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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Fünfter Gesang.

Und mit Gedanken von jenem Gericht voll Seelenangst ringet?
Soll ich sehn des Erschlagenen Blut? Er gieng vielleicht ruhig
Jn den Schatten der Nacht, und eilte, stammelnde Kinder
An dem Halse der Mutter mit Vaterfreuden zu grüßen;
Da erschlug ihn ein lauernder Feind, ein Unmensch, im Dunkeln!
Und es war doch vielleicht sein Wandel mit Unschuld gekrönet,
Und sein Thun mit Weisheit geschmückt! Ach, soll ich ihn sehen?
Soll ich sehen des Sterbenden Blut, und die brechenden Augen;
Und die Todesblässe der Wangen, die nun nicht mehr blühen?
Soll ich hören der Seufzer Getön, den rufenden Donner
Seiner Stimme, mit welcher er stirbt? Ach Blut des Erschlagnen!
Furchtbares Blut des unschuldigen Manns! Auch du bist ein Zeuge
Wider mich vor jenem Gericht, das Erbarmung nicht kennet.
Auch ich habe den Tod die Kinder Adams gelehret!
Ach, Blut! Blut unschuldiger Menschen! Das je ward vergossen,
Und noch künftig, durch manches Jahrhundert, vergossen wird werden,
Laß von mir ab! Jch höre die Stimme, mit welcher du donnerst!
Ach, ich höre dein furchtbares Seufzen, mit dem du zu Gott schreyst,
Rache forderst, und mich der ewigen Rache dahin giebst.
Jch muß schauen dahin, wo deine Verwesungen ruhen!
Kinder Adams, auf eure Gebeine, dahin muß ich schauen!
Mein Gewissen ergreift, wie ein Krieger, mein weggewandt Antlitz,
Wendet es um, und kehrt es gewaltig dahin, wo die Todten,
Die auch ich mit erschlug, in stillen Gräbern verwesen.
Todesstille, Mich schauert vor dir! Er kömmt nicht im Stillen,
Nicht in dieser ruhenden Nacht, der gegen mich wütet:
Donnernd geht er in Wolken daher! Sein Schritt ist ein Wetter.
Seines Mundes Gespräch ist der Tod; ist Gericht ohn Erbarmen!
Also dacht er, und nahte sich säumend des Sterbenden Stimme.
Jtzo sah er von fern den Meßias, doch sah er sein Antlitz
Und die blutende Stirne noch nicht. Es lag der Meßias

Auf

Fuͤnfter Geſang.

Und mit Gedanken von jenem Gericht voll Seelenangſt ringet?
Soll ich ſehn des Erſchlagenen Blut? Er gieng vielleicht ruhig
Jn den Schatten der Nacht, und eilte, ſtammelnde Kinder
An dem Halſe der Mutter mit Vaterfreuden zu gruͤßen;
Da erſchlug ihn ein lauernder Feind, ein Unmenſch, im Dunkeln!
Und es war doch vielleicht ſein Wandel mit Unſchuld gekroͤnet,
Und ſein Thun mit Weisheit geſchmuͤckt! Ach, ſoll ich ihn ſehen?
Soll ich ſehen des Sterbenden Blut, und die brechenden Augen;
Und die Todesblaͤſſe der Wangen, die nun nicht mehr bluͤhen?
Soll ich hoͤren der Seufzer Getoͤn, den rufenden Donner
Seiner Stimme, mit welcher er ſtirbt? Ach Blut des Erſchlagnen!
Furchtbares Blut des unſchuldigen Manns! Auch du biſt ein Zeuge
Wider mich vor jenem Gericht, das Erbarmung nicht kennet.
Auch ich habe den Tod die Kinder Adams gelehret!
Ach, Blut! Blut unſchuldiger Menſchen! Das je ward vergoſſen,
Und noch kuͤnftig, durch manches Jahrhundert, vergoſſen wird werden,
Laß von mir ab! Jch hoͤre die Stimme, mit welcher du donnerſt!
Ach, ich hoͤre dein furchtbares Seufzen, mit dem du zu Gott ſchreyſt,
Rache forderſt, und mich der ewigen Rache dahin giebſt.
Jch muß ſchauen dahin, wo deine Verweſungen ruhen!
Kinder Adams, auf eure Gebeine, dahin muß ich ſchauen!
Mein Gewiſſen ergreift, wie ein Krieger, mein weggewandt Antlitz,
Wendet es um, und kehrt es gewaltig dahin, wo die Todten,
Die auch ich mit erſchlug, in ſtillen Graͤbern verweſen.
Todesſtille, Mich ſchauert vor dir! Er koͤmmt nicht im Stillen,
Nicht in dieſer ruhenden Nacht, der gegen mich wuͤtet:
Donnernd geht er in Wolken daher! Sein Schritt iſt ein Wetter.
Seines Mundes Geſpraͤch iſt der Tod; iſt Gericht ohn Erbarmen!
Alſo dacht er, und nahte ſich ſaͤumend des Sterbenden Stimme.
Jtzo ſah er von fern den Meßias, doch ſah er ſein Antlitz
Und die blutende Stirne noch nicht. Es lag der Meßias

