Mein Versöner, und meiner Gebohrnen! Die Himmel erschollen, Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe, Die der Verbrecherinn Leben gebot, unsterbliches Leben: Aber du stirbst! izt stirbst du! Zwar ist es ewige Gnade, Die mich lossprach: aber du stirbst! Er dringt, wie ein Wetter, Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! Die Unsterblichkeit stürzt er Zu den Gräbern zurück! Ach laß mich dir, Göttlicher, weinen! Zwar bist du, für Thränen zu groß; doch laß mich dir weinen! Sieh, ich durste nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thränen! Du Versöner! du Opfer! des Todes Opfer! mein Mittler! Wundenvoller! Geliebter! o, du Geliebter! du Liebe! Du verzeihest! ... Verzeihet ihr auch, zum Tode gebohrne, Jhr, die Eva gebahr? Wenn mir ihr Röcheln, ihr lezter, Starrender Blick mir flucht, so segne du mich, Erwürgter! Flucht der Todten nicht, Kinder! Um euch durchweint ich mein Leben; Da mein Herz brach, weint ich um euch; und Thränen verwesten Mit der Verwesenden! ... Bricht nun euer Herz auch, Kinder! Nun im Tode; so strömt aus seinen Wunden euch Wonne, Wonne des bessern Lebens euch zu! Jhr sterbt nicht, ihr schlummert Nur zu dem Wundenvollen hinauf! Dann glänzen die Wunden, Seine Wunden, die Wunden des Unerschaffnen, der todt war. Flucht der Mutter nicht, Kinder! Jhr seyd unsterblich, und Er ist Jesus Christus, ist auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter! Du, der Geliebten Geliebtester! du ... (doch dich nennet kein Nam' aus!) Siehe, du stirbst! O wär sie die trübe, die bebende Stunde, Wär sie, mit Flügeln des Lichts, vorüber geflogen! Gedanke! Grabgedanke, laß ab! ... Noch wird sie bleicher, noch sinkt sie
Seine
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Achter Geſang.
Mein Verſoͤner, und meiner Gebohrnen! Die Himmel erſchollen, Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe, Die der Verbrecherinn Leben gebot, unſterbliches Leben: Aber du ſtirbſt! izt ſtirbſt du! Zwar iſt es ewige Gnade, Die mich losſprach: aber du ſtirbſt! Er dringt, wie ein Wetter, Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! Die Unſterblichkeit ſtuͤrzt er Zu den Graͤbern zuruͤck! Ach laß mich dir, Goͤttlicher, weinen! Zwar biſt du, fuͤr Thraͤnen zu groß; doch laß mich dir weinen! Sieh, ich durſte nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thraͤnen! Du Verſoͤner! du Opfer! des Todes Opfer! mein Mittler! Wundenvoller! Geliebter! o, du Geliebter! du Liebe! Du verzeiheſt! … Verzeihet ihr auch, zum Tode gebohrne, Jhr, die Eva gebahr? Wenn mir ihr Roͤcheln, ihr lezter, Starrender Blick mir flucht, ſo ſegne du mich, Erwuͤrgter! Flucht der Todten nicht, Kinder! Um euch durchweint ich mein Leben; Da mein Herz brach, weint ich um euch; und Thraͤnen verweſten Mit der Verweſenden! … Bricht nun euer Herz auch, Kinder! Nun im Tode; ſo ſtroͤmt aus ſeinen Wunden euch Wonne, Wonne des beſſern Lebens euch zu! Jhr ſterbt nicht, ihr ſchlummert Nur zu dem Wundenvollen hinauf! Dann glaͤnzen die Wunden, Seine Wunden, die Wunden des Unerſchaffnen, der todt war. Flucht der Mutter nicht, Kinder! Jhr ſeyd unſterblich, und Er iſt Jeſus Chriſtus, iſt auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter! Du, der Geliebten Geliebteſter! du … (doch dich nennet kein Nam’ aus!) Siehe, du ſtirbſt! O waͤr ſie die truͤbe, die bebende Stunde, Waͤr ſie, mit Fluͤgeln des Lichts, voruͤber geflogen! Gedanke! Grabgedanke, laß ab! … Noch wird ſie bleicher, noch ſinkt ſie
Seine
