifter Jeuer Huͤtte, die, lange des Allerheiligſten Vorbild, Opferte, zu dem Schreiber des gottgebotnen Geſetzes: Was wir ſehen, o Sohn! was dieſe wenigen Stunden Uns enthuͤllen, davon wird Ewigkeiten dein Vater Sich mit dir beſprechen. Jzt, da das verſtummende Staunen Mich verlaſſen hat, wollen wir dieſem graͤnzloſen Meere Einige Tropfen entſchoͤpfen. Du ſahſt auf Horeb des Mittlers Herrlichkeit; ich in Mamres geweihtem Haine. Da war er Sanfter, da toͤnte des Goͤttlichen Mund melodiſche Gnaden. Eben ſo ſanft, ſo ſuͤßbetaͤubend erklang mir die Stimme Von dem geretteten Suͤnder, von meinem Kinde! Mein Jubel Stroͤm in die Jubel der Himmel, daß du die Suͤnder erloͤſeſt, Gottgeopferter! Wie dem nahen Grabe der Juͤngling Sanft zulaͤchelt! Wie ihn die Erbarmungen Gottes beſeelen! Wie der Friede des ewigen Lebens ſich uͤber ihn breitet! Wie G 2

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/127>, abgerufen am 27.11.2024.