Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Jüngst als Jesus die Jünger befragte, für wen sie ihn hielten,
Sprach er: du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Dieses sagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph,
Als er die Worte vor unaussprechlichen Seufzern kaum ganz sprach.
Aber ach! hätt ich nur nicht selbst aus dem Munde des Mittlers
Dieß von Petrus gehört: Du wirst mich dreymal verleugnen!
Traurige Worte, was sagtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder,
Hörtest du sie? Und wenn du sie hörtest, was dachte dein Herze?
Simon, du sagtest zwar kühn: du wolltest ihn niemals verleugnen,
Deinen Erlöser und Gott! Doch Jesus sagt es noch einmal.
Wenn du es wüßtest, wie mir mein Herz für Wehmuth zerfliesset,
Wenn ich dran denke, du stürbest viel lieber, als daß du den besten
Deinen getreusten unsterblichen Freund unedel verkenntest.
Doch du weißt ja, wie Jesus dich liebt. Du sahst ja sein Auge,
Das voll göttlicher Huld bey diesen Worten dich ansah.
Simon Perus, du wirst ihn doch nicht unedel verkennen.

Selia hört ihn. Den Seraph durchdrang ein zärtlicher Kummer.
Nein, so sagt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird nicht
Seinen getreusten unsterblichen Freund unedel verleugnen!
Schau ihn nur an, welch redliches Herz dieß Angesicht ausdrückt!
Aber, wer ist jener, der dort auf männlicher Stirne
Feuer zur Tugend, und zürnenden Haß der Laster verbreitet,
Unerbittlich den sclavischen Sündern, die Gott verkennen?
Jst er nicht Simons Vertrauter? O wie er sich um ihn beschäfftigt!
Wär er sein Bruder, so könnt er ihm nicht vertrauter begegnen!
Sipha,

Der Meßias.

Juͤngſt als Jeſus die Juͤnger befragte, fuͤr wen ſie ihn hielten,
Sprach er: du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Dieſes ſagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph,
Als er die Worte vor unausſprechlichen Seufzern kaum ganz ſprach.
Aber ach! haͤtt ich nur nicht ſelbſt aus dem Munde des Mittlers
Dieß von Petrus gehoͤrt: Du wirſt mich dreymal verleugnen!
Traurige Worte, was ſagtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder,
Hoͤrteſt du ſie? Und wenn du ſie hoͤrteſt, was dachte dein Herze?
Simon, du ſagteſt zwar kuͤhn: du wollteſt ihn niemals verleugnen,
Deinen Erloͤſer und Gott! Doch Jeſus ſagt es noch einmal.
Wenn du es wuͤßteſt, wie mir mein Herz fuͤr Wehmuth zerflieſſet,
Wenn ich dran denke, du ſtuͤrbeſt viel lieber, als daß du den beſten
Deinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verkennteſt.
Doch du weißt ja, wie Jeſus dich liebt. Du ſahſt ja ſein Auge,
Das voll goͤttlicher Huld bey dieſen Worten dich anſah.
Simon Perus, du wirſt ihn doch nicht unedel verkennen.

