gel. Er lachte der Erscheinung seiner kran- ken Fantasie, entwarf einen neuen Lebens- plan, schmeichelte sich durch Forschen und Nachdenken über Gott, die Welt und die Menschen, die Räthsel endlich zu enthüllen, von welchen er glaubte, sie seyen dem Men- schen nur darum in den Weg geworfen, sei- nen moralischen Zustand so unglücklich zu machen, als seinen physischen. "Wer die- "sen Knoten gelöst, oder sich überzeugt hat, "daß er nicht zu lösen sey," sagte er in seinem Herzen, "der macht sich zum "Meister seines Geschicks," und so wäre er gewiß, aus seinem scholastischen Jahrhun- dert in unser hellphilosophisches hinüber gesprungen, wenn ihm der Teufel Zeit da- zu gelassen hätte. Wenigstens war er auf dem Wege ein Philosoph wie Voltaire zu werden, der nur überall das Böse sah, es hämisch hervorzog, und alles Gute ver- zerrte, wo er es fand.
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gel. Er lachte der Erſcheinung ſeiner kran- ken Fantaſie, entwarf einen neuen Lebens- plan, ſchmeichelte ſich durch Forſchen und Nachdenken uͤber Gott, die Welt und die Menſchen, die Raͤthſel endlich zu enthuͤllen, von welchen er glaubte, ſie ſeyen dem Men- ſchen nur darum in den Weg geworfen, ſei- nen moraliſchen Zuſtand ſo ungluͤcklich zu machen, als ſeinen phyſiſchen. „Wer die- „ſen Knoten geloͤſt, oder ſich uͤberzeugt hat, „daß er nicht zu loͤſen ſey,“ ſagte er in ſeinem Herzen, „der macht ſich zum „Meiſter ſeines Geſchicks,“ und ſo waͤre er gewiß, aus ſeinem ſcholaſtiſchen Jahrhun- dert in unſer hellphiloſophiſches hinuͤber geſprungen, wenn ihm der Teufel Zeit da- zu gelaſſen haͤtte. Wenigſtens war er auf dem Wege ein Philoſoph wie Voltaire zu werden, der nur uͤberall das Boͤſe ſah, es haͤmiſch hervorzog, und alles Gute ver- zerrte, wo er es fand.
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gel. Er lachte der Erſcheinung ſeiner kran-
ken Fantaſie, entwarf einen neuen Lebens-
plan, ſchmeichelte ſich durch Forſchen und
Nachdenken uͤber Gott, die Welt und die
Menſchen, die Raͤthſel endlich zu enthuͤllen,
von welchen er glaubte, ſie ſeyen dem Men-
ſchen nur darum in den Weg geworfen, ſei-
nen moraliſchen Zuſtand ſo ungluͤcklich zu
machen, als ſeinen phyſiſchen. „Wer die-
„ſen Knoten geloͤſt, oder ſich uͤberzeugt hat,
„daß er nicht zu loͤſen ſey,“ ſagte er in
ſeinem Herzen, „der macht ſich zum
„Meiſter ſeines Geſchicks,“ und ſo waͤre er
gewiß, aus ſeinem ſcholaſtiſchen Jahrhun-
dert in unſer hellphiloſophiſches hinuͤber
geſprungen, wenn ihm der Teufel Zeit da-
zu gelaſſen haͤtte. Wenigſtens war er auf
dem Wege ein Philoſoph wie Voltaire zu
werden, der nur uͤberall das Boͤſe ſah, es
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zerrte, wo er es fand.
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/368>, abgerufen am 22.11.2024.
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