Die Zunft der Kenner. Durch diese Zunft wird zwar die Zahl unsrer Mitbürger nicht wenig vermehrt, wir haben sie gern un- ter uns, und sie thut auch wol bisweilen etwas für uns; allein die meisten ihrer Mit- glieder stehen gleichwol in zu vielen und zu genauen Verhältnissen mit den Altfranken, um patriotisch genung gegen die Republik ge- sint zu seyn. Sie hat auch Zünfterinnen; aber diese haben bisher nur immer Abgeord- nete auf die Landtage geschikt. Vielleicht würde, wenn sie selber kämen, die Zunft pa- triotischer werden.
Bey Aufnamen in die Unterzünfte haben die Aldermänner viel saure Arbeit. Denn ohne ihre Genehmigung kann Niemand auf eine Unterzunft kommen. Man vermuthet, daß sie den nächsten Landtag neues Maaß und Gewicht des Wissenswürdigen werden ein- zuführen suchen. Was sie bisher davon ab- gehalten hat, ist die alsdann schwerere Be- rechnung gegen ausländisches Maaß und Ge- wicht gewesen. Auch wird, wie man sagt, auf diesem Landtage der grosse Unterschied, der zwischen Geschmak und Kennerey ist, genauer festgesezt werden.
Gewönlich werden nur die in die Ober- zünfte aufgenommen, die selbst denken, selten
nach-
Die Zunft der Kenner. Durch dieſe Zunft wird zwar die Zahl unſrer Mitbuͤrger nicht wenig vermehrt, wir haben ſie gern un- ter uns, und ſie thut auch wol bisweilen etwas fuͤr uns; allein die meiſten ihrer Mit- glieder ſtehen gleichwol in zu vielen und zu genauen Verhaͤltniſſen mit den Altfranken, um patriotiſch genung gegen die Republik ge- ſint zu ſeyn. Sie hat auch Zuͤnfterinnen; aber dieſe haben bisher nur immer Abgeord- nete auf die Landtage geſchikt. Vielleicht wuͤrde, wenn ſie ſelber kaͤmen, die Zunft pa- triotiſcher werden.
Bey Aufnamen in die Unterzuͤnfte haben die Aldermaͤnner viel ſaure Arbeit. Denn ohne ihre Genehmigung kann Niemand auf eine Unterzunft kommen. Man vermuthet, daß ſie den naͤchſten Landtag neues Maaß und Gewicht des Wiſſenswuͤrdigen werden ein- zufuͤhren ſuchen. Was ſie bisher davon ab- gehalten hat, iſt die alsdann ſchwerere Be- rechnung gegen auslaͤndiſches Maaß und Ge- wicht geweſen. Auch wird, wie man ſagt, auf dieſem Landtage der groſſe Unterſchied, der zwiſchen Geſchmak und Kennerey iſt, genauer feſtgeſezt werden.
Gewoͤnlich werden nur die in die Ober- zuͤnfte aufgenommen, die ſelbſt denken, ſelten
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Die Zunft der Kenner. Durch dieſe
Zunft wird zwar die Zahl unſrer Mitbuͤrger
nicht wenig vermehrt, wir haben ſie gern un-
ter uns, und ſie thut auch wol bisweilen
etwas fuͤr uns; allein die meiſten ihrer Mit-
glieder ſtehen gleichwol in zu vielen und zu
genauen Verhaͤltniſſen mit den Altfranken,
um patriotiſch genung gegen die Republik ge-
ſint zu ſeyn. Sie hat auch Zuͤnfterinnen;
aber dieſe haben bisher nur immer Abgeord-
nete auf die Landtage geſchikt. Vielleicht
wuͤrde, wenn ſie ſelber kaͤmen, die Zunft pa-
triotiſcher werden.
Bey Aufnamen in die Unterzuͤnfte haben
die Aldermaͤnner viel ſaure Arbeit. Denn
ohne ihre Genehmigung kann Niemand auf
eine Unterzunft kommen. Man vermuthet,
daß ſie den naͤchſten Landtag neues Maaß und
Gewicht des Wiſſenswuͤrdigen werden ein-
zufuͤhren ſuchen. Was ſie bisher davon ab-
gehalten hat, iſt die alsdann ſchwerere Be-
rechnung gegen auslaͤndiſches Maaß und Ge-
wicht geweſen. Auch wird, wie man ſagt,
auf dieſem Landtage der groſſe Unterſchied,
der zwiſchen Geſchmak und Kennerey iſt,
genauer feſtgeſezt werden.
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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