den Mund der Abgeordneten reden,) wir gehö- ren zu den so genanten Semideisten. Wir können es nun einmal nicht ändern, daß wir so heissen; aber wir solten es billig nicht, son- dern vielmehr den Namen Freygeister vor- zugsweise führen. Denn wir sind es allein, die die wahre reine Lehre der Freygeisterey haben; und es wird dadurch eine schreyende Ungerechtigkeit an uns begangen, daß man uns durch die Benennung: Semideisten gleichsam zu einer Secte machen will. Wir verwahren uns aber auch hiermit vermittelst eines feyer- lichen Widerspruchs gegen das Unrecht, wel- ches uns durch diese verkleinerliche Beschuldi- gung der Sectirerey geschieht. Wer seine fünf Sinne nur noch einigermaassen beysam- men hat, wird einsehen, daß wir die allein Rechtlehrenden sind. Denn was höret man bey uns wol anders, als die grossen, tiefge- dachten Säze: Die Unsterblichkeit der Seele muß man bald annehmen, und bald nicht an- nehmen, nach dem einem nämlich entweder das Eine oder das Andre, um mit den Herrn- hutern, die doch auch ihr Gutes haben, zu re- den, gemütlich, oder es etwas weltlicher, aber nicht viel anders auszudrücken, empfindsam ist. Von der Sittenlehre muß man nur so viel annehmen, als einem jezt eben thunlich
ist.
den Mund der Abgeordneten reden,) wir gehoͤ- ren zu den ſo genanten Semideiſten. Wir koͤnnen es nun einmal nicht aͤndern, daß wir ſo heiſſen; aber wir ſolten es billig nicht, ſon- dern vielmehr den Namen Freygeiſter vor- zugsweiſe fuͤhren. Denn wir ſind es allein, die die wahre reine Lehre der Freygeiſterey haben; und es wird dadurch eine ſchreyende Ungerechtigkeit an uns begangen, daß man uns durch die Benennung: Semideiſten gleichſam zu einer Secte machen will. Wir verwahren uns aber auch hiermit vermittelſt eines feyer- lichen Widerſpruchs gegen das Unrecht, wel- ches uns durch dieſe verkleinerliche Beſchuldi- gung der Sectirerey geſchieht. Wer ſeine fuͤnf Sinne nur noch einigermaaſſen beyſam- men hat, wird einſehen, daß wir die allein Rechtlehrenden ſind. Denn was hoͤret man bey uns wol anders, als die groſſen, tiefge- dachten Saͤze: Die Unſterblichkeit der Seele muß man bald annehmen, und bald nicht an- nehmen, nach dem einem naͤmlich entweder das Eine oder das Andre, um mit den Herrn- hutern, die doch auch ihr Gutes haben, zu re- den, gemuͤtlich, oder es etwas weltlicher, aber nicht viel anders auszudruͤcken, empfindſam iſt. Von der Sittenlehre muß man nur ſo viel annehmen, als einem jezt eben thunlich
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den Mund der Abgeordneten reden,) wir gehoͤ-
ren zu den ſo genanten Semideiſten. Wir
koͤnnen es nun einmal nicht aͤndern, daß wir
ſo heiſſen; aber wir ſolten es billig nicht, ſon-
dern vielmehr den Namen Freygeiſter vor-
zugsweiſe fuͤhren. Denn wir ſind es allein,
die die wahre reine Lehre der Freygeiſterey
haben; und es wird dadurch eine ſchreyende
Ungerechtigkeit an uns begangen, daß man uns
durch die Benennung: Semideiſten gleichſam
zu einer Secte machen will. Wir verwahren
uns aber auch hiermit vermittelſt eines feyer-
lichen Widerſpruchs gegen das Unrecht, wel-
ches uns durch dieſe verkleinerliche Beſchuldi-
gung der Sectirerey geſchieht. Wer ſeine
fuͤnf Sinne nur noch einigermaaſſen beyſam-
men hat, wird einſehen, daß wir die allein
Rechtlehrenden ſind. Denn was hoͤret man
bey uns wol anders, als die groſſen, tiefge-
dachten Saͤze: Die Unſterblichkeit der Seele
muß man bald annehmen, und bald nicht an-
nehmen, nach dem einem naͤmlich entweder
das Eine oder das Andre, um mit den Herrn-
hutern, die doch auch ihr Gutes haben, zu re-
den, gemuͤtlich, oder es etwas weltlicher, aber
nicht viel anders auszudruͤcken, empfindſam
iſt. Von der Sittenlehre muß man nur ſo
viel annehmen, als einem jezt eben thunlich
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/441>, abgerufen am 22.11.2024.
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