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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Vierter Gesang.

Aber, Gott, läßt du mein sterbendes Auge den Jammer erblicken,
Daß der Träumer von Nazaret siegt! Daß dein ewiger Bund nichts,
Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein Eid und dein Segen,
Den du Abraham schwurst, und nach ihm, den Abrahamiden:
So entsag ich hiermit, vor dem Antlitz des ganzen Judäa,
Deinem Recht und Gesetz! So will ich ohne Gott leben!
Ohne Gott, soll mein graues Haupt sich, ins Grabmal hin legen!
Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Träumer nicht wegtilgst:
So bist du nicht Moses erschienen! So war es ein Blendwerk,
Was er im heiligen Busch am Fuße des Horeb erblickte!
So stiegst du auf die Spitze des Sina nicht wunderbar nieder!
So klang keine Posaune! Kein Donner! So bebte der Berg nicht!
So sind unsere Väter und wir, seit undenkbaren Zeiten,
Unter den Völkern der Welt die beweinenswürdigsten Menschen!
So ist kein himmlisch Gesetz! So bist du Jsraels Gott nicht!

Philo sprachs, und trat grimmig zurück. Und Nikodemus
Stand mit niederschauendem Angesicht. So, wie ein Mann steht
Welcher von Lasterhaften erduldet, und bey sich den Vorzug
Und die Erhabenheit seiner Tugend und Unschuld empfindet.
Ernst ist in seinem Gesicht; tief in der Seele der Himmel!
Jtzo dachte der göttliche Mann voll Gedanken der Ehrfurcht
An die heilige Nacht, wo allein mit ihm der Meßias
Von der Ewigkeit sprach und von den Geheimnissen Gottes:
Wo er tiefsinnig, mit Minen voll Seele, mit himmlischen Lächeln
Neben ihm stand, und sprach. Er sah sein Antlitz voll Gnade
Und den mehr als menschlichen Geist der göttlichen Augen,
Und
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Vierter Geſang.

Aber, Gott, laͤßt du mein ſterbendes Auge den Jammer erblicken,
Daß der Traͤumer von Nazaret ſiegt! Daß dein ewiger Bund nichts,
Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein Eid und dein Segen,
Den du Abraham ſchwurſt, und nach ihm, den Abrahamiden:
So entſag ich hiermit, vor dem Antlitz des ganzen Judaͤa,
Deinem Recht und Geſetz! So will ich ohne Gott leben!
Ohne Gott, ſoll mein graues Haupt ſich, ins Grabmal hin legen!
Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Traͤumer nicht wegtilgſt:
So biſt du nicht Moſes erſchienen! So war es ein Blendwerk,
Was er im heiligen Buſch am Fuße des Horeb erblickte!
So ſtiegſt du auf die Spitze des Sina nicht wunderbar nieder!
So klang keine Poſaune! Kein Donner! So bebte der Berg nicht!
So ſind unſere Vaͤter und wir, ſeit undenkbaren Zeiten,
Unter den Voͤlkern der Welt die beweinenswuͤrdigſten Menſchen!
So iſt kein himmliſch Geſetz! So biſt du Jſraels Gott nicht!

Philo ſprachs, und trat grimmig zuruͤck. Und Nikodemus
Stand mit niederſchauendem Angeſicht. So, wie ein Mann ſteht
Welcher von Laſterhaften erduldet, und bey ſich den Vorzug
Und die Erhabenheit ſeiner Tugend und Unſchuld empfindet.
Ernſt iſt in ſeinem Geſicht; tief in der Seele der Himmel!
Jtzo dachte der goͤttliche Mann voll Gedanken der Ehrfurcht
An die heilige Nacht, wo allein mit ihm der Meßias
Von der Ewigkeit ſprach und von den Geheimniſſen Gottes:
Wo er tiefſinnig, mit Minen voll Seele, mit himmliſchen Laͤcheln
Neben ihm ſtand, und ſprach. Er ſah ſein Antlitz voll Gnade
Und den mehr als menſchlichen Geiſt der goͤttlichen Augen,
Und
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[117/0129] Vierter Geſang. Aber, Gott, laͤßt du mein ſterbendes Auge den Jammer erblicken, Daß der Traͤumer von Nazaret ſiegt! Daß dein ewiger Bund nichts, Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein Eid und dein Segen, Den du Abraham ſchwurſt, und nach ihm, den Abrahamiden: So entſag ich hiermit, vor dem Antlitz des ganzen Judaͤa, Deinem Recht und Geſetz! So will ich ohne Gott leben! Ohne Gott, ſoll mein graues Haupt ſich, ins Grabmal hin legen! Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Traͤumer nicht wegtilgſt: So biſt du nicht Moſes erſchienen! So war es ein Blendwerk, Was er im heiligen Buſch am Fuße des Horeb erblickte! So ſtiegſt du auf die Spitze des Sina nicht wunderbar nieder! So klang keine Poſaune! Kein Donner! So bebte der Berg nicht! So ſind unſere Vaͤter und wir, ſeit undenkbaren Zeiten, Unter den Voͤlkern der Welt die beweinenswuͤrdigſten Menſchen! So iſt kein himmliſch Geſetz! So biſt du Jſraels Gott nicht! Philo ſprachs, und trat grimmig zuruͤck. Und Nikodemus Stand mit niederſchauendem Angeſicht. So, wie ein Mann ſteht Welcher von Laſterhaften erduldet, und bey ſich den Vorzug Und die Erhabenheit ſeiner Tugend und Unſchuld empfindet. Ernſt iſt in ſeinem Geſicht; tief in der Seele der Himmel! Jtzo dachte der goͤttliche Mann voll Gedanken der Ehrfurcht An die heilige Nacht, wo allein mit ihm der Meßias Von der Ewigkeit ſprach und von den Geheimniſſen Gottes: Wo er tiefſinnig, mit Minen voll Seele, mit himmliſchen Laͤcheln Neben ihm ſtand, und ſprach. Er ſah ſein Antlitz voll Gnade Und den mehr als menſchlichen Geiſt der goͤttlichen Augen, Und H 3

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/129>, abgerufen am 23.11.2024.