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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Dritter Gesang.

Durch der Nachtigall kläglichen Ton, wenn sie mütterlich jammert.
Jtzo umgaben sie ihn, und standen, wie Menschen, voll Liebe,
Um ihn herum. Von keinem Geschöpf, wie er glaubte, vernommen,
Klagte der stille Lebbäus, und schlug im zärtlichen Klagen
Ueber sein Haupt die Hände zusammen. So find ich ihn nirgends!
Schon ist ein trauriger Tag, schon sind zwo Nächte verflossen,
Daß wir ihn nicht sehen! Ja seine verruchten Verfolger
Haben gewiß ihn endlich ergriffen! Jch armer Verlaßner
Kann noch leben, da Jesus schon todt ist? Dich haben die Sünder
Kläglich erwürgt, du göttlicher Mann! Und ich sah dich nicht sterben!
Und ich habe nicht sanft dein göttliches Auge geschlossen!
Sagt, Verruchte, wo würgtet ihr ihn? Jn welche Gefilde,
Ach! Jn welche verödete Wüste, zu welchen Gebeinen
Unter den Todten entführtet ihr ihn, und nahmt ihm sein Leben?
Ach wo liegst du, göttlicher Freund? Ja, unter den Todten,
Bleich und entstellt, der zärtlichen Huld und des himmlischen Lächelns,
Aller deiner erbarmenden Blicke von Mördern beraubet,
Liegst du! Und dich haben die Deinen nicht sterben gesehen!
Ach daß dieses bekümmerte Herz mir nur nicht mehr schlüge!
Daß mein zum Trauren erschaffener Geist, wie dieß düstre Gewölke,
Tief in die Nacht des Todes entflöhe! Daß meine Gebeine
Felsen würden, und ewig hier stumm, und ewig hier einsam
Stünden, und ein Denkmal der bängsten Traurigkeit würden!

Also klagt er, und sank in Ohnmacht und Schlummer danieder.
Elim bedeckt ihn mit Sprößlingszweigen des schattenden Oelbaums,
Wehte zugleich mit wärmenden Lüften sein starrendes Antlitz
Unsicht-
F 3

Dritter Geſang.

Durch der Nachtigall klaͤglichen Ton, wenn ſie muͤtterlich jammert.
Jtzo umgaben ſie ihn, und ſtanden, wie Menſchen, voll Liebe,
Um ihn herum. Von keinem Geſchoͤpf, wie er glaubte, vernommen,
Klagte der ſtille Lebbaͤus, und ſchlug im zaͤrtlichen Klagen
Ueber ſein Haupt die Haͤnde zuſammen. So find ich ihn nirgends!
Schon iſt ein trauriger Tag, ſchon ſind zwo Naͤchte verfloſſen,
Daß wir ihn nicht ſehen! Ja ſeine verruchten Verfolger
Haben gewiß ihn endlich ergriffen! Jch armer Verlaßner
Kann noch leben, da Jeſus ſchon todt iſt? Dich haben die Suͤnder
Klaͤglich erwuͤrgt, du goͤttlicher Mann! Und ich ſah dich nicht ſterben!
Und ich habe nicht ſanft dein goͤttliches Auge geſchloſſen!
Sagt, Verruchte, wo wuͤrgtet ihr ihn? Jn welche Gefilde,
Ach! Jn welche veroͤdete Wuͤſte, zu welchen Gebeinen
Unter den Todten entfuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm ſein Leben?
Ach wo liegſt du, goͤttlicher Freund? Ja, unter den Todten,
Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmliſchen Laͤchelns,
Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet,
Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſehen!
Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr ſchluͤge!
Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dieß duͤſtre Gewoͤlke,
Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Gebeine
Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier einſam
Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit wuͤrden!

Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer danieder.
Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden Oelbaums,
Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes Antlitz
Unſicht-
F 3
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[85/0097] Dritter Geſang. Durch der Nachtigall klaͤglichen Ton, wenn ſie muͤtterlich jammert. Jtzo umgaben ſie ihn, und ſtanden, wie Menſchen, voll Liebe, Um ihn herum. Von keinem Geſchoͤpf, wie er glaubte, vernommen, Klagte der ſtille Lebbaͤus, und ſchlug im zaͤrtlichen Klagen Ueber ſein Haupt die Haͤnde zuſammen. So find ich ihn nirgends! Schon iſt ein trauriger Tag, ſchon ſind zwo Naͤchte verfloſſen, Daß wir ihn nicht ſehen! Ja ſeine verruchten Verfolger Haben gewiß ihn endlich ergriffen! Jch armer Verlaßner Kann noch leben, da Jeſus ſchon todt iſt? Dich haben die Suͤnder Klaͤglich erwuͤrgt, du goͤttlicher Mann! Und ich ſah dich nicht ſterben! Und ich habe nicht ſanft dein goͤttliches Auge geſchloſſen! Sagt, Verruchte, wo wuͤrgtet ihr ihn? Jn welche Gefilde, Ach! Jn welche veroͤdete Wuͤſte, zu welchen Gebeinen Unter den Todten entfuͤhrtet ihr ihn, und nahmt ihm ſein Leben? Ach wo liegſt du, goͤttlicher Freund? Ja, unter den Todten, Bleich und entſtellt, der zaͤrtlichen Huld und des himmliſchen Laͤchelns, Aller deiner erbarmenden Blicke von Moͤrdern beraubet, Liegſt du! Und dich haben die Deinen nicht ſterben geſehen! Ach daß dieſes bekuͤmmerte Herz mir nur nicht mehr ſchluͤge! Daß mein zum Trauren erſchaffener Geiſt, wie dieß duͤſtre Gewoͤlke, Tief in die Nacht des Todes entfloͤhe! Daß meine Gebeine Felſen wuͤrden, und ewig hier ſtumm, und ewig hier einſam Stuͤnden, und ein Denkmal der baͤngſten Traurigkeit wuͤrden! Alſo klagt er, und ſank in Ohnmacht und Schlummer danieder. Elim bedeckt ihn mit Sproͤßlingszweigen des ſchattenden Oelbaums, Wehte zugleich mit waͤrmenden Luͤften ſein ſtarrendes Antlitz Unſicht- F 3

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/97>, abgerufen am 27.11.2024.