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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Vierter Gesang.

Oder zum blinkenden Schwert: auf wafne rächenden Hände,
Trinke das Blut des Sünders! Gebeut er den Tiefen der Erde:
Thut euch auf, und verschlingt ihn lebendig! So ist er schuldig!
Aber wenn er durch himmlische Wunder die Erde zu segnen
Mächtig fortfährt; wenn durch ihn der Blinde sein Antlitz zur Sonne
Freudig erhebt, und mit sehenden Augen den leitenden Vater
Staunend anblickt; wenn Tauben das Ohr der Stimme des Menschen
Wider sich öfnet, wenn es die Rede des segnenden Priesters
Wieder vernimmt, und die Stimme der Braut, und die weinende Mutter,
Und das feyrende Chor, und die Hallelujagesänge;
Wenn durch ihn die Todten dahergehn, und gegen uns zeugen,
Und mit wieder lebendigem Auge gen Himmel hin weinen,
Und dann göttlich zürnend, auf uns sehn; ihr Grabmal uns zeigen,
Und mit jenem Gericht uns drohn, vor dem sie schon waren;
Wenn er, welches noch göttlicher ist, untadelhaft fortfährt,
Vor uns zu leben, wenn er, mit seiner allmächtigen Tugend,
Wunder thut, und Gott gleicht: ach, so beschwör ich euch, Väter,
Beym lebendigen Gott: sprecht, ist er da nicht unschuldig?
Also sagt er. Jtzt gieng die erhabne mittägliche Sonne
Ueber Jerusalem hin. Um die Zeit nahte sich Judas,
Jn die Versammlung der Priester zu gehn. Vor ihm wandelten Satan
Und Jthuriel unsichtbar her, und standen im Saale
Neben den Priestern, und sahn ungesehn in die tiefe Versammlung.

Aber Nikodemus saß, und betrachtete schweigend
Aller Antlitz. So wie ein Mann, der ein Sünder ist, zitternd
Dasteht, und bleich wird, wenn über ihm nah der Olympus donnert,
Also

Vierter Geſang.

Oder zum blinkenden Schwert: auf wafne raͤchenden Haͤnde,
Trinke das Blut des Suͤnders! Gebeut er den Tiefen der Erde:
Thut euch auf, und verſchlingt ihn lebendig! So iſt er ſchuldig!
Aber wenn er durch himmliſche Wunder die Erde zu ſegnen
Maͤchtig fortfaͤhrt; wenn durch ihn der Blinde ſein Antlitz zur Sonne
Freudig erhebt, und mit ſehenden Augen den leitenden Vater
Staunend anblickt; wenn Tauben das Ohr der Stimme des Menſchen
Wider ſich oͤfnet, wenn es die Rede des ſegnenden Prieſters
Wieder vernimmt, und die Stimme der Braut, und die weinende Mutter,
Und das feyrende Chor, und die Hallelujageſaͤnge;
Wenn durch ihn die Todten dahergehn, und gegen uns zeugen,
Und mit wieder lebendigem Auge gen Himmel hin weinen,
Und dann goͤttlich zuͤrnend, auf uns ſehn; ihr Grabmal uns zeigen,
Und mit jenem Gericht uns drohn, vor dem ſie ſchon waren;
Wenn er, welches noch goͤttlicher iſt, untadelhaft fortfaͤhrt,
Vor uns zu leben, wenn er, mit ſeiner allmaͤchtigen Tugend,
Wunder thut, und Gott gleicht: ach, ſo beſchwoͤr ich euch, Vaͤter,
Beym lebendigen Gott: ſprecht, iſt er da nicht unſchuldig?
Alſo ſagt er. Jtzt gieng die erhabne mittaͤgliche Sonne
Ueber Jeruſalem hin. Um die Zeit nahte ſich Judas,
Jn die Verſammlung der Prieſter zu gehn. Vor ihm wandelten Satan
Und Jthuriel unſichtbar her, und ſtanden im Saale
Neben den Prieſtern, und ſahn ungeſehn in die tiefe Verſammlung.

Aber Nikodemus ſaß, und betrachtete ſchweigend
Aller Antlitz. So wie ein Mann, der ein Suͤnder iſt, zitternd
Daſteht, und bleich wird, wenn uͤber ihm nah der Olympus donnert,
Alſo
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[111/0123] Vierter Geſang. Oder zum blinkenden Schwert: auf wafne raͤchenden Haͤnde, Trinke das Blut des Suͤnders! Gebeut er den Tiefen der Erde: Thut euch auf, und verſchlingt ihn lebendig! So iſt er ſchuldig! Aber wenn er durch himmliſche Wunder die Erde zu ſegnen Maͤchtig fortfaͤhrt; wenn durch ihn der Blinde ſein Antlitz zur Sonne Freudig erhebt, und mit ſehenden Augen den leitenden Vater Staunend anblickt; wenn Tauben das Ohr der Stimme des Menſchen Wider ſich oͤfnet, wenn es die Rede des ſegnenden Prieſters Wieder vernimmt, und die Stimme der Braut, und die weinende Mutter, Und das feyrende Chor, und die Hallelujageſaͤnge; Wenn durch ihn die Todten dahergehn, und gegen uns zeugen, Und mit wieder lebendigem Auge gen Himmel hin weinen, Und dann goͤttlich zuͤrnend, auf uns ſehn; ihr Grabmal uns zeigen, Und mit jenem Gericht uns drohn, vor dem ſie ſchon waren; Wenn er, welches noch goͤttlicher iſt, untadelhaft fortfaͤhrt, Vor uns zu leben, wenn er, mit ſeiner allmaͤchtigen Tugend, Wunder thut, und Gott gleicht: ach, ſo beſchwoͤr ich euch, Vaͤter, Beym lebendigen Gott: ſprecht, iſt er da nicht unſchuldig? Alſo ſagt er. Jtzt gieng die erhabne mittaͤgliche Sonne Ueber Jeruſalem hin. Um die Zeit nahte ſich Judas, Jn die Verſammlung der Prieſter zu gehn. Vor ihm wandelten Satan Und Jthuriel unſichtbar her, und ſtanden im Saale Neben den Prieſtern, und ſahn ungeſehn in die tiefe Verſammlung. Aber Nikodemus ſaß, und betrachtete ſchweigend Aller Antlitz. So wie ein Mann, der ein Suͤnder iſt, zitternd Daſteht, und bleich wird, wenn uͤber ihm nah der Olympus donnert, Alſo

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/123>, abgerufen am 22.11.2024.