Auf
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[175/0187] Fuͤnfter Geſang. Und mit Gedanken von jenem Gericht voll Seelenangſt ringet? Soll ich ſehn des Erſchlagenen Blut? Er gieng vielleicht ruhig Jn den Schatten der Nacht, und eilte, ſtammelnde Kinder An dem Halſe der Mutter mit Vaterfreuden zu gruͤßen; Da erſchlug ihn ein lauernder Feind, ein Unmenſch, im Dunkeln! Und es war doch vielleicht ſein Wandel mit Unſchuld gekroͤnet, Und ſein Thun mit Weisheit geſchmuͤckt! Ach, ſoll ich ihn ſehen? Soll ich ſehen des Sterbenden Blut, und die brechenden Augen; Und die Todesblaͤſſe der Wangen, die nun nicht mehr bluͤhen? Soll ich hoͤren der Seufzer Getoͤn, den rufenden Donner Seiner Stimme, mit welcher er ſtirbt? Ach Blut des Erſchlagnen! Furchtbares Blut des unſchuldigen Manns! Auch du biſt ein Zeuge Wider mich vor jenem Gericht, das Erbarmung nicht kennet. Auch ich habe den Tod die Kinder Adams gelehret! Ach, Blut! Blut unſchuldiger Menſchen! Das je ward vergoſſen, Und noch kuͤnftig, durch manches Jahrhundert, vergoſſen wird werden, Laß von mir ab! Jch hoͤre die Stimme, mit welcher du donnerſt! Ach, ich hoͤre dein furchtbares Seufzen, mit dem du zu Gott ſchreyſt, Rache forderſt, und mich der ewigen Rache dahin giebſt. Jch muß ſchauen dahin, wo deine Verweſungen ruhen! Kinder Adams, auf eure Gebeine, dahin muß ich ſchauen! Mein Gewiſſen ergreift, wie ein Krieger, mein weggewandt Antlitz, Wendet es um, und kehrt es gewaltig dahin, wo die Todten, Die auch ich mit erſchlug, in ſtillen Graͤbern verweſen. Todesſtille, Mich ſchauert vor dir! Er koͤmmt nicht im Stillen, Nicht in dieſer ruhenden Nacht, der gegen mich wuͤtet: Donnernd geht er in Wolken daher! Sein Schritt iſt ein Wetter. Seines Mundes Geſpraͤch iſt der Tod; iſt Gericht ohn Erbarmen! Alſo dacht er, und nahte ſich ſaͤumend des Sterbenden Stimme. Jtzo ſah er von fern den Meßias, doch ſah er ſein Antlitz Und die blutende Stirne noch nicht. Es lag der Meßias Auf

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/187>, abgerufen am 24.11.2024.