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<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><lgn="40"><l><pbfacs="#f0113"n="87"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Achter Geſang.</hi></fw></l><lb/><l>Mein Verſoͤner, und meiner Gebohrnen! Die Himmel erſchollen,</l><lb/><l>Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe,</l><lb/><l>Die der Verbrecherinn Leben gebot, unſterbliches Leben:</l><lb/><l>Aber du ſtirbſt! izt ſtirbſt du! Zwar iſt es ewige Gnade,</l><lb/><l>Die mich losſprach: aber du ſtirbſt! Er dringt, wie ein Wetter,</l><lb/><l>Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! Die Unſterblichkeit ſtuͤrzt er</l><lb/><l>Zu den Graͤbern zuruͤck! Ach laß mich dir, Goͤttlicher, weinen!</l><lb/><l>Zwar biſt du, fuͤr Thraͤnen zu groß; doch laß mich dir weinen!</l><lb/><l>Sieh, ich durſte nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thraͤnen!</l><lb/><l>Du Verſoͤner! du Opfer! des Todes Opfer! mein Mittler!</l><lb/><l>Wundenvoller! Geliebter! o, du Geliebter! du Liebe!</l><lb/><l>Du verzeiheſt! … Verzeihet ihr auch, zum Tode gebohrne,</l><lb/><l>Jhr, die Eva gebahr? Wenn mir ihr Roͤcheln, ihr lezter,</l><lb/><l>Starrender Blick mir flucht, ſo ſegne du mich, Erwuͤrgter!</l><lb/><l>Flucht der Todten nicht, Kinder! Um euch durchweint ich mein Leben;</l><lb/><l>Da mein Herz brach, weint ich um euch; und Thraͤnen verweſten</l><lb/><l>Mit der Verweſenden! … Bricht nun euer Herz auch, Kinder!</l><lb/><l>Nun im Tode; ſo ſtroͤmt aus ſeinen Wunden euch Wonne,</l><lb/><l>Wonne des beſſern Lebens euch zu! Jhr ſterbt nicht, ihr ſchlummert</l><lb/><l>Nur zu dem Wundenvollen hinauf! Dann glaͤnzen die Wunden,</l><lb/><l>Seine Wunden, die Wunden des Unerſchaffnen, der todt war.</l><lb/><l>Flucht der Mutter nicht, Kinder! Jhr ſeyd unſterblich, und Er iſt</l><lb/><l>Jeſus Chriſtus, iſt auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter!</l><lb/><l>Du, der Geliebten Geliebteſter! du … (doch dich nennet kein Nam’ aus!)</l><lb/><l>Siehe, du ſtirbſt! O waͤr ſie die truͤbe, die bebende Stunde,</l><lb/><l>Waͤr ſie, mit Fluͤgeln des Lichts, voruͤber geflogen! Gedanke!</l><lb/><l>Grabgedanke, laß ab! … Noch wird ſie bleicher, noch ſinkt ſie<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Seine</fw><lb/></l></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
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Achter Geſang.
Mein Verſoͤner, und meiner Gebohrnen! Die Himmel erſchollen,
Und der Thron des Ewigen klang von der Stimme der Liebe,
Die der Verbrecherinn Leben gebot, unſterbliches Leben:
Aber du ſtirbſt! izt ſtirbſt du! Zwar iſt es ewige Gnade,
Die mich losſprach: aber du ſtirbſt! Er dringt, wie ein Wetter,
Gegen mich an, der Gedanke voll Nacht! Die Unſterblichkeit ſtuͤrzt er
Zu den Graͤbern zuruͤck! Ach laß mich dir, Goͤttlicher, weinen!
Zwar biſt du, fuͤr Thraͤnen zu groß; doch laß mich dir weinen!
Sieh, ich durſte nach Ruh! vergieb, vergieb auch die Thraͤnen!
Du Verſoͤner! du Opfer! des Todes Opfer! mein Mittler!
Wundenvoller! Geliebter! o, du Geliebter! du Liebe!
Du verzeiheſt! … Verzeihet ihr auch, zum Tode gebohrne,
Jhr, die Eva gebahr? Wenn mir ihr Roͤcheln, ihr lezter,
Starrender Blick mir flucht, ſo ſegne du mich, Erwuͤrgter!
Flucht der Todten nicht, Kinder! Um euch durchweint ich mein Leben;
Da mein Herz brach, weint ich um euch; und Thraͤnen verweſten
Mit der Verweſenden! … Bricht nun euer Herz auch, Kinder!
Nun im Tode; ſo ſtroͤmt aus ſeinen Wunden euch Wonne,
Wonne des beſſern Lebens euch zu! Jhr ſterbt nicht, ihr ſchlummert
Nur zu dem Wundenvollen hinauf! Dann glaͤnzen die Wunden,
Seine Wunden, die Wunden des Unerſchaffnen, der todt war.
Flucht der Mutter nicht, Kinder! Jhr ſeyd unſterblich, und Er iſt
Jeſus Chriſtus, iſt auch mein Sohn! Ach aber, Geliebter!
Du, der Geliebten Geliebteſter! du … (doch dich nennet kein Nam’ aus!)
Siehe, du ſtirbſt! O waͤr ſie die truͤbe, die bebende Stunde,
Waͤr ſie, mit Fluͤgeln des Lichts, voruͤber geflogen! Gedanke!
Grabgedanke, laß ab! … Noch wird ſie bleicher, noch ſinkt ſie
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/113>, abgerufen am 16.02.2025.
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