Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt die Tugend und das Laster an den
Händen, und tanzte ein Trio mit ihnen.
Ein nackender Wilde blies dazu auf einem
Haberrohr, ein europäischer Philosoph strich
die Geige, ein Asiate schlug die Trommel,
und obgleich diese widrige Töne ein harmo-
nisches Ohr zerrissen hätten, so kamen doch
die Tanzenden nicht aus dem Takt, so gut
hatten sie ihre Schule gelernt. Gab die
feine Dirne dem Laster die Hand, so gau-
kelte sie wie eine Buhlschwester, floh lockend
vor ihm her, gab alsdann der Tugend die
Hand, und bewegte sich in den sittsamen
Schritten der Matrone. Nach dem Tanze
ruhte sie auf einer dünnen, durchsichtigen
und schöngemahlten Wolke aus, die ihre
Verehrer aus vielen Fetzen zusammengeflickt
hatten.

Nach ihr erschien die Poesie, in der Ge-
stalt eines unbekleideten wollüstigen Weibes.
Sie tanzte mit der Sinnlichkeit einen üppi-
gen sehr figürlichen und darstellenden Tanz,

wozu

hielt die Tugend und das Laſter an den
Haͤnden, und tanzte ein Trio mit ihnen.
Ein nackender Wilde blies dazu auf einem
Haberrohr, ein europaͤiſcher Philoſoph ſtrich
die Geige, ein Aſiate ſchlug die Trommel,
und obgleich dieſe widrige Toͤne ein harmo-
niſches Ohr zerriſſen haͤtten, ſo kamen doch
die Tanzenden nicht aus dem Takt, ſo gut
hatten ſie ihre Schule gelernt. Gab die
feine Dirne dem Laſter die Hand, ſo gau-
kelte ſie wie eine Buhlſchweſter, floh lockend
vor ihm her, gab alsdann der Tugend die
Hand, und bewegte ſich in den ſittſamen
Schritten der Matrone. Nach dem Tanze
ruhte ſie auf einer duͤnnen, durchſichtigen
und ſchoͤngemahlten Wolke aus, die ihre
Verehrer aus vielen Fetzen zuſammengeflickt
hatten.

Nach ihr erſchien die Poeſie, in der Ge-
ſtalt eines unbekleideten wolluͤſtigen Weibes.
Sie tanzte mit der Sinnlichkeit einen uͤppi-
gen ſehr figuͤrlichen und darſtellenden Tanz,

wozu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="43"/>
hielt die <hi rendition="#fr">Tugend</hi> und das <hi rendition="#fr">La&#x017F;ter</hi> an den<lb/>
Ha&#x0364;nden, und tanzte ein Trio mit ihnen.<lb/>
Ein nackender Wilde blies dazu auf einem<lb/>
Haberrohr, ein europa&#x0364;i&#x017F;cher Philo&#x017F;oph &#x017F;trich<lb/>
die Geige, ein A&#x017F;iate &#x017F;chlug die Trommel,<lb/>
und obgleich die&#x017F;e widrige To&#x0364;ne ein harmo-<lb/>
ni&#x017F;ches Ohr zerri&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tten, &#x017F;o kamen doch<lb/>
die Tanzenden nicht aus dem Takt, &#x017F;o gut<lb/>
hatten &#x017F;ie ihre Schule gelernt. Gab die<lb/>
feine Dirne dem La&#x017F;ter die Hand, &#x017F;o gau-<lb/>
kelte &#x017F;ie wie eine Buhl&#x017F;chwe&#x017F;ter, floh lockend<lb/>
vor ihm her, gab alsdann der Tugend die<lb/>
Hand, und bewegte &#x017F;ich in den &#x017F;itt&#x017F;amen<lb/>
Schritten der Matrone. Nach dem Tanze<lb/>
ruhte &#x017F;ie auf einer du&#x0364;nnen, durch&#x017F;ichtigen<lb/>
und &#x017F;cho&#x0364;ngemahlten Wolke aus, die ihre<lb/>
Verehrer aus vielen Fetzen zu&#x017F;ammengeflickt<lb/>
hatten.</p><lb/>
          <p>Nach ihr er&#x017F;chien die Poe&#x017F;ie, in der Ge-<lb/>
&#x017F;talt eines unbekleideten wollu&#x0364;&#x017F;tigen Weibes.<lb/>
Sie tanzte mit der <hi rendition="#fr">Sinnlichkeit</hi> einen u&#x0364;ppi-<lb/>
gen &#x017F;ehr figu&#x0364;rlichen und dar&#x017F;tellenden Tanz,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wozu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0054] hielt die Tugend und das Laſter an den Haͤnden, und tanzte ein Trio mit ihnen. Ein nackender Wilde blies dazu auf einem Haberrohr, ein europaͤiſcher Philoſoph ſtrich die Geige, ein Aſiate ſchlug die Trommel, und obgleich dieſe widrige Toͤne ein harmo- niſches Ohr zerriſſen haͤtten, ſo kamen doch die Tanzenden nicht aus dem Takt, ſo gut hatten ſie ihre Schule gelernt. Gab die feine Dirne dem Laſter die Hand, ſo gau- kelte ſie wie eine Buhlſchweſter, floh lockend vor ihm her, gab alsdann der Tugend die Hand, und bewegte ſich in den ſittſamen Schritten der Matrone. Nach dem Tanze ruhte ſie auf einer duͤnnen, durchſichtigen und ſchoͤngemahlten Wolke aus, die ihre Verehrer aus vielen Fetzen zuſammengeflickt hatten. Nach ihr erſchien die Poeſie, in der Ge- ſtalt eines unbekleideten wolluͤſtigen Weibes. Sie tanzte mit der Sinnlichkeit einen uͤppi- gen ſehr figuͤrlichen und darſtellenden Tanz, wozu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/54
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/54>, abgerufen am 22.11.2024.