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Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

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Drittes Buch.
Trauer- und Abschieds-Rede der
sterbenden Banise.

SO ja etwas erschreck-und entsetzliches kan oder
mag genennt werden/ wovor die Helden zittern/
die Starcken beben/ und die Tyrannen erschrecken;
ja wo etwas zufinden ist/ welches die Gottlosen von
der Sünde noch etwas zurücke halten kan/ so ist es
gewiß das blasse Reich des Todes/ und dessen
Furcht-erweckende Betrachtung. Der Tod/ sage
ich/ das Erschrecklichste alles Schrecklichen/ wel-
cher alles zerbricht/ was seinen Ursprung von der
Erde nimmt/ und was nur die Geburt an die
Sonne stellt; welchen auch die wilden Thiere und
gifftigste Schlangen zu scheuen pflegen/ und die
menschliche Natur vor ihren grösten Feind erken-
net/ wider den sie bey allen Aertzten Entsatz/ und
diesen abscheulichen Grabes-Wurm möglichst
abzuhalten sucht. Ja der Tod/ welcher mir ietzt
die Eiß-kalte Hand reichet/ ihm auff einer bluti-
gen Bahn zu folgen. Gewiß/ wenn wir den Tod
mit unsern Vernunffts-Augen etwas genauer be-
trachten/ so scheinet es/ als ob unserer Natur all-
zugrosse Gewalt angethan würde/ und die erzürn-
te Gottheit denen Menschen etwas auferleget hat-
te/ welches menschlicher Schwachheit zu ertragen
unmöglich wäre. Allein/ so wir den Kern kosten/
und die Schalen verwerffen/ so befinden wir/ daß
unsere gröste Glückseligkeit im Tode beruhe. Es
würde uns das Gallen-bittere Leben noch viel her-
ber schmecken/ so wir kein Ende unserer Noth/ viel

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Drittes Buch.
Trauer- und Abſchieds-Rede der
ſterbenden Baniſe.

SO ja etwas eꝛſchreck-und entſetzliches kan oder
mag geneñt werden/ wovor die Helden zittern/
die Starcken beben/ und die Tyrannen erſchrecken;
ja wo etwas zufinden iſt/ welches die Gottloſen von
der Suͤnde noch etwas zuruͤcke halten kan/ ſo iſt es
gewiß das blaſſe Reich des Todes/ und deſſen
Furcht-erweckende Betrachtung. Der Tod/ ſage
ich/ das Erſchrecklichſte alles Schrecklichen/ wel-
cher alles zerbricht/ was ſeinen Urſprung von der
Erde nimmt/ und was nur die Geburt an die
Sonne ſtellt; welchen auch die wilden Thiere und
gifftigſte Schlangen zu ſcheuen pflegen/ und die
menſchliche Natur vor ihren groͤſten Feind erken-
net/ wider den ſie bey allen Aertzten Entſatz/ und
dieſen abſcheulichen Grabes-Wurm moͤglichſt
abzuhalten ſucht. Ja der Tod/ welcher mir ietzt
die Eiß-kalte Hand reichet/ ihm auff einer bluti-
gen Bahn zu folgen. Gewiß/ wenn wir den Tod
mit unſern Vernunffts-Augen etwas genauer be-
trachten/ ſo ſcheinet es/ als ob unſerer Natur all-
zugroſſe Gewalt angethan wuͤrde/ und die erzuͤrn-
te Gottheit denen Menſchen etwas auferleget hat-
te/ welches menſchlicher Schwachheit zu ertragen
unmoͤglich waͤre. Allein/ ſo wir den Kern koſten/
und die Schalen verwerffen/ ſo befinden wir/ daß
unſere groͤſte Gluͤckſeligkeit im Tode beruhe. Es
wuͤrde uns das Gallen-bittere Leben noch viel her-
ber ſchmecken/ ſo wir kein Ende unſerer Noth/ viel

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[675/0695] Drittes Buch. Trauer- und Abſchieds-Rede der ſterbenden Baniſe. SO ja etwas eꝛſchreck-und entſetzliches kan oder mag geneñt werden/ wovor die Helden zittern/ die Starcken beben/ und die Tyrannen erſchrecken; ja wo etwas zufinden iſt/ welches die Gottloſen von der Suͤnde noch etwas zuruͤcke halten kan/ ſo iſt es gewiß das blaſſe Reich des Todes/ und deſſen Furcht-erweckende Betrachtung. Der Tod/ ſage ich/ das Erſchrecklichſte alles Schrecklichen/ wel- cher alles zerbricht/ was ſeinen Urſprung von der Erde nimmt/ und was nur die Geburt an die Sonne ſtellt; welchen auch die wilden Thiere und gifftigſte Schlangen zu ſcheuen pflegen/ und die menſchliche Natur vor ihren groͤſten Feind erken- net/ wider den ſie bey allen Aertzten Entſatz/ und dieſen abſcheulichen Grabes-Wurm moͤglichſt abzuhalten ſucht. Ja der Tod/ welcher mir ietzt die Eiß-kalte Hand reichet/ ihm auff einer bluti- gen Bahn zu folgen. Gewiß/ wenn wir den Tod mit unſern Vernunffts-Augen etwas genauer be- trachten/ ſo ſcheinet es/ als ob unſerer Natur all- zugroſſe Gewalt angethan wuͤrde/ und die erzuͤrn- te Gottheit denen Menſchen etwas auferleget hat- te/ welches menſchlicher Schwachheit zu ertragen unmoͤglich waͤre. Allein/ ſo wir den Kern koſten/ und die Schalen verwerffen/ ſo befinden wir/ daß unſere groͤſte Gluͤckſeligkeit im Tode beruhe. Es wuͤrde uns das Gallen-bittere Leben noch viel her- ber ſchmecken/ ſo wir kein Ende unſerer Noth/ viel weni- U u 2

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Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/695>, abgerufen am 25.11.2024.