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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

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man nicht wuste, daß er schon todt wäre, und
daher nicht mehr angeklagt werden könte.
Der Ankläger trat lächelnd ab, weil er sein
Versehn, in so grosser und guter Geselschaft,
begangen hatte.

Unterdeß da dieses vorging, hatte sich der
zweyte Ankläger gegen alles Vermuthen ent-
fernt. Er hatte vorgehabt, und sich es sogar
gerühmt, wider den Ungenanten, zur An-
klage zu erscheinen. Aber in dem Augenblicke
der Ausführung hatte ihn der Mut verlassen.
Die Aldermänner konten ihre Freude über die
Entfernung dieses Anklägers kaum verbergen.
Doch sie dauerte nicht lange. Denn die
Weltweisen schikten ihren Anwald auf den An-
klageplaz, und dieser erklärte sogleich, was
ihm von seiner Zunft aufgetragen sey. Er
wolte auch schon zu reden anfangen; aber die
Aldermänner baten ihn, ihn nur auf kurze
Zeit von dem abhalten zu dürfen, was er vor-
zutragen hätte.

Es ist ganz ungewönlich, sagten sie, daß
über Abwesende etwas entschieden werde.
Denn für's erste können sie sich nicht verthei-
digen; und dann so kann das Urtheil, das
über sie gefält wird, ja nicht vollzogen werden.
Und seit wenn hat die Republik gefällte Ur-
theile nicht sogleich vollzogen? Ueberdieß

scheint

man nicht wuſte, daß er ſchon todt waͤre, und
daher nicht mehr angeklagt werden koͤnte.
Der Anklaͤger trat laͤchelnd ab, weil er ſein
Verſehn, in ſo groſſer und guter Geſelſchaft,
begangen hatte.

Unterdeß da dieſes vorging, hatte ſich der
zweyte Anklaͤger gegen alles Vermuthen ent-
fernt. Er hatte vorgehabt, und ſich es ſogar
geruͤhmt, wider den Ungenanten, zur An-
klage zu erſcheinen. Aber in dem Augenblicke
der Ausfuͤhrung hatte ihn der Mut verlaſſen.
Die Aldermaͤnner konten ihre Freude uͤber die
Entfernung dieſes Anklaͤgers kaum verbergen.
Doch ſie dauerte nicht lange. Denn die
Weltweiſen ſchikten ihren Anwald auf den An-
klageplaz, und dieſer erklaͤrte ſogleich, was
ihm von ſeiner Zunft aufgetragen ſey. Er
wolte auch ſchon zu reden anfangen; aber die
Aldermaͤnner baten ihn, ihn nur auf kurze
Zeit von dem abhalten zu duͤrfen, was er vor-
zutragen haͤtte.

Es iſt ganz ungewoͤnlich, ſagten ſie, daß
uͤber Abweſende etwas entſchieden werde.
Denn fuͤr’s erſte koͤnnen ſie ſich nicht verthei-
digen; und dann ſo kann das Urtheil, das
uͤber ſie gefaͤlt wird, ja nicht vollzogen werden.
Und ſeit wenn hat die Republik gefaͤllte Ur-
theile nicht ſogleich vollzogen? Ueberdieß

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[190/0266] man nicht wuſte, daß er ſchon todt waͤre, und daher nicht mehr angeklagt werden koͤnte. Der Anklaͤger trat laͤchelnd ab, weil er ſein Verſehn, in ſo groſſer und guter Geſelſchaft, begangen hatte. Unterdeß da dieſes vorging, hatte ſich der zweyte Anklaͤger gegen alles Vermuthen ent- fernt. Er hatte vorgehabt, und ſich es ſogar geruͤhmt, wider den Ungenanten, zur An- klage zu erſcheinen. Aber in dem Augenblicke der Ausfuͤhrung hatte ihn der Mut verlaſſen. Die Aldermaͤnner konten ihre Freude uͤber die Entfernung dieſes Anklaͤgers kaum verbergen. Doch ſie dauerte nicht lange. Denn die Weltweiſen ſchikten ihren Anwald auf den An- klageplaz, und dieſer erklaͤrte ſogleich, was ihm von ſeiner Zunft aufgetragen ſey. Er wolte auch ſchon zu reden anfangen; aber die Aldermaͤnner baten ihn, ihn nur auf kurze Zeit von dem abhalten zu duͤrfen, was er vor- zutragen haͤtte. Es iſt ganz ungewoͤnlich, ſagten ſie, daß uͤber Abweſende etwas entſchieden werde. Denn fuͤr’s erſte koͤnnen ſie ſich nicht verthei- digen; und dann ſo kann das Urtheil, das uͤber ſie gefaͤlt wird, ja nicht vollzogen werden. Und ſeit wenn hat die Republik gefaͤllte Ur- theile nicht ſogleich vollzogen? Ueberdieß ſcheint

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/266>, abgerufen am 22.11.2024.