Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.mehr angeht, bestimt sie zwar am oftesten; unter- 2 Wodurch wir unser Tonmaaß kennen lernen. aber chung auf sie wirkt. Man kann an dieser Wir- kung besonders alsdann nicht zweifeln, wenn man sich erinnert, daß die Tonstellung bisweilen sogar lange Wörter in kurze verwandle. (gewönlichen Verse) Jhr unrichtiges Ton- maaß könte ich aus Dichtern, die ich sehr hoch schäze, und sehr gern lese, durch nicht wenig Bey- spiele zeigen. (Es wäre, mich deucht, gut, wenn der Vorleser, anstatt sich nach dem Verse zu zwin- gen, auch hier das wahre Tonmaaß ausspräche. Die Eintönigkeit würde dadurch wenigstens etwas aufhören; und der Zuhörer würde finden, daß der Zufall manchmal recht gute Verse gemacht hät- te.) Unser wahres Tonmaaß muß wohl sehr tief in der Sprache liegen; denn wie hätte es sich sonst, seit Opizen, gegen die Dichter wehren, und seinen festen und sichern Tritt behalten können? (gemeinen Lebens) Die gute Geselschaft, und
das comische Schauspiel gehören vornämlich hier- her. Wenn diese das Tonmaaß auch richtiger hö- ren mehr angeht, beſtimt ſie zwar am ofteſten; unter- 2 Wodurch wir unſer Tonmaaß kennen lernen. aber chung auf ſie wirkt. Man kann an dieſer Wir- kung beſonders alsdann nicht zweifeln, wenn man ſich erinnert, daß die Tonſtellung bisweilen ſogar lange Woͤrter in kurze verwandle. (gewoͤnlichen Verse) Jhr unrichtiges Ton- maaß koͤnte ich aus Dichtern, die ich ſehr hoch ſchaͤze, und ſehr gern leſe, durch nicht wenig Bey- ſpiele zeigen. (Es waͤre, mich deucht, gut, wenn der Vorleſer, anſtatt ſich nach dem Verſe zu zwin- gen, auch hier das wahre Tonmaaß ausſpraͤche. Die Eintoͤnigkeit wuͤrde dadurch wenigſtens etwas aufhoͤren; und der Zuhoͤrer wuͤrde finden, daß der Zufall manchmal recht gute Verſe gemacht haͤt- te.) Unſer wahres Tonmaaß muß wohl ſehr tief in der Sprache liegen; denn wie haͤtte es ſich ſonſt, ſeit Opizen, gegen die Dichter wehren, und ſeinen feſten und ſichern Tritt behalten koͤnnen? (gemeinen Lebens) Die gute Geſelſchaft, und
das comiſche Schauſpiel gehoͤren vornaͤmlich hier- her. Wenn dieſe das Tonmaaß auch richtiger hoͤ- ren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0425" n="349"/> mehr angeht, beſtimt ſie zwar am ofteſten; unter-<lb/> deß thun es doch Nachdruk und Leidenſchaft, bey<lb/> denen jenes Mechaniſche ſeine Wirkung verliert, auch<lb/> nicht ſelten. Und dieſe zweyte Beſtimmungsart<lb/> graͤnzt ſehr nah an die Hauptbegriffe, wenigſtens<lb/> an ſolche, wie derjenige hat, der in der Leidenſchaft iſt.</p><lb/> <p>2 <hi rendition="#fr">Wodurch wir unſer Tonmaaß kennen lernen.</hi><lb/> Nicht durch unſre gewoͤnlichen Verſe. <note place="foot" n="(gewoͤnlichen Verse)">Jhr unrichtiges Ton-<lb/> maaß koͤnte ich aus Dichtern, die ich ſehr hoch<lb/> ſchaͤze, und ſehr gern leſe, durch nicht wenig Bey-<lb/> ſpiele zeigen. (Es waͤre, mich deucht, gut, wenn<lb/> der Vorleſer, anſtatt ſich nach dem Verſe zu zwin-<lb/> gen, auch hier das wahre Tonmaaß ausſpraͤche.