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Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

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Erstes Buch.
wo die Liebe raset/ da strauchelt der Verstand/ ja
der klügste Mann wird zum Narren. Von die-
ser Verwunderung aber zogen uns der Princeßin
Worte bald ab/ als wir sie so reden hörten: Die-
se Gründe sind viel zu schwach/ den festen Vorsatz
zu hindern/ denn wohl dem/ welcher seine Klugheit
in dem Sarge suchet/ und das Gold seines Ver-
standes auff den Probierstein der Sterbligkeit
streichet. Gewiß aus dieser Mitternacht schei-
net die Sonne/ und wer in dieser Lebens-See sei-
ne Augen stets nach der Baare richtet/ dem muß
die Tugend wie ein heller Pharos leuchten. Zu
dem achte ich davor/ daß wie die Götter unserm
Leben nur ein Ziel/ nemlich den Tod/ also auch das
Verhängniß unserer Liebe nur ein Ziel gesetzet
habe: welches so es uns der Himmel aus den Au-
gen rücket/ wir dennoch im Hertzen behalten/ und
die völlige Geniessung biß ins ewige Niba ver-
sparen/ uns aber desselben inmittelst durch keine
fremde Wahl unwürdig/ noch dem/ in das ge-
stirnte Buch des Himmels eingeschriebenen/ Nath-
schluß/ widerstreben sollen. Denn wo einmahl
reine Liebe durch den Tod betrübet wird/ da ist die
Keuschheit der beste Schatz in der Welt/ und alle
Liebe ist alsdenn nur ein Jrrwisch/ dessen Glantz
von unreinen Seelen entspringet. Durchlauch-
tigste Princeßin/ erwiederte Chaumigrem/ sie ge-
neust zwar des Nectars der Liebe/ aber nur aus
einem leeren Becher: sie kan zwar das Wesen
der Liebe in etwas vormahlen/ worinnen sie aber

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Erſtes Buch.
wo die Liebe raſet/ da ſtrauchelt der Verſtand/ ja
der kluͤgſte Mann wird zum Narren. Von die-
ſer Verwunderung aber zogen uns der Princeßin
Worte bald ab/ als wir ſie ſo reden hoͤrten: Die-
ſe Gruͤnde ſind viel zu ſchwach/ den feſten Vorſatz
zu hindern/ denn wohl dem/ welcher ſeine Klugheit
in dem Sarge ſuchet/ und das Gold ſeines Ver-
ſtandes auff den Probierſtein der Sterbligkeit
ſtreichet. Gewiß aus dieſer Mitternacht ſchei-
net die Sonne/ und wer in dieſer Lebens-See ſei-
ne Augen ſtets nach der Baare richtet/ dem muß
die Tugend wie ein heller Pharos leuchten. Zu
dem achte ich davor/ daß wie die Goͤtter unſerm
Leben nur ein Ziel/ nemlich den Tod/ alſo auch das
Verhaͤngniß unſerer Liebe nur ein Ziel geſetzet
habe: welches ſo es uns der Himmel aus den Au-
gen ruͤcket/ wir dennoch im Hertzen behalten/ und
die voͤllige Genieſſung biß ins ewige Niba ver-
ſparen/ uns aber deſſelben inmittelſt durch keine
fremde Wahl unwuͤrdig/ noch dem/ in das ge-
ſtirnte Buch des Himmels eingeſchriebenẽ/ Nath-
ſchluß/ widerſtreben ſollen. Denn wo einmahl
reine Liebe durch den Tod betruͤbet wird/ da iſt die
Keuſchheit der beſte Schatz in der Welt/ und alle
Liebe iſt alsdenn nur ein Jrrwiſch/ deſſen Glantz
von unreinen Seelen entſpringet. Durchlauch-
tigſte Princeßin/ erwiederte Chaumigrem/ ſie ge-
neuſt zwar des Nectars der Liebe/ aber nur aus
einem leeren Becher: ſie kan zwar das Weſen
der Liebe in etwas vormahlen/ worinnen ſie aber

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[115/0135] Erſtes Buch. wo die Liebe raſet/ da ſtrauchelt der Verſtand/ ja der kluͤgſte Mann wird zum Narren. Von die- ſer Verwunderung aber zogen uns der Princeßin Worte bald ab/ als wir ſie ſo reden hoͤrten: Die- ſe Gruͤnde ſind viel zu ſchwach/ den feſten Vorſatz zu hindern/ denn wohl dem/ welcher ſeine Klugheit in dem Sarge ſuchet/ und das Gold ſeines Ver- ſtandes auff den Probierſtein der Sterbligkeit ſtreichet. Gewiß aus dieſer Mitternacht ſchei- net die Sonne/ und wer in dieſer Lebens-See ſei- ne Augen ſtets nach der Baare richtet/ dem muß die Tugend wie ein heller Pharos leuchten. Zu dem achte ich davor/ daß wie die Goͤtter unſerm Leben nur ein Ziel/ nemlich den Tod/ alſo auch das Verhaͤngniß unſerer Liebe nur ein Ziel geſetzet habe: welches ſo es uns der Himmel aus den Au- gen ruͤcket/ wir dennoch im Hertzen behalten/ und die voͤllige Genieſſung biß ins ewige Niba ver- ſparen/ uns aber deſſelben inmittelſt durch keine fremde Wahl unwuͤrdig/ noch dem/ in das ge- ſtirnte Buch des Himmels eingeſchriebenẽ/ Nath- ſchluß/ widerſtreben ſollen. Denn wo einmahl reine Liebe durch den Tod betruͤbet wird/ da iſt die Keuſchheit der beſte Schatz in der Welt/ und alle Liebe iſt alsdenn nur ein Jrrwiſch/ deſſen Glantz von unreinen Seelen entſpringet. Durchlauch- tigſte Princeßin/ erwiederte Chaumigrem/ ſie ge- neuſt zwar des Nectars der Liebe/ aber nur aus einem leeren Becher: ſie kan zwar das Weſen der Liebe in etwas vormahlen/ worinnen ſie aber be- H 2

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Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/135>, abgerufen am 17.09.2024.