Blutig lag! Das fühlst du! Du bist des Sterbenden Mutter! Also hing sie mit liebendem Blick an Maria. Sie hätt' ihn Von der Tochter noch nicht, der theuren Tochter, gewendet, Wären, von Osten herauf, mit ernstem feyrlichen Fluge, Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, schwiegen, Schwebten langsam. Jhr Blick war Flamme! Verderben ihr Antliz! Nacht ihr Gewand! So schwebten sie langsam gegen des Kreuzes Hügel her. Sie hatte vom Throne der Richter gesendet. Fürchterlich kamen sie näher zum Kreuz herüber. Da sanken Tiefer zum Staube der Erde die Seelen der Väter. So weit sich Ein Unsterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren, Nahten sie sich der Sterblichkeit Gränzen, und Bilder des Todes Strömten um sie, das Graun der erdebegrabnen Verwesung Um die Unsterblichen! Da die Todesengel am Hügel Standen, und nun, von Antliz zu Antliz, den Sterbenden sahen, Wandten sie, der zur Rechten, und der zur Linken erhoben, Jeder den tönenden Flug, und, ernst und todweissagend, Flogen sie siebenmal so ums Kreuz. Zween Flügel bedekten Jhren Fuß, zween bebende Flügel ihr Antliz, mit zweenen Flogen sie. Von diesen, indem sie sich breiteten, rauschten Todestöne. So tönts dem Menschenfreunde vom Schlachtfeld, Wenn, zu Tausenden schon, in ihrem Blute die Todten Liegen! Weggewandt flieht er, indem verröchelt noch einer, Dann noch einer, und nun der einsame Lezte sein Leben. Schrecken Gottes lagen auf ihren Flügeln verbreitet, Schrecken Gottes rauschten herab, da die Furchtbaren flogen. Und sie flogen das siebendemal. Der Sterbende richtet
Müde
F 3
Achter Geſang.
Blutig lag! Das fuͤhlſt du! Du biſt des Sterbenden Mutter! Alſo hing ſie mit liebendem Blick an Maria. Sie haͤtt’ ihn Von der Tochter noch nicht, der theuren Tochter, gewendet, Waͤren, von Oſten herauf, mit ernſtem feyrlichen Fluge, Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, ſchwiegen, Schwebten langſam. Jhr Blick war Flamme! Verderben ihr Antliz! Nacht ihr Gewand! So ſchwebten ſie langſam gegen des Kreuzes Huͤgel her. Sie hatte vom Throne der Richter geſendet. Fuͤrchterlich kamen ſie naͤher zum Kreuz heruͤber. Da ſanken Tiefer zum Staube der Erde die Seelen der Vaͤter. So weit ſich Ein Unſterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren, Nahten ſie ſich der Sterblichkeit Graͤnzen, und Bilder des Todes Stroͤmten um ſie, das Graun der erdebegrabnen Verweſung Um die Unſterblichen! Da die Todesengel am Huͤgel Standen, und nun, von Antliz zu Antliz, den Sterbenden ſahen, Wandten ſie, der zur Rechten, und der zur Linken erhoben, Jeder den toͤnenden Flug, und, ernſt und todweiſſagend, Flogen ſie ſiebenmal ſo ums Kreuz. Zween Fluͤgel bedekten Jhren Fuß, zween bebende Fluͤgel ihr Antliz, mit zweenen Flogen ſie. Von dieſen, indem ſie ſich breiteten, rauſchten Todestoͤne. So toͤnts dem Menſchenfreunde vom Schlachtfeld, Wenn, zu Tauſenden ſchon, in ihrem Blute die Todten Liegen! Weggewandt flieht er, indem verroͤchelt noch einer, Dann noch einer, und nun der einſame Lezte ſein Leben. Schrecken Gottes lagen auf ihren Fluͤgeln verbreitet, Schrecken Gottes rauſchten herab, da die Furchtbaren flogen. Und ſie flogen das ſiebendemal. Der Sterbende richtet
Muͤde