<lb/> Die Eintoͤnigkeit wuͤrde dadurch wenigſtens etwas<lb/> aufhoͤren; und der Zuhoͤrer wuͤrde finden, daß<lb/> der Zufall manchmal recht gute Verſe gemacht haͤt-<lb/> te.) Unſer wahres Tonmaaß muß wohl ſehr tief<lb/> in der Sprache liegen; denn wie haͤtte es ſich<lb/> ſonſt, ſeit Opizen, gegen die Dichter wehren, und<lb/> ſeinen feſten und ſichern Tritt behalten koͤnnen?</note> Denn in die-<lb/> ſen, weil ſie nur immer mit Einer Laͤnge, und mit<lb/> Einer Kuͤrze abwechſeln, <hi rendition="#fr">muß</hi> das Tonmaaß, wenn<lb/> die Dichter anders in denſelben noch denken wollen,<lb/> oft unrichtig ſeyn. Wir lernen das Tonmaaß zwar<lb/> wol auch durch die Ausſprache des gemeinen Lebens; <note xml:id="seg2pn_6_1" next="#seg2pn_6_2" place="foot" n="(gemeinen Lebens)">Die gute Geſelſchaft, und<lb/> das comiſche Schauſpiel gehoͤren vornaͤmlich hier-<lb/> her. Wenn dieſe das Tonmaaß auch richtiger hoͤ-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ren</fw></note><lb/> <fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_5_2" prev="#seg2pn_5_1" place="foot" n="(Tonstellung)">chung auf ſie wirkt. Man kann an dieſer Wir-<lb/> kung beſonders alsdann nicht zweifeln, wenn<lb/> man ſich erinnert, daß die Tonſtellung bisweilen<lb/> ſogar lange Woͤrter in kurze verwandle.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [349/0425]
mehr angeht, beſtimt ſie zwar am ofteſten; unter-
deß thun es doch Nachdruk und Leidenſchaft, bey
denen jenes Mechaniſche ſeine Wirkung verliert, auch
nicht ſelten. Und dieſe zweyte Beſtimmungsart
graͤnzt ſehr nah an die Hauptbegriffe, wenigſtens
an ſolche, wie derjenige hat, der in der Leidenſchaft iſt.
2 Wodurch wir unſer Tonmaaß kennen lernen.
Nicht durch unſre gewoͤnlichen Verſe. (gewoͤnlichen Verse) Denn in die-
ſen, weil ſie nur immer mit Einer Laͤnge, und mit
Einer Kuͤrze abwechſeln, muß das Tonmaaß, wenn
die Dichter anders in denſelben noch denken wollen,
oft unrichtig ſeyn. Wir lernen das Tonmaaß zwar
wol auch durch die Ausſprache des gemeinen Lebens; (gemeinen Lebens)
aber
(Tonstellung)
(gewoͤnlichen Verse) Jhr unrichtiges Ton-
maaß koͤnte ich aus Dichtern, die ich ſehr hoch
ſchaͤze, und ſehr gern leſe, durch nicht wenig Bey-
ſpiele zeigen. (Es waͤre, mich deucht, gut, wenn
der Vorleſer, anſtatt ſich nach dem Verſe zu zwin-
gen, auch hier das wahre Tonmaaß ausſpraͤche.
Die Eintoͤnigkeit wuͤrde dadurch wenigſtens etwas
aufhoͤren; und der Zuhoͤrer wuͤrde finden, daß
der Zufall manchmal recht gute Verſe gemacht haͤt-
te.) Unſer wahres Tonmaaß muß wohl ſehr tief
in der Sprache liegen; denn wie haͤtte es ſich
ſonſt, ſeit Opizen, gegen die Dichter wehren, und
ſeinen feſten und ſichern Tritt behalten koͤnnen?
(gemeinen Lebens) Die gute Geſelſchaft, und
das comiſche Schauſpiel gehoͤren vornaͤmlich hier-
her. Wenn dieſe das Tonmaaß auch richtiger hoͤ-
ren
(Tonstellung) chung auf ſie wirkt. Man kann an dieſer Wir-
kung beſonders alsdann nicht zweifeln, wenn
man ſich erinnert, daß die Tonſtellung bisweilen
ſogar lange Woͤrter in kurze verwandle.
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