Aber du blickft mich nicht an! Doch kennst du mein innerstes Denken! Darf ich diesen Gedanken hinaus zu denken es wagen, Dessen erstes Zittern ich fühle? Du wardst der Meßias Für die Menschen, und nicht der Meßias der höheren Engel! Ach, wenn du uns gewürdiget hättest, ein Seraph zu werden, Und lägst über die Felder des Himmels hinüber gebreitet, Wie du hier im Staube itzt liegst; und giengst ins Gericht hin, Unserntwegen tief ins Gericht des ewigen Vaters; Faltetest so die Hände zu Gott, und sähst so zum Thron auf: O wie wollt ich alsdann mit aufgehabenen Händen Gehen um dich herum, und mit Hallelujagesängen, Mit der Stimme der Harfenspieler dich, Göttlicher, segnen! Aber weil ihrs denn seyd, die süssen Lieblinge Gottes, Kinder Adams, so fasse der Fluch mit ewigem Feuer Jedes Haupt, das niedrig gnug denkt, den Sohn zu verkennen! Jedes Herz, das, seiner nicht würdig, die Tugend entheiligt! Die ihr kommen werdet, Geschlechter so vieler Erlösten, Wenn ihr entehret das Blut, das von diesem Angesicht rinnet, So sey es euch zum Tode vergossen, zum ewigen Tode! Ja, euch mein ich, und nenn euch zugleich bey dem furchtbaren Namen, Den euch der Unerschaffne selbst gab, unsterbliche Seelen, Wenn nun über euch auch das Bild von jenem Gedanken, Mit der gefürchteten Mine der ernsten Ewigkeit, stehn wird, Jener Gedanke, daß ihr, gleich uns, verworfen von Gott seyd, Von dem ersten und besten der Wesen, auf ewig verworfen! Dann will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen, Durch die Gefilde voll Elend und Nacht, herabschaun und sagen: Heil dir, ewiger Tod, dich segn' ich Jammer ohn Ende! Zwar das Anschaun, die selige Ruh der hohen Erlösten, Die mit weiserer Sorge durch Tugend der Ewigkeit lebten, Wird mich vom Himmel herab, aus ihrer Herrlichkeit, schrecken.
Doch
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Fuͤnfter Geſang.
Aber du blickft mich nicht an! Doch kennſt du mein innerſtes Denken! Darf ich dieſen Gedanken hinaus zu denken es wagen, Deſſen erſtes Zittern ich fuͤhle? Du wardſt der Meßias Fuͤr die Menſchen, und nicht der Meßias der hoͤheren Engel! Ach, wenn du uns gewuͤrdiget haͤtteſt, ein Seraph zu werden, Und laͤgſt uͤber die Felder des Himmels hinuͤber gebreitet, Wie du hier im Staube itzt liegſt; und giengſt ins Gericht hin, Unſerntwegen tief ins Gericht des ewigen Vaters; Falteteſt ſo die Haͤnde zu Gott, und ſaͤhſt ſo zum Thron auf: O wie wollt ich alsdann mit aufgehabenen Haͤnden Gehen um dich herum, und mit Hallelujageſaͤngen, Mit der Stimme der Harfenſpieler dich, Goͤttlicher, ſegnen! Aber weil ihrs denn ſeyd, die ſuͤſſen Lieblinge Gottes, Kinder Adams, ſo faſſe der Fluch mit ewigem Feuer Jedes Haupt, das niedrig gnug denkt, den Sohn zu verkennen! Jedes Herz, das, ſeiner nicht wuͤrdig, die Tugend entheiligt! Die ihr kommen werdet, Geſchlechter ſo vieler Erloͤſten, Wenn ihr entehret das Blut, das von dieſem Angeſicht rinnet, So ſey es euch zum Tode vergoſſen, zum ewigen Tode! Ja, euch mein ich, und nenn euch zugleich bey dem furchtbaren Namen, Den euch der Unerſchaffne ſelbſt gab, unſterbliche Seelen, Wenn nun uͤber euch auch das Bild von jenem Gedanken, Mit der gefuͤrchteten Mine der ernſten Ewigkeit, ſtehn wird, Jener Gedanke, daß ihr, gleich uns, verworfen von Gott ſeyd, Von dem erſten und beſten der Weſen, auf ewig verworfen! Dann will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen, Durch die Gefilde voll Elend und Nacht, herabſchaun und ſagen: Heil dir, ewiger Tod, dich ſegn’ ich Jammer ohn Ende! Zwar das Anſchaun, die ſelige Ruh der hohen Erloͤſten, Die mit weiſerer Sorge durch Tugend der Ewigkeit lebten, Wird mich vom Himmel herab, aus ihrer Herrlichkeit, ſchrecken.
Doch
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Fuͤnfter Geſang.
Aber du blickft mich nicht an! Doch kennſt du mein innerſtes Denken!
Darf ich dieſen Gedanken hinaus zu denken es wagen,
Deſſen erſtes Zittern ich fuͤhle? Du wardſt der Meßias
Fuͤr die Menſchen, und nicht der Meßias der hoͤheren Engel!
Ach, wenn du uns gewuͤrdiget haͤtteſt, ein Seraph zu werden,
Und laͤgſt uͤber die Felder des Himmels hinuͤber gebreitet,
Wie du hier im Staube itzt liegſt; und giengſt ins Gericht hin,
Unſerntwegen tief ins Gericht des ewigen Vaters;
Falteteſt ſo die Haͤnde zu Gott, und ſaͤhſt ſo zum Thron auf:
O wie wollt ich alsdann mit aufgehabenen Haͤnden
Gehen um dich herum, und mit Hallelujageſaͤngen,
Mit der Stimme der Harfenſpieler dich, Goͤttlicher, ſegnen!
Aber weil ihrs denn ſeyd, die ſuͤſſen Lieblinge Gottes,
Kinder Adams, ſo faſſe der Fluch mit ewigem Feuer
Jedes Haupt, das niedrig gnug denkt, den Sohn zu verkennen!
Jedes Herz, das, ſeiner nicht wuͤrdig, die Tugend entheiligt!
Die ihr kommen werdet, Geſchlechter ſo vieler Erloͤſten,
Wenn ihr entehret das Blut, das von dieſem Angeſicht rinnet,
So ſey es euch zum Tode vergoſſen, zum ewigen Tode!
Ja, euch mein ich, und nenn euch zugleich bey dem furchtbaren Namen,
Den euch der Unerſchaffne ſelbſt gab, unſterbliche Seelen,
Wenn nun uͤber euch auch das Bild von jenem Gedanken,
Mit der gefuͤrchteten Mine der ernſten Ewigkeit, ſtehn wird,
Jener Gedanke, daß ihr, gleich uns, verworfen von Gott ſeyd,
Von dem erſten und beſten der Weſen, auf ewig verworfen!
Dann will ich auf die offenen Wunden der ewigen Seelen,
Durch die Gefilde voll Elend und Nacht, herabſchaun und ſagen:
Heil dir, ewiger Tod, dich ſegn’ ich Jammer ohn Ende!
Zwar das Anſchaun, die ſelige Ruh der hohen Erloͤſten,
Die mit weiſerer Sorge durch Tugend der Ewigkeit lebten,
Wird mich vom Himmel herab, aus ihrer Herrlichkeit, ſchrecken.
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/191>, abgerufen am 16.02.2025.
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