Selia hoͤrt ihn. Den Seraph durchdrang ein zaͤrtlicher Kummer.
Nein, ſo ſagt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird nicht
Seinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verleugnen!
Schau ihn nur an, welch redliches Herz dieß Angeſicht ausdruͤckt!
Aber, wer iſt jener, der dort auf maͤnnlicher Stirne
Feuer zur Tugend, und zuͤrnenden Haß der Laſter verbreitet,
Unerbittlich den ſclaviſchen Suͤndern, die Gott verkennen?
Jſt er nicht Simons Vertrauter? O wie er ſich um ihn beſchaͤfftigt!
Waͤr er ſein Bruder, ſo koͤnnt er ihm nicht vertrauter begegnen!
Sipha,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="11">
              <l>
                <pb facs="#f0090" n="78"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Ju&#x0364;ng&#x017F;t als Je&#x017F;us die Ju&#x0364;nger befragte, fu&#x0364;r wen &#x017F;ie ihn hielten,</l><lb/>
              <l>Sprach er: du bi&#x017F;t Chri&#x017F;tus, der Sohn des lebendigen Gottes!</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;es &#x017F;agt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph,</l><lb/>
              <l>Als er die Worte vor unaus&#x017F;prechlichen Seufzern kaum ganz &#x017F;prach.</l><lb/>
              <l>Aber ach! ha&#x0364;tt ich nur nicht &#x017F;elb&#x017F;t aus dem Munde des Mittlers</l><lb/>
              <l>Dieß von Petrus geho&#x0364;rt: Du wir&#x017F;t mich dreymal verleugnen!</l><lb/>
              <l>Traurige Worte, was &#x017F;agtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder,</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;rte&#x017F;t du &#x017F;ie? Und wenn du &#x017F;ie ho&#x0364;rte&#x017F;t, was dachte dein Herze?</l><lb/>
              <l>Simon, du &#x017F;agte&#x017F;t zwar ku&#x0364;hn: du wollte&#x017F;t ihn niemals verleugnen,</l><lb/>
              <l>Deinen Erlo&#x0364;&#x017F;er und Gott! Doch Je&#x017F;us &#x017F;agt es noch einmal.</l><lb/>
              <l>Wenn du es wu&#x0364;ßte&#x017F;t, wie mir mein Herz fu&#x0364;r Wehmuth zerflie&#x017F;&#x017F;et,</l><lb/>
              <l>Wenn ich dran denke, du &#x017F;tu&#x0364;rbe&#x017F;t viel lieber, als daß du den be&#x017F;ten</l><lb/>
              <l>Deinen getreu&#x017F;ten un&#x017F;terblichen Freund unedel verkennte&#x017F;t.</l><lb/>
              <l>Doch du weißt ja, wie Je&#x017F;us dich liebt. Du &#x017F;ah&#x017F;t ja &#x017F;ein Auge,</l><lb/>
              <l>Das voll go&#x0364;ttlicher Huld bey die&#x017F;en Worten dich an&#x017F;ah.</l><lb/>
              <l>Simon Perus, du wir&#x017F;t ihn doch nicht unedel verkennen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Selia ho&#x0364;rt ihn. Den Seraph durchdrang ein za&#x0364;rtlicher Kummer.</l><lb/>
              <l>Nein, &#x017F;o &#x017F;agt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird nicht</l><lb/>
              <l>Seinen getreu&#x017F;ten un&#x017F;terblichen Freund unedel verleugnen!</l><lb/>
              <l>Schau ihn nur an, welch redliches Herz dieß Ange&#x017F;icht ausdru&#x0364;ckt!</l><lb/>
              <l>Aber, wer i&#x017F;t jener, der dort auf ma&#x0364;nnlicher Stirne</l><lb/>
              <l>Feuer zur Tugend, und zu&#x0364;rnenden Haß der La&#x017F;ter verbreitet,</l><lb/>
              <l>Unerbittlich den &#x017F;clavi&#x017F;chen Su&#x0364;ndern, die Gott verkennen?</l><lb/>
              <l>J&#x017F;t er nicht Simons Vertrauter? O wie er &#x017F;ich um ihn be&#x017F;cha&#x0364;fftigt!</l><lb/>
              <l>Wa&#x0364;r er &#x017F;ein Bruder, &#x017F;o ko&#x0364;nnt er ihm nicht vertrauter begegnen!</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Sipha,</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0090] Der Meßias. Juͤngſt als Jeſus die Juͤnger befragte, fuͤr wen ſie ihn hielten, Sprach er: du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes! Dieſes ſagt er, und weinte vor Freude. Wir weinten auch, Seraph, Als er die Worte vor unausſprechlichen Seufzern kaum ganz ſprach. Aber ach! haͤtt ich nur nicht ſelbſt aus dem Munde des Mittlers Dieß von Petrus gehoͤrt: Du wirſt mich dreymal verleugnen! Traurige Worte, was ſagtet ihr mir! Ach Simon, mein Bruder, Hoͤrteſt du ſie? Und wenn du ſie hoͤrteſt, was dachte dein Herze? Simon, du ſagteſt zwar kuͤhn: du wollteſt ihn niemals verleugnen, Deinen Erloͤſer und Gott! Doch Jeſus ſagt es noch einmal. Wenn du es wuͤßteſt, wie mir mein Herz fuͤr Wehmuth zerflieſſet, Wenn ich dran denke, du ſtuͤrbeſt viel lieber, als daß du den beſten Deinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verkennteſt. Doch du weißt ja, wie Jeſus dich liebt. Du ſahſt ja ſein Auge, Das voll goͤttlicher Huld bey dieſen Worten dich anſah. Simon Perus, du wirſt ihn doch nicht unedel verkennen. Selia hoͤrt ihn. Den Seraph durchdrang ein zaͤrtlicher Kummer. Nein, ſo ſagt er zu ihm, nein, theurer Orion, er wird nicht Seinen getreuſten unſterblichen Freund unedel verleugnen! Schau ihn nur an, welch redliches Herz dieß Angeſicht ausdruͤckt! Aber, wer iſt jener, der dort auf maͤnnlicher Stirne Feuer zur Tugend, und zuͤrnenden Haß der Laſter verbreitet, Unerbittlich den ſclaviſchen Suͤndern, die Gott verkennen? Jſt er nicht Simons Vertrauter? O wie er ſich um ihn beſchaͤfftigt! Waͤr er ſein Bruder, ſo koͤnnt er ihm nicht vertrauter begegnen! Sipha,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/90
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/90>, abgerufen am 22.11.2024.