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Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

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Erstes Buch.
sie gesehen: Die tieffste Traurigkeit aber/ daß ich
sie nicht mehr sehe. Zu Ava ist alle meine Lust ver-
blieben/ statt deren ich hier in Judia tausend Ver-
druß erdulden/ und empfindlichst empfinden muß:
Wie der schmertzliche Verlust einer angenehmen
Sache die Freude einer steten Gegenwart weit
übertreffe. Jedoch versichere ich/ daß ein einiger
Gedancken an sie mir mehr Anmuth/ weder alles
Unglück in der Welt Betrübniß zufügen könne.
Ja eben die ietzige Stunde/ da mich ihre Abwe-
senheit kräncket/ wolte ich mit den allerzärtsten
Schooß-Kindern des Glückes nicht vertauschen.
Diese behertzte Entschliessung/ bey so wichtiger
Ursache zu trauren/ überredet mich/ daß ihre Rede
nicht falsch gewesen/ als sie sagte: Sie hätte mir
ihr Hertz gegeben. Denn gewiß/ daferne ich kein
anders/ als das meinige hätte/ würden mich so viel
widrige Anstösse leicht überwinden. Sonder Ein-
busse der Warheit: Es ist wohl ein seltzamer Zu-
fall/ an einer eintzigen Person/ alles/ was die Welt
schönes hat/ antreffen/ dieselbe zugleich schauen und
lieb gewinnen: ihrer auch ja so bald/ als man in
ihre Liebe kommen/ wiederum verlustig werden.
Jn gleichem Augenblicke sein Glücke lachen und
weinen/ scheinen und verschwinden sehen/ und
in solcher Zeit-Kürtze beydes zu jauchtzen und kla-
gen befugt seyn. Dieses sind die Gedancken/ wo-
mit ich die schmertzende Abwesenheit mir etlicher
massen versüsse/ und hertzlich wündsche/ durch dero
Englische Gegenwart alles Andenckens überhoben

zu

Erſtes Buch.
ſie geſehen: Die tieffſte Traurigkeit aber/ daß ich
ſie nicht mehr ſehe. Zu Ava iſt alle meine Luſt ver-
blieben/ ſtatt deren ich hier in Judia tauſend Ver-
druß erdulden/ und empfindlichſt empfinden muß:
Wie der ſchmertzliche Verluſt einer angenehmen
Sache die Freude einer ſteten Gegenwart weit
uͤbertreffe. Jedoch verſichere ich/ daß ein einiger
Gedancken an ſie mir mehr Anmuth/ weder alles
Ungluͤck in der Welt Betruͤbniß zufuͤgen koͤnne.
Ja eben die ietzige Stunde/ da mich ihre Abwe-
ſenheit kraͤncket/ wolte ich mit den allerzaͤrtſten
Schooß-Kindern des Gluͤckes nicht vertauſchen.
Dieſe behertzte Entſchlieſſung/ bey ſo wichtiger
Urſache zu trauren/ uͤberredet mich/ daß ihre Rede
nicht falſch geweſen/ als ſie ſagte: Sie haͤtte mir
ihr Hertz gegeben. Denn gewiß/ daferne ich kein
anders/ als das meinige haͤtte/ wuͤrden mich ſo viel
widrige Anſtoͤſſe leicht uͤberwinden. Sonder Ein-
buſſe der Warheit: Es iſt wohl ein ſeltzamer Zu-
fall/ an einer eintzigen Perſon/ alles/ was die Welt
ſchoͤnes hat/ antꝛeffen/ dieſelbe zugleich ſchauen und
lieb gewinnen: ihrer auch ja ſo bald/ als man in
ihre Liebe kommen/ wiederum verluſtig werden.
Jn gleichem Augenblicke ſein Gluͤcke lachen und
weinen/ ſcheinen und verſchwinden ſehen/ und
in ſolcher Zeit-Kuͤrtze beydes zu jauchtzen und kla-
gen befugt ſeyn. Dieſes ſind die Gedancken/ wo-
mit ich die ſchmertzende Abweſenheit mir etlicher
maſſen verſuͤſſe/ und hertzlich wuͤndſche/ durch dero
Engliſche Gegenwaꝛt alles Andenckens uͤberhoben

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[96[95]/0115] Erſtes Buch. ſie geſehen: Die tieffſte Traurigkeit aber/ daß ich ſie nicht mehr ſehe. Zu Ava iſt alle meine Luſt ver- blieben/ ſtatt deren ich hier in Judia tauſend Ver- druß erdulden/ und empfindlichſt empfinden muß: Wie der ſchmertzliche Verluſt einer angenehmen Sache die Freude einer ſteten Gegenwart weit uͤbertreffe. Jedoch verſichere ich/ daß ein einiger Gedancken an ſie mir mehr Anmuth/ weder alles Ungluͤck in der Welt Betruͤbniß zufuͤgen koͤnne. Ja eben die ietzige Stunde/ da mich ihre Abwe- ſenheit kraͤncket/ wolte ich mit den allerzaͤrtſten Schooß-Kindern des Gluͤckes nicht vertauſchen. Dieſe behertzte Entſchlieſſung/ bey ſo wichtiger Urſache zu trauren/ uͤberredet mich/ daß ihre Rede nicht falſch geweſen/ als ſie ſagte: Sie haͤtte mir ihr Hertz gegeben. Denn gewiß/ daferne ich kein anders/ als das meinige haͤtte/ wuͤrden mich ſo viel widrige Anſtoͤſſe leicht uͤberwinden. Sonder Ein- buſſe der Warheit: Es iſt wohl ein ſeltzamer Zu- fall/ an einer eintzigen Perſon/ alles/ was die Welt ſchoͤnes hat/ antꝛeffen/ dieſelbe zugleich ſchauen und lieb gewinnen: ihrer auch ja ſo bald/ als man in ihre Liebe kommen/ wiederum verluſtig werden. Jn gleichem Augenblicke ſein Gluͤcke lachen und weinen/ ſcheinen und verſchwinden ſehen/ und in ſolcher Zeit-Kuͤrtze beydes zu jauchtzen und kla- gen befugt ſeyn. Dieſes ſind die Gedancken/ wo- mit ich die ſchmertzende Abweſenheit mir etlicher maſſen verſuͤſſe/ und hertzlich wuͤndſche/ durch dero Engliſche Gegenwaꝛt alles Andenckens uͤberhoben zu

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Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 96[95]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/115>, abgerufen am 22.11.2024.