F 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><lgn="39"><l><pbfacs="#f0111"n="85"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Achter Geſang.</hi></fw></l><lb/><l>Blutig lag! Das fuͤhlſt du! Du biſt des Sterbenden Mutter!</l><lb/><l>Alſo hing ſie mit liebendem Blick an Maria. Sie haͤtt’ ihn</l><lb/><l>Von der Tochter noch nicht, der theuren Tochter, gewendet,</l><lb/><l>Waͤren, von Oſten herauf, mit ernſtem feyrlichen Fluge,</l><lb/><l>Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, ſchwiegen,</l><lb/><l>Schwebten langſam. Jhr Blick war Flamme! Verderben ihr Antliz!</l><lb/><l>Nacht ihr Gewand! So ſchwebten ſie langſam gegen des Kreuzes</l><lb/><l>Huͤgel her. Sie hatte vom Throne der Richter geſendet.</l><lb/><l>Fuͤrchterlich kamen ſie naͤher zum Kreuz heruͤber. Da ſanken</l><lb/><l>Tiefer zum Staube der Erde die Seelen der Vaͤter. So weit ſich</l><lb/><l>Ein Unſterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren,</l><lb/><l>Nahten ſie ſich der Sterblichkeit Graͤnzen, und Bilder des Todes</l><lb/><l>Stroͤmten um ſie, das Graun der erdebegrabnen Verweſung</l><lb/><l>Um die Unſterblichen! Da die Todesengel am Huͤgel</l><lb/><l>Standen, und nun, von Antliz zu Antliz, den Sterbenden ſahen,</l><lb/><l>Wandten ſie, der zur Rechten, und der zur Linken erhoben,</l><lb/><l>Jeder den toͤnenden Flug, und, ernſt und todweiſſagend,</l><lb/><l>Flogen ſie ſiebenmal ſo ums Kreuz. Zween Fluͤgel bedekten</l><lb/><l>Jhren Fuß, zween bebende Fluͤgel ihr Antliz, mit zweenen</l><lb/><l>Flogen ſie. Von dieſen, indem ſie ſich breiteten, rauſchten</l><lb/><l>Todestoͤne. So toͤnts dem Menſchenfreunde vom Schlachtfeld,</l><lb/><l>Wenn, zu Tauſenden ſchon, in ihrem Blute die Todten</l><lb/><l>Liegen! Weggewandt flieht er, indem verroͤchelt noch einer,</l><lb/><l>Dann noch einer, und nun der einſame Lezte ſein Leben.</l><lb/><l>Schrecken Gottes lagen auf ihren Fluͤgeln verbreitet,</l><lb/><l>Schrecken Gottes rauſchten herab, da die Furchtbaren flogen.</l><lb/><l>Und ſie flogen das ſiebendemal. Der Sterbende richtet<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Muͤde</fw><lb/></l></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[85/0111]
Achter Geſang.
Blutig lag! Das fuͤhlſt du! Du biſt des Sterbenden Mutter!
Alſo hing ſie mit liebendem Blick an Maria. Sie haͤtt’ ihn
Von der Tochter noch nicht, der theuren Tochter, gewendet,
Waͤren, von Oſten herauf, mit ernſtem feyrlichen Fluge,
Nicht zween Todesengel gekommen. Sie kamen, ſchwiegen,
Schwebten langſam. Jhr Blick war Flamme! Verderben ihr Antliz!
Nacht ihr Gewand! So ſchwebten ſie langſam gegen des Kreuzes
Huͤgel her. Sie hatte vom Throne der Richter geſendet.
Fuͤrchterlich kamen ſie naͤher zum Kreuz heruͤber. Da ſanken
Tiefer zum Staube der Erde die Seelen der Vaͤter. So weit ſich
Ein Unſterblicher kann in Gedanken vom Grabe verlieren,
Nahten ſie ſich der Sterblichkeit Graͤnzen, und Bilder des Todes
Stroͤmten um ſie, das Graun der erdebegrabnen Verweſung
Um die Unſterblichen! Da die Todesengel am Huͤgel
Standen, und nun, von Antliz zu Antliz, den Sterbenden ſahen,
Wandten ſie, der zur Rechten, und der zur Linken erhoben,
Jeder den toͤnenden Flug, und, ernſt und todweiſſagend,
Flogen ſie ſiebenmal ſo ums Kreuz. Zween Fluͤgel bedekten
Jhren Fuß, zween bebende Fluͤgel ihr Antliz, mit zweenen
Flogen ſie. Von dieſen, indem ſie ſich breiteten, rauſchten
Todestoͤne. So toͤnts dem Menſchenfreunde vom Schlachtfeld,
Wenn, zu Tauſenden ſchon, in ihrem Blute die Todten
Liegen! Weggewandt flieht er, indem verroͤchelt noch einer,
Dann noch einer, und nun der einſame Lezte ſein Leben.
Schrecken Gottes lagen auf ihren Fluͤgeln verbreitet,
Schrecken Gottes rauſchten herab, da die Furchtbaren flogen.
Und ſie flogen das ſiebendemal. Der Sterbende richtet
Muͤde
F 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/111>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.