Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfter Gesang.

Sind nicht eines Sterblichen Tage, der aufblüht, und Staub wird.
Ewigkeiten sind es, daß ich, Jehovah, dich schaute:
Aber so hab ich noch nie dein furchtbares Antlitz gesehen!
Du hast dein ganzes Gericht, und alle deine Verderben,
Ewiger, angezogen! Und diese Herrlichkeit Gottes,
Die sonst Liebe nur war, ist ganz zu Zorne geworden!
Ach, ich habe mich unterwunden, mit dir, Gott, zu reden,
Der ich eine Wolke nur bin, woraus du mich, Gott, schufst,
Und aus deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph!
Zürne nicht, Vater, und schaue mich nicht mit dem schrecklichen Blick an,
Mit dem du zu der Erden hinunterblickst, daß ich nicht sterbe;
Und dann mein Name nicht mehr im Buche der Ewigen stehe;
Und mein Sitz nicht mehr sey am Allerheiligsten Gottes!

Seraph, ich steig itzt herab, Gott den Meßias zu richten,
Der sich, zwischen mich, und das Geschlecht der Menschen gestellt hat,
Dasteht, und muthig mein ganzes Gericht, ein Gottmensch, erwartet.
Folge mir, mein Geliebter, in deiner Schöne von fern nach.
Gott sprach so, und stand hoch vom ewigen Thron auf. Der Thron klang
Unter ihm hin, da er aufstand. Des Allerheiligsten Berge
Zitterten, und mit ihnen das Haupt am hohen Altare
Des Meßias, mit ihnen die Wolken des heiligen Dunkels.
Dreymal flohn sie zurück. Zum viertenmal bebte das Antlitz
Des erhabnen Gerichtstuls, und seine furchtbaren Stufen
Sichtbar herror; und der Ewige stieg vom himmlischen Throne.
So, wenn ein festlicher Tag durch alle Himmel gefeyrt wird,
Und mit allgegenwärtigem Winke der Ewige winket,
So

Fuͤnfter Geſang.

Sind nicht eines Sterblichen Tage, der aufbluͤht, und Staub wird.
Ewigkeiten ſind es, daß ich, Jehovah, dich ſchaute:
Aber ſo hab ich noch nie dein furchtbares Antlitz geſehen!
Du haſt dein ganzes Gericht, und alle deine Verderben,
Ewiger, angezogen! Und dieſe Herrlichkeit Gottes,
Die ſonſt Liebe nur war, iſt ganz zu Zorne geworden!
Ach, ich habe mich unterwunden, mit dir, Gott, zu reden,
Der ich eine Wolke nur bin, woraus du mich, Gott, ſchufſt,
Und aus deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph!
Zuͤrne nicht, Vater, und ſchaue mich nicht mit dem ſchrecklichen Blick an,
Mit dem du zu der Erden hinunterblickſt, daß ich nicht ſterbe;
Und dann mein Name nicht mehr im Buche der Ewigen ſtehe;
Und mein Sitz nicht mehr ſey am Allerheiligſten Gottes!

