[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
Selia hieng noch mit thränendem Blick, und zärtlichem Mitleid Ueber ihm, als noch ein Jünger gleich gegen ihn über heraufstieg. Nennet mir auch jenen, so sagt er, da kömmt er am Berge Zu uns herauf. Jhm fällt ein schwarzes lockichtes Haupthaar, Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernstes Gesicht ist Voll von männlicher Schöne. Dieß Haupt, das über die Häupter Aller Jünger hervorragt, vollendet sein männliches Ansehn. Aber darf ichs wohl sagen, und irr ich nicht, himmlische Freunde? Wenn ich in diesem Zuge des Angesichts Unruh entdecke, Und in jenem nicht edles genung. Nein! er ist ja ein Jünger, Und er wird ja mit Jesu dereinst das Weltgericht halten! Doch ihr schweiget, Unsterbliche? Keiner von meinen Geliebten Sagt mir ein Wort? Ach warum schweigt ihr, himmlische Freunde? Hab ich euch etwa betrübt, daß ich diesen Jünger verkannte? Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Jünger, Zürne du nicht; ich will, wenn du einst als Märtyrer Gott ehrst, Und im Triumph die Unsterblichen siehst, da will ich den Fehler Durch die zärtlichste Freundschaft vor diesen Seraphim gut thun. Ach! so muß ich denn reden? sprach Seraph Jthuriel seufzend, Und gieng mit kläglich gerungenen Händen dem Seraph entgegen, Ach! so muß ich denn reden, mein Freund? Ein ewiges Schweigen Wäre für meine Betrübniß und deine Beruhigung besser! Doch
Selia hieng noch mit thraͤnendem Blick, und zaͤrtlichem Mitleid Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber heraufſtieg. Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am Berge Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes Haupthaar, Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Geſicht iſt Voll von maͤnnlicher Schoͤne. Dieß Haupt, das uͤber die Haͤupter Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches Anſehn. Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche Freunde? Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh entdecke, Und in jenem nicht edles genung. Nein! er iſt ja ein Juͤnger, Und er wird ja mit Jeſu dereinſt das Weltgericht halten! Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen Geliebten Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himmliſche Freunde? Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger verkannte? Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger, Zuͤrne du nicht; ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer Gott ehrſt, Und im Triumph die Unſterblichen ſiehſt, da will ich den Fehler Durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft vor dieſen Seraphim gut thun. Ach! ſo muß ich denn reden? ſprach Seraph Jthuriel ſeufzend, Und gieng mit klaͤglich gerungenen Haͤnden dem Seraph entgegen, Ach! ſo muß ich denn reden, mein Freund? Ein ewiges Schweigen Waͤre fuͤr meine Betruͤbniß und deine Beruhigung beſſer! Doch
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Der Meßias.
Unſichtbar an, und goß ihm Leben und ruhigen Schlummer
Ueber ſein Haupt. Er ſchlief und ſah im heiligen Traume,
Durch den Engel, den Mittler vor ſich lebendig herumgehn.
Selia hieng noch mit thraͤnendem Blick, und zaͤrtlichem Mitleid
Ueber ihm, als noch ein Juͤnger gleich gegen ihn uͤber heraufſtieg.
Nennet mir auch jenen, ſo ſagt er, da koͤmmt er am Berge
Zu uns herauf. Jhm faͤllt ein ſchwarzes lockichtes Haupthaar,
Ueber die breiten Schultern herab. Sein ernſtes Geſicht iſt
Voll von maͤnnlicher Schoͤne. Dieß Haupt, das uͤber die Haͤupter
Aller Juͤnger hervorragt, vollendet ſein maͤnnliches Anſehn.
Aber darf ichs wohl ſagen, und irr ich nicht, himmliſche Freunde?
Wenn ich in dieſem Zuge des Angeſichts Unruh entdecke,
Und in jenem nicht edles genung. Nein! er iſt ja ein Juͤnger,
Und er wird ja mit Jeſu dereinſt das Weltgericht halten!
Doch ihr ſchweiget, Unſterbliche? Keiner von meinen Geliebten
Sagt mir ein Wort? Ach warum ſchweigt ihr, himmliſche Freunde?
Hab ich euch etwa betruͤbt, daß ich dieſen Juͤnger verkannte?
Redet mit mir, ich habe geirrt. Und du, heiliger Juͤnger,
Zuͤrne du nicht; ich will, wenn du einſt als Maͤrtyrer Gott ehrſt,
Und im Triumph die Unſterblichen ſiehſt, da will ich den Fehler
Durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft vor dieſen Seraphim gut thun.
Ach! ſo muß ich denn reden? ſprach Seraph Jthuriel ſeufzend,
Und gieng mit klaͤglich gerungenen Haͤnden dem Seraph entgegen,
Ach! ſo muß ich denn reden, mein Freund? Ein ewiges Schweigen
Waͤre fuͤr meine Betruͤbniß und deine Beruhigung beſſer!
Doch
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