Seraph, ich ſteig itzt herab, Gott den Meßias zu richten,
Der ſich, zwiſchen mich, und das Geſchlecht der Menſchen geſtellt hat,
Daſteht, und muthig mein ganzes Gericht, ein Gottmenſch, erwartet.
Folge mir, mein Geliebter, in deiner Schoͤne von fern nach.
Gott ſprach ſo, und ſtand hoch vom ewigen Thron auf. Der Thron klang
Unter ihm hin, da er aufſtand. Des Allerheiligſten Berge
Zitterten, und mit ihnen das Haupt am hohen Altare
Des Meßias, mit ihnen die Wolken des heiligen Dunkels.
Dreymal flohn ſie zuruͤck. Zum viertenmal bebte das Antlitz
Des erhabnen Gerichtſtuls, und ſeine furchtbaren Stufen
Sichtbar herror; und der Ewige ſtieg vom himmliſchen Throne.
So, wenn ein feſtlicher Tag durch alle Himmel gefeyrt wird,
Und mit allgegenwaͤrtigem Winke der Ewige winket,
So
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>
                <pb facs="#f0169" n="157"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Fu&#x0364;nfter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Sind nicht eines Sterblichen Tage, der aufblu&#x0364;ht, und Staub wird.</l><lb/>
              <l>Ewigkeiten &#x017F;ind es, daß ich, Jehovah, dich &#x017F;chaute:</l><lb/>
              <l>Aber &#x017F;o hab ich noch nie dein furchtbares Antlitz ge&#x017F;ehen!</l><lb/>
              <l>Du ha&#x017F;t dein ganzes Gericht, und alle deine Verderben,</l><lb/>
              <l>Ewiger, angezogen! Und die&#x017F;e Herrlichkeit Gottes,</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;on&#x017F;t Liebe nur war, i&#x017F;t ganz zu Zorne geworden!</l><lb/>
              <l>Ach, ich habe mich unterwunden, mit dir, Gott, zu reden,</l><lb/>
              <l>Der ich eine Wolke nur bin, woraus du mich, Gott, &#x017F;chuf&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und aus deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph!</l><lb/>
              <l>Zu&#x0364;rne nicht, Vater, und &#x017F;chaue mich nicht mit dem &#x017F;chrecklichen Blick an,</l><lb/>
              <l>Mit dem du zu der Erden hinunterblick&#x017F;t, daß ich nicht &#x017F;terbe;</l><lb/>
              <l>Und dann mein Name nicht mehr im Buche der Ewigen &#x017F;tehe;</l><lb/>
              <l>Und mein Sitz nicht mehr &#x017F;ey am Allerheilig&#x017F;ten Gottes!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Seraph, ich &#x017F;teig itzt herab, Gott den Meßias zu richten,</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;ich, zwi&#x017F;chen mich, und das Ge&#x017F;chlecht der Men&#x017F;chen ge&#x017F;tellt hat,</l><lb/>
              <l>Da&#x017F;teht, und muthig mein ganzes Gericht, ein Gottmen&#x017F;ch, erwartet.</l><lb/>
              <l>Folge mir, mein Geliebter, in deiner Scho&#x0364;ne von fern nach.</l><lb/>
              <l>Gott &#x017F;prach &#x017F;o, und &#x017F;tand hoch vom ewigen Thron auf. Der Thron klang</l><lb/>
              <l>Unter ihm hin, da er auf&#x017F;tand. Des Allerheilig&#x017F;ten Berge</l><lb/>
              <l>Zitterten, und mit ihnen das Haupt am hohen Altare</l><lb/>
              <l>Des Meßias, mit ihnen die Wolken des heiligen Dunkels.</l><lb/>
              <l>Dreymal flohn &#x017F;ie zuru&#x0364;ck. Zum viertenmal bebte das Antlitz</l><lb/>
              <l>Des erhabnen Gericht&#x017F;tuls, und &#x017F;eine furchtbaren Stufen</l><lb/>
              <l>Sichtbar herror; und der Ewige &#x017F;tieg vom himmli&#x017F;chen Throne.</l><lb/>
              <l>So, wenn ein fe&#x017F;tlicher Tag durch alle Himmel gefeyrt wird,</l><lb/>
              <l>Und mit allgegenwa&#x0364;rtigem Winke der Ewige winket,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0169] Fuͤnfter Geſang. Sind nicht eines Sterblichen Tage, der aufbluͤht, und Staub wird. Ewigkeiten ſind es, daß ich, Jehovah, dich ſchaute: Aber ſo hab ich noch nie dein furchtbares Antlitz geſehen! Du haſt dein ganzes Gericht, und alle deine Verderben, Ewiger, angezogen! Und dieſe Herrlichkeit Gottes, Die ſonſt Liebe nur war, iſt ganz zu Zorne geworden! Ach, ich habe mich unterwunden, mit dir, Gott, zu reden, Der ich eine Wolke nur bin, woraus du mich, Gott, ſchufſt, Und aus deinem Odem ein Hauch, ein endlicher Seraph! Zuͤrne nicht, Vater, und ſchaue mich nicht mit dem ſchrecklichen Blick an, Mit dem du zu der Erden hinunterblickſt, daß ich nicht ſterbe; Und dann mein Name nicht mehr im Buche der Ewigen ſtehe; Und mein Sitz nicht mehr ſey am Allerheiligſten Gottes! Seraph, ich ſteig itzt herab, Gott den Meßias zu richten, Der ſich, zwiſchen mich, und das Geſchlecht der Menſchen geſtellt hat, Daſteht, und muthig mein ganzes Gericht, ein Gottmenſch, erwartet. Folge mir, mein Geliebter, in deiner Schoͤne von fern nach. Gott ſprach ſo, und ſtand hoch vom ewigen Thron auf. Der Thron klang Unter ihm hin, da er aufſtand. Des Allerheiligſten Berge Zitterten, und mit ihnen das Haupt am hohen Altare Des Meßias, mit ihnen die Wolken des heiligen Dunkels. Dreymal flohn ſie zuruͤck. Zum viertenmal bebte das Antlitz Des erhabnen Gerichtſtuls, und ſeine furchtbaren Stufen Sichtbar herror; und der Ewige ſtieg vom himmliſchen Throne. So, wenn ein feſtlicher Tag durch alle Himmel gefeyrt wird, Und mit allgegenwaͤrtigem Winke der Ewige winket, So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/169
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/169>, abgerufen am 22.